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Aktuelle Seite: Der „Anwalt vieler Verfolgter“
0087 | 31. OKTOBER 2022    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

Der „Anwalt vieler Verfolgter“

Im Oktober 1942 wird der Anwalt Heinrich Steinitz in Auschwitz ermordet.

Der 1879 in Bielsko-Biała im heutigen Polen als Sohn eines Arztes geborene Heinrich Steinitz studiert Rechtswissenschaften in Wien. Schon als junger Jurist betätigt er sich auch literarisch. 1910 heiratet Steinitz, der für kurze Zeit als Richter und schließlich als Rechtsanwalt tätig ist, Meta Wurmfeld (1890–1974), mit der er einen Sohn und drei Töchter bekommen wird.

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges ist auch für Steinitz eine Zäsur. 1916 gerät er in russische Kriegsgefangenschaft, die freie Zeit vertreibt er sich mit schriftstellerischen Versuchen. Über Schweden gelingt ihm schließlich die Flucht.

Im Herzen ein Schriftsteller

Zurück in Wien schließt sich Heinrich Steinitz der Sozial­demokratischen Arbeiterpartei an und wird Mitarbeiter im Reichsarbeiterrat, dem führenden Gremium des Arbeiterrats. Seine fachliche Kompetenz stellt er in den Dienst der Bewegung, hält Vorträge und klärt die LeserInnen der Arbeiterpresse über einfache Rechtsfragen auf.

Seine Liebe zur Literatur lässt Steinitz nie los. Bereits 1906 hatte eine jüdische Theatergruppe sein Märchen „König Drosselbart“ im Stadt-Theater Bielitz aufgeführt. Im Roten Wien verfasst er Gedichte, Texte für pathetische Massen­festspiele und Sprechchorwerke, wie etwa „Die Pariser Kommune“ oder „Das Festspiel um August Bebel“, das anlässlich dessen 20. Todestages am 13. August 1933 mit tausend Mitwirkenden auf dem Wacker Sportplatz aufgeführt wird.

1933 ist Heinrich Steinitz eines der Gründungsmitglieder der Vereinigung sozialistischer Schriftsteller. 1936 erscheint sein Werk „Tilman Riemenschneider im deutschen Bauern­krieg – Geschichte einer geistigen Haltung“ – wegen der Nürnberger Rassengesetze  unter dem Pseudonym Karl Heinrich Stein. Es erzählt die Geschichte des deutschen Bildhauers und -schnitzers Riemenschneider, der im Bauernkrieg 1525 für die rebellierenden Bauern eintrat und in der Folge sein Vermögen sowie alle Ämter und Ehren verlor. Das Buch erhält hymnische Kritiken, auch in der gleichgeschalteten deutschen Presse. Als jüdischer Häftling im KZ Buchenwald wird Steinitz sein Buch in der Lagerbibliothek entdecken.

Der Verteidiger

Nach der Zerschlagung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei im Februar 1934 avanciert Heinrich Steinitz zum wichtigsten Rechtsbeistand der österreichischen Arbeiterbewegung. In den politischen Prozessen der 1930er Jahre vertritt er zahlreiche Sozialisten vor Gericht – den Schutzbündler Fritz Quastler vor dem Standgericht, Hauptmann Rudolf Löw im Schutzbundprozess 1935 oder den Funktionär der illegalen Freien Gewerkschaften Rudolf Holowatyj, der im Februar 1936 wegen Hochverrats zu zehn Jahren Kerker verurteilt wird.

Im großen Sozialistenprozeß von 1936, in dem auch der junge Bruno Kreisky vor Gericht steht, tritt Steinitz als Verteidiger des Hauptangeklagten Karl Hans Sailer auf. Sein Argument, die seit 1889 unveränderten und hinlänglich bekannten Ziele der österreichischen Sozialdemokratie könnten nicht plötzlich als „Hochverrat“ ausgelegt werden, bleibt nicht ungehört. Sein Schlussplädoyer ist geradezu prophetisch: Die Stunde, in der wir sprechen, ist eine der ernstesten der Weltpolitik. Von heute auf morgen können über Europa Ereignisse hereinbrechen, die das ganze Ergebnis dieses Prozesses über den Haufen werfen.

Heinrich Steinitz' Haus in Hietzing wird in diesen Tagen zu einem der regelmäßigen Treff­punkte des sozialistischen Widerstands. An den klandestinen Freitags-Zusammen­künften nehmen Persönlichkeiten wie Käthe und Otto LeichterFrieda NödlJacques Hannak, Aline und Carl Furtmüller sowie Rosa Jochmann teil.

1934 erwirbt Steinitz gemeinsam mit Rudolf Neuhaus, Klara Schmelz und anderen die gut eingeführte, aber in Liquidation befindliche legendäre Buchhandlung „Bukum“ (Buch-, Kunst- und Musikalienhandlung) am Bauernmarkt 3; die Leitung übernimmt seine Frau Meta. Die Buchhandlung fungiert als konspirativer Treffpunkt für die Revolutionären Sozialisten.

Wer weiß, was ich mir erspare.

Als prominenter politischer Gegner steht Heinrich  Steinitz ganz oben auf der Liste der National­sozialisten, wird bereits am 14. März 1938, unmittelbar nach dem „Anschluss“, verhaftet und am 2. April 1938 in das KZ Dachau, dann nach Buchenwald verschleppt.

Im Oktober 1942 wird Steinitz mit zahlreichen Mitgefangenen nach Auschwitz deportiert. Am 4. oder 5. Tag nach unserer Ankunft, berichtet sein Leidensgenosse Benedikt Kautsky später, wurden wir nach der Arbeitsfähigkeit gesichtet. Heinrich, ebenso wie Edmund Reismann wurden als zu alt ausgeschieden. Am selben Nachmittag marschierten sie nach Birkenau, wir sahen sie nie wieder... Als ich mich von ihm verabschiedete, war er gefaßt; seine letzten Worte zu mir waren: Wer weiß, was ich mir erspare'.

Meta Steinitz, die bis 1934 eine Arbeiterbücherei in Hietzing leitet, kann 1938 in die Schweiz fliehen, kehrt nach Kriegsende zurück und wird Mitarbeiterin bei der Wiener Städtischen Bücherei. Auch die Kinder des Paares überleben im Exil.

Die in den Jahren 1952 bis 1955 errichtete Wohnhausanlage der Gemeinde Wien am Hietzinger Kai 7–9 wird 1955 Steinitzhof benannt. An der Fassade des Wohnhauses erinnert eine Gedenktafel an den „Anwalt vieler Verfolgter“. 

Literatur
Herbert Exenberger (Hrsg.) (2000): ,Als stünd' die Welt in Flammen. Eine Anthologie ermordeter sozialistischer SchriftstellerInnen; Christina Pal (2004): Heinrich Steinitz. Rechtsanwalt; Dichter; Volksbildner; Christina Pal (2006): Heinrich Steinitz. Anwalt und Poet. Eine Biographie. 

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