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Aktuelle Seite: „Denn Arbeit, denn Arbeit macht frei.“
0120 | 6. AUGUST 2023    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

„Denn Arbeit, denn Arbeit macht frei.“


Im August 1938 arbeiten der Dichter Jura Soyfer und der Komponist Herbert Zipper im KZ Dachau an einem „Widerstandslied“.

Der Wiener Komponist Herbert Zipper ist von 1930 bis 1933 als Lehrer für Musiktheorie und Komposition in Düsseldorf tätig und kehrt nach der Machtergreifung Hitlers in seine Heimat zurück. Hier arbeitet er u.a. für den Rundfunk sowie als Komponist für Kleinkunstbühnen wie die „Literatur am Naschmarkt“. Dort lernt er den jungen Jura Soyfer kennen, einen der „Hausautoren“ der Kabarettbühne.

Am 13. März 1938, nur einen Tag nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich, versucht Soyfer, gemeinsam mit einem Freund, auf Schiern die Schweizer Grenze zu passieren. Vergebens.

Er wird verhaftet und schließlich ins KZ Dachau verbracht. Hier trifft er Herbert Zipper wieder, der im Mai 1938 wegen seiner „jüdischen Abstammung“ nach Dachau deportiert wird und dort ein Häftlingsorchester gründet.

Stacheldraht, mit Tod geladen / Ist um unsre Welt gespannt.
Drauf ein Himmel ohne Gnaden / Sendet Frost und Sonnenbrand.

Fern von uns sind alle Freuden, / Fern die Heimat und die Frau'n,
Wenn wir stumm zur Arbeit schreiten, / Tausende im Morgengraun.
Doch wir haben die Losung von Dachau gelernt, / Und wir wurden stahlhart dabei.
Bleib ein Mensch, Kamerad, / Sei ein Mann, Kamerad,
Mach ganze Arbeit, pack an Kamerad: / Denn Arbeit, denn Arbeit macht frei.

Ein Widerstandslied

Die Entstehungsgeschichte des Dachauliedes schildert der Komponist Zipper im Jahre 1988 in der Österreichischen Musikzeitschrift: Im August 1938 im Konzentrationslager Dachau: Jura Soyfer und ich mussten eine ganze Woche lang einen Lastwagen mit Zementsäcken beladen, die außerhalb des Lagers gestapelt waren. Anschließend mussten wir diesen Wagen ins Lager ziehen und wieder entladen. Deshalb sind wir täglich bis zu dreißigmal durch das Eingangstor des Lagers durchgegangen.

Eines Tages – es war, glaube ich, der dritte oder vierte Tag – sagte ich zu Jura, der an derselben Stange wie ich gezogen hat: „Weißt Du, diese Aufschrift über dem Tor – Arbeit macht frei – ist wirklich ein Hohn. Wir müssen unbedingt ein Widerstandslied machen, unseren Mitgefangenen ein bisschen Mut geben." Und Jura antwortete: „Ja, ich glaube, ich habe sogar schon daran gearbeitet."


Es war etwa drei Tage später – wir mussten dann in einer Kiesgrube arbeiten, wo wir bis zum Bauch im Wasser gestanden sind –, als Jura zu mir kam und sagte, daß er schon fertig sei und mir den Text vortrug, denn aufschreiben konnte man ihn natürlich nicht. [...] Und so habe ich den Text eben auswendig gelernt.

Vor der Mündung der Gewehre / Leben wir bei Tag und Nacht.
Leben wird uns hier zur Lehre, / Schwerer, als wir's je gedacht.

Keiner mehr zählt Tag' und Wochen, / Mancher schon die Jahre nicht.
Und so viele sind zerbrochen / Und verloren ihr Gesicht.
Doch wir haben die Losung von Dachau gelernt, / Und wir wurden stahlhart dabei...

Zipper ist es gewohnt, im Kopf zu komponieren. Der von ihm vertonte Text Soyfers ist ein Marsch- und ein Durchhaltelied, in dem die Häftlinge sich gegenseitig Mut zusprechen. Die in den Konzentrationslagern herrschende Unmenschlichkeit und Gewalt werden in dem Text nur angedeutet. Die Gräuel, denen die Häftlinge tagtäglich ausgeliefert sind, sollen in der Vorstellung des Zuhörers entstehen, weil die Vorstellung immer stärker ist, als die Wirklichkeit.

Der Komponist bringt die Melodie zwei Gitarristen und einem Geiger unter den Mithäftlingen bei. Im Herbst desselben Jahres werden Soyfer und er ins KZ Buchenwald bei Weimar verlegt.

Heb den Stein und zieh den Wagen, / Keine Last sei dir zu schwer.
Der du warst in fernen Tagen, / Bist du heut schon längst nicht mehr.
Stich den Spaten in die Erde, / Grab dein Mitleid tief hinein,
Und im eignen Schweiße werde / Selber du zu Stahl und Stein.
Doch wir haben die Losung von Dachau gelernt, / Und wir wurden stahlhart dabei...

Hell wird uns die Freiheit lachen

Herbert Zipper wird gegen Bezahlung eines Lösegeldes im Februar 1939 freigelassen und kann auf die Philippinen emigrieren, wo er die Leitung des Manila Symphony Orchestra übernimmt. Nach 1945 lebt er als Komponist, Dirigent und Musikpädagoge bis zu seinem Lebensende 1997 in den USA.

Jura Soyfer arbeitet in Buchenwald als Leichenträger. Dabei infiziert er sich mit Typhus, einer hochansteckenden Krankheit, die in dem heillos überfüllten Lager grassiert. Die Papiere zu seiner Entlassung und Ausreise, die Verwandte und Freunde in England für ihn organisiert hatten, kommen zu spät. Jura stirbt am 16. Februar 1939.

Einst wird die Sirene künden: / Auf zum letzten Zählappell!
Draußen dann, wo wir uns finden, / Bist du, Kamerad, zur Stell.

Hell wird uns die Freiheit lachen, / Schaffen heißt's mit großem Mut.
Und die Arbeit, die wir machen. / Diese Arbeit, sie wird gut.

Literatur:
Paul Cummins: Musik trotz allem. Herbert Zipper: Von Dachau um die Welt, Wien 1993.
Horst Jarka: Jura Soyfer. Leben, Werk, Zeit, Wien 1987.

GEHN MA HALT A BISSERL UNTER… 100 JAHRE JURA SOYFER

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