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Aktuelle Seite: Am Fuchsenfeld
0169 | 29. OKTOBER 2024    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

Am Fuchsenfeld


Am 29. Oktober 1924 wird der Fuchsenfeldhof in Meidling offiziell eröffnet. Es ist der erste aus den Mitteln der neuen Wohnbausteuer errichtete Gemeinde­bau.

Geplant wird der mächtige Hof an der Längenfeldgasse in den Jahren 1922 bis 1925 von den Otto-Wagner-Schülern Heinrich Schmid und Hermann Aichinger. Auf dem Areal der Wohnhaus­anlage befand sich seit 1852 das Gasthaus „Zum Fuchsen“, das – ganz profan – den Namen seines Besitzers Michael Fuchs trug. Die umliegenden Felder wurden deshalb auch „Fuchsenfeld“ genannt.

Die Wohnhausanlage ist dem Konzept des „Volkswohnungs­palastes“ verbunden und gehört, gemeinsam mit dem von Hubert Gessner erweiterten Metzleinstalerhof, zu den ersten Bauten des Roten Wien, bei denen das Prinzip der nach außen abgeschlossenen Hofanlage konsequent umgesetzt wird.

Auffallend ist das vollkommene Fehlen der sogenannten ‚Gangfenster‘. […] Dieser Mangel der Gangfenster ist einerseits für den Frieden des Hauses sehr fördernd, da dadurch die Gelegenheit für Tratsch ganz wesentlich eingeschränkt ist, andererseits vermißt man in den Stiegenhäusern den sonst sich so unangenehm fühlbar machenden Küchendunst. Der Fuchsenfeldhof, 1923

Neue Grundrisslösungen

Die Küchen sind sämtlich als Wohnküchen ausgebildet. Sie sind 16 bis 20 m2 groß, besitzen beim Fenster eine Sitznische, deren Tisch als Eßtisch für die Familie, als Arbeitstisch für die Hausfrau dient und bei welchem die Kinder ihre Schulaufgaben schreiben können. Als Kochstelle dient ein Gasherd mit Bratrohr, Nachwärmestellen, Abstellplatten und Tellerwärmer. […] Von der Spüle aus ist der Abort mit dem Wasserklosett zugänglich. Der Fuchsenfeldhof, 1923 

Alles da

Der Fuchsenfeldhof verfügt ursprünglich über 481 Wohnungen und zahlreiche Gemeinschaftseinrichtungen – eine zentrale Waschküche und Badeanlage, einen Kindergarten, Lehrwerkstätten, eine Bibliothek und sogar eine eigene Kinderbücherei.

Die Kinderbücherei schließt räumlich an die Arbeiterbücherei an, sie ist wie diese in ihrer Innenausstattung ein Werk des Architekten Lichtblau, der damit – so wie seinerzeit bei der Bücherei für die Erwachsenen – den Typ der Kinderbücherei geschaffen hat. Bildungsarbeit, 1928

Von der Längenfeldgasse gelangt man durch ein mächtiges Rundbogentor in den ersten Hof, in dem sich eine kleine Brunnenanlage mit einer Fuchskopfplastik befindet. Von hier führen zwei seitliche Durchgänge in einen zweiten, kleineren Hof mit tieferliegender Waschküche und einem erhöht gelegenen Pavillon.

In dieser Anlage können die Hausparteien ihre Wäsche waschen, trocknen und mangeln. Die Waschküche besitzt sämtliche Einrichtungen einer modernen Dampfwäscherei. Der Hausfrau wird warmes Wasser zum Waschen und Auskochen der Wäsche beigestellt, Waschmaschinen und Zentrifugen stehen zum Gebrauch zur Verfügung. Zum Trocknen der Wäsche sind mit Dampf geheizte Kulissen-Trockenapparate vorhanden.Der Fuchsenfeldhof, 1923

Das schönste Kinderfreibad der Stadt

Durch einen weiteren Torbogen betritt man das eigentliche Kernstück der Anlage, den dritten Hof, der mit Arkaden und Balkonen ausgestattet und durch einen großen Torbogen, der ein zweites Hauptportal bildet, mit der Karl-Löwe-Gasse und dem davorliegenden Wilhelmsdorfer Park verbunden ist.

Der dritte Hof, der wie der erste rund 1500 m2 groß ist, enthält ein Plantschbecken, welches im Winter zum Eislaufen verwendet werden kann und einen anschließenden großen Spielplatz, der vierte Hof eine Sitzplatz- und Terrassen­anlage. Der Fuchsenfeldhof, 1923

Das Kinderfreibad im Fuchsenfeldhof besitzt als besondere Attraktion lebens­große Figuren eines Flusspferdes und eines Walrosses, die wohl im Zuge des Zweiten Weltkrieges verloren gegangen sind.

Für die Kinder des Fuchsenfeldhofes stehen außer den bereits erwähnten Spielplätzen und dem Planschbecken noch zwei Kinderaufenthaltsräume zur Verfügung. Im Zentrum des dritten Hofes befindet sich auch der Kindergarten, dessen Eingang von zwei musizierenden Putti des Künstlers Josef Riedl flankiert wird.

Während beim Arbeiterwohnhaus der Vorkriegszeit die Kinder mit ihren Spielen auf die Straße verwiesen wurden, hat der Gartenhof der Gemeindebauten neben der Bedeutung für die Beleuchtung und Durchlüftung der Wohnungen auch die nicht minder wichtige Aufgabe, Spielflächen für die Kinder und Ruheplätze für die Erwachsenen zu bieten. Die Kinder werden nunmehr von der Straße weg in den Hof gelenkt, wo sie, von allen Gefahren fern, unter Aufsicht der Hausbewohner spielen können. Das Neue Wien

Und der Reismannhof

Ursprünglich bildet der Fuchsenfeldhof zusammen mit dem gegenüberliegenden Reismannhof unter dem Namen „Am Fuchsenfeld“ eine Einheit, die nur durch die Längenfeldgasse geteilt wird. Diese ebenfalls vom Architekturatelier Schmid und Aichinger errichtete Anlage wird in den Jahren 1924 bis 1926 errichtet und stellt die letzte Phase der Verbauung des Fuchsenfeldes dar. In ihrer städtebaulichen Konzeption ist sie bereits grundverschieden. 1949 wird dieser Bauteil nach dem im KZ-Auschwitz ermordeten sozialdemo­kratischen Gemeinderat Edmund Reismann benannt werden.

Die Anlage enthält ebenfalls mehrere Innenhöfe, geschwungene Straßen und unregelmäßige Plätze sowie 626 Wohnungen. Ihr Entrée in der Längenfeldgasse wird von turmartigen Bauten flankiert, den rückwärtigen Abschluss bildet ein repräsentativer Mitteltrakt mit Rundbögen. Der beinahe kleinstädtische Charakter und die Anmutung einer „gewachsenen Stadt“ werden durch Torbögen, Türme, Erker und die unterschiedlich hohen Wohntrakte betont und sind wegweisend für die von denselben Architekten in der Folge geplanten Anlagen Matteottihof (1926/27) und Rabenhof (1925–1929).


Typisch für den Reismannhof ist die Wechselwirkung von glatten, zweifarbigen Fassaden und einer Fülle expressiver Details. In der rot verputzten Sockelzone, welche die gesamte Anlage arkadenartig umgibt, ist eine Reihe von Geschäftslokalen und Gemeinschafts­einrichtungen – wie sogar ein Turnsaal – untergebracht. Zwei Steinplastiken des Bildhauers Josef Riedl – musizie­rende Putti, von denen der eine auf einem Cello spielt, der andere auf einer Ziehharmonika – zieren den Aufgang zum Spielplatz und zum Kindertagesheim.

Glückliche Menschen

Zur Eröffnung spricht der Architekt Robert Oerley: Die Wohnhausbauten der Gemeinde Wien stehen auf einem Niveau, um das uns jedermann beneidet. Man muß nur, wie ich selbst Gelegenheit hatte, das Glück der Leute sehen und beobachten, welche, an die tristesten Wohnungsverhältnisse gewöhnt, endlich menschenwürdig untergebracht sind.

Hierauf eröffnet Bürgermeister Karl Seitz, „stürmisch empfangen und mit freudigen Hoch­rufen überschüttet“, die Anlage. So übergibt die Gemeinde dieses Heim seinen Bewohnern, mit dem Wunsche, sie mögen hier frohe, glückliche Stunden und Jahre verbringen und ihre Kinder erziehen zu geistig gerüsteten, arbeitenden, aber auch zu frohen, freien, glücklichen Menschen.


Im Februar 1934 ist es mit dem Glück vorbei. Die Wohnhaus­anlage Am Fuchsenfeld ist eines der Zentren des Kampfes gegen den Austrofaschismus. Am 13. Februar unternehmen Schutzbündler von hier einen Entlastungsangriff Richtung Reumannhof, um die dort konzentrierten Regierungs­­truppen zurückzudrängen, können sich jedoch gegen deren Übermacht nicht durchsetzen. Am 14. Februar beginnt die Besetzung und Durchkämmung der beiden Bauten, am 15. Februar ist der ungleiche Kampf beendet.

Literatur: Hans und Rudolf Hautmann, Die Gemeindebauten des Roten Wien 1919–1934, 1980; Helmut Weihsmann, Das Rote Wien. Sozialdemokratische Architektur und Kommunalpolitik 1919–1934, 1985/2002; Walter Zednicek, Architektur des Roten Wien, 2009

 

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