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Aktuelle Seite: „Alles Lernen soll zum Denken führen.“
0171 | 14. NOVEMBER 2024    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

„Alles Lernen soll zum Denken führen.“


Am 14. November 1924 stirbt der Historiker, Politiker und Volks­bildner Ludo Moritz Hartmann in Wien.

Ludwig Moritz Hartmann ist der Sohn des jüdischen Schriftstellers Moritz Hartmann, dem „Chronisten“ der Wiener Revolution von 1848, dem noch in letzter Minute die Flucht aus dem belagerten Wien gelang gelungen war. Nach Jahren des Exils und zahlreicher Reisen durch europäische Länder – u.a. berichtet er als Korrespondent in der Türkei vom Krimkrieg – lässt sich Moritz Hartmann in Stuttgart nieder, wo 1865 sein Sohn Ludwig zur Welt kommt.

1867 kann Moritz Hartmann mit seiner Familie nach Wien zurückkehren. Im Hause Hartmann verkehren zahlreiche Literaten, Wissenschaftler, Künstler und Universitäts­professoren, unter ihnen der Chirurg Theodor Billroth, der Philosophie­historiker Theodor Gomperz oder der Historiker Heinrich Friedjung.

Der junge Ludwig – genannt Ludo – Moritz Hartmann besucht das Wasagymnasium und studiert ab 1883 Geschichte in Wien und Berlin. Hier gehört insbesondere der bedeutende Alter­tums­wissenschaftler Theodor Mommsen zu seinen Lehrern. 1889 wird Hart­mann in Wien habilitiert, eine Professur erhält er allerdings erst 1919.

Aufklärer und Volksbildner

Die größten Verdienste Ludo Hartmanns liegen zweifellos auf dem Gebiet der Volksbildung. Auf seine Anregung hin werden 1890 erstmals wissenschaftliche Vortragsreihen zu populären „Unterrichtscursen“ zusammengefasst. 1895 ist Hartmann maßgeblich an der Gründung der „Volkstümlichen Universitätsvorträge“ und 1900 an der des „Vereins für Abhaltung von wissenschaftlichen Lehrkursen für Frauen und Mädchen“ Athenäum beteiligt.

Gemeinsam mit dem Literaturwissenschaftler Emil Reich ruft Hartmann, der 1901 auch der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei beitritt, das Volksheim Ottakring ins Leben, das bald auch über ein eigenes Haus am heutigen Ludo-Hartmann-Platz verfügt.

Das bemerkenswerte Jugendstilgebäude wird in den Jahren 1904/05 nach Plänen von Franz Ritter von Neumann errichtet. In puncto Ausstattung steht diese erste „richtige“ Volkshochschule den Universitäten kaum nach: Es gibt eine eigene Biblio­thek, ein chemisches und ein physikalisches Laboratorium, und sogar eines für Experimental­psychologie. Das Volksheim Ottakring ist außerdem die erste Abend-Volkshochschule des Kontinents und erreicht im Roten Wien mit seiner wissen­schaftlichen Bildungsarbeit für breite Schichten einen international vielbeachteten Status.

Bildung für alle!

Es ist Hartmanns feste Überzeugung, dass Demokratie und Volksbildung untrennbar miteinander verbunden seien, denn das Denkenlernen [müsse] das Ziel und der Zweck eines jeden echten Volksbildungswesens sein. Wer gelernt hätte, wissen­schaftlich – und das heißt, rational und frei von Vorurteilen – zu denken und zu entscheiden, der wäre auch auf politischem Gebiet in der Lage, eigene Ent­schei­dungen zu treffen.

Insgesamt entstehen auf Hartmanns Initiative fünf Volkshochschulen in Wien. Zwischen 1909 und 1911 wird das Haus in der Stöbergasse in Margareten errichtet, und 1910 erfolgt die Gründung der Urania. Viele später berühmt gewordene Wissenschaftler, darunter auch Nobelpreisträger, unterrichten an diesen „Uni­versitäten der kleinen Leute“, zum Beispiel Ludwig Boltzmann, Otto Wagner, Arthur Schnitzler, Sigmund Freud, Alfred Adler, Hans Kelsen oder Erwin Schrödinger. Damit werden neueste wissenschaftliche Erkenntnisse erstmals auch für breite Bevölkerungsschichten verständlich zugänglich gemacht.

Botschafter und Politiker

Ende 1918 ernennt Staatskanzler Karl Renner Ludo Moritz Hartmann zum ersten Botschafter Österreichs in Deutschland. Hartmann, der zeitlebens ein engagierter Befürworter eines Anschlusses an ein demokratisches Deutschland ist, gehört auch dem Staats- und Verfassungs­ausschuss der Weimarer Nationalversammlung als beratendes Mitglied an; die Wahl der Farben Schwarz-Rot-Gold – Symbol der Revolution von 1848 – geht auf seinen Vorschlag zurück.

Von 1919 bis November 1920 ist Hartmann Mitglied der Konstituierenden National­versammlung, von Dezember 1920 bis zu seinem Tod im November 1924 Vertreter Wiens im Bundesrat.

Bereits 1925 werden die neu errichtete städtische Wohnhausanlage in der Josefstädter Albertgasse 13–17 sowie der Platz vor der Volkshochschule Ottakring nach Ludo Moritz Hartmann benannt.

Der Verband Österreichischer Volkshochschulen vergibt bis heute alle zwei Jahre den Ludo-Hartmann-Preis für herausragende Arbeiten im Interesse der österreichischen Volksbildung.

Werk (Auswahl): Zur Geschichte der Zünfte im frühen Mittelalter, 1894; Über historische Entwicklung, 1905; Geschichte Italiens im Mittelalter. 4 Bände, 1897–1915; Theodor Mommsen, eine biographische Skizze, 1908; Das Volkshochschulwesen, 1910; Christentum und Sozialismus, 1916; Über den Beruf unserer Zeit – optimistische Betrachtungen, 1917; Kurzgefasste Geschichte Italiens – von Romulus bis Viktor Emmanuel, 1924.

Literatur: Günter Fellner, Ludo Moritz Hartmann und die österreichische Geschichtswissenschaft, 1985; Wilhelm Filla, Aufklärer und Organisator. Der Wissenschaftler, Volksbildner und Politiker Ludo Moritz Hartmann, 1992; Volker Herholt, Ludo Moritz Hartmann, Alte Geschichte zwischen Darwin, Marx und Mommsen, 1999; Gerold Unterhumer, Alles Lernen soll zum Denken führen. Demokratie und Erwachsenenbildung bei Ludo Moritz Hartmann, 2010; Celine Wawruschka, Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs. In: Karel Hruza (Hrsg.), Österreichische Historiker. Lebensläufe und Karrieren 1900–1945. Band 3, 2019, S. 67–96.

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