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Aktuelle Seite: Der denkende Arbeiter trinkt nicht.
0042 | 16. OKTOBER 2021    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

„Der denkende Arbeiter trinkt nicht.“

Im Oktober 1931 berichten die Wiener Zeitungen von einer Ausstellung, die der Arbeiter-Abstinentenbund im Genossen­schaftswarenhaus Stafa auf der Mariahilfer Straße gestaltet hat. Die Ausstellung, schreibt der Wiener Tag am 17. Oktober, ist wirklich sehenswert.Der Arbeiterabstinentenbund zeigt durch Moulagen, Bilder und Tafeln, die Verheerungen, die der Alkoholismus dem Volkskörper verursacht.

Zwei alkoholgegnerische Lieder entstiegen den jugendlichen Kehlen...

Die Eröffnungsansprache hält Bundesrat Max Winter, der Chor der Gesangsgruppe der Kinderfreunde aus dem 4. Bezirk. sorgt für die stimmungsvolle musikalische Untermalung.

Die Stafa

Der Ort ist gut und nicht zufällig gewählt. 1911 unter dem Namen „Mariahilfer Zentralpalast – erstes Wiener Warenmuster und Kollektiv-Kaufhaus“ errichtet, wird der markante Rundbau, dessen Fassaden mit Skulpturen von Anton Hanak geschmückt sind, während des Krieges von der Staatsange­stellten-Fürsorgeanstalt "Sta-Fa" übernommen. Der Name Stafa hält sich hartnäckig und überlebt mehrere Besitzerwechsel. 1924 erwerben die der Sozialdemokratie nahestehenden österreichischen Konsum­genossenschaften mit Hilfe der neu gegründeten Arbeiterbank das Warenhaus, das in der Folge über Jahrzehnte zum konsum­genossenschaftlichen Kaufhaus­konzern der Großeinkaufs­gesellschaft für österreichische Consumvereine – kurz GÖC – gehört.

Das in einem Lichtermeer strahlende Warenhaus, dessen Devise es ist, nicht einzelnen Schichten der Bevölkerung, sondern allen zu dienen und alle Gebrauchsartikel in guter Qualität zu möglichst billigen Preisen zu verkaufen, ist in kurzer Zeit eines der hervorragendsten Warenhäuser Wiens geworden… Das Neue Wien.

Dem Trunk verfallen

Der Alkohol stellt gerade in der Arbeiterschaft ein ernstes Problem dar. Viele Arbeiter fliehen aus ihren elenden Wohnungen in die Wirtshäuser und suchen im Alkohol Trost für ihre tristen Lebensver­hältnisse. Ein großer Teil ihres kargen Lohnes bleibt beim Wirten, gleichzeitig versinken die Familien im Elend.

Schon Friedrich Engels schreibt 1845 über „die Lage der arbeitenden Klasse in England“: Der Arbeiter kommt müde und erschlafft von seiner Arbeit heim; er findet eine Wohnung ohne alle Wohnlichkeit, feucht, unfreundlich und schmutzig; er bedarf dringend einer Aufheiterung, er muss etwas haben, das ihm die Arbeit der Mühe wert, die Aussicht auf den nächsten sauren Tag erträglich macht [...] es ist die moralische und physische Notwendigkeit vorhanden, dass unter diesen Umständen eine sehr große Menge der Arbeiter dem Trunk verfallen muss. 

... und der trinkende Arbeiter denkt nicht 

Ich gehe auf den Schnaps wie ein Jagdhund.Stadtrat Julius Tandler, 1925

Die Arbeiterbewegung sieht im Kampf gegen den Alkohol deshalb von Beginn an eine zentrale Aufgabe. Der dem Arzt und Parteigründer Victor Adler zugeschriebene Ausspruch Der denkende Arbeiter trinkt nicht und der trinkende Arbeiter denkt nicht wird zur Leitlinie des 1905 gegründeten Arbeiter-Abstinentenbundes, der sich um Aufklärung, aber auch um Hilfe für die Familien der Alkoholiker bemüht.

Die Ausstellung in der Stafa wird von zahlreichen Artikeln in den diversen sozialdemokratischen Blättern begleitet.
Die Unzufriedene, die seit ihrem Bestand [...] einen Aufklärungsfeldzug gegen den Alkohol führt, diesen Feind der Menschheit, der namenloses Unglück über die Arbeiterschaft der ganzen Welt bringt, widmet der „sozial­hygienischen Ausstellung“ am 31. Oktober sogar ihre Titelseite. In lebensgroßen Modellen, heißt es da, werde die Auswirkung des Alkoholmissbrauchs an menschlichen Organen wie Herz, Niere, Leber und Hirn illustriert.

Tabellen veranschaulichen die Unfallhäufung an Wochenenden sowie die Auswirkungen von Alkohol auf den Lernerfolg von Kindern, die täglich oder nur hie und da Alkohol trinken. Und als gesunde Alternative zum Bier preisen die Wiener Kleingärtner Obst und Gemüse aus eigenem Anbau an.

40.000 Siedlerhäuser vertrunken

Unter dem Titel Wege zur richtigen Sparsamkeit hebt Das Kleine Blatt den Aspekt der Geldvernichtung durch den Alkoholkonsum hervor. 40.000 Siedlerhäuser werden jährlich in Österreich vertrunken. Die Stafa hat deshalb zur Anschauung, was alles für die Kinder und für die ganze Familie angeschafft werden kann, wenn auch nur ein einziges Glas Bier oder ein Glas Wein täglich eingespart wird, Waren ausgestellt, zum Beispiel touristische Ausrüstungen,Radio und Photoapparate, Küchen und Büchereien, die für das eine Glas täglich erworben werden könnten.

Gerade deshalb, so die Arbeiter-Zeitung in ihrem Bericht, sei ein Warenhaus der beste Ort, um zu zeigen, welch schöne Dinge sich selbst ein mäßiger Trinker leisten könnte, wenn er auf den Alkohol verzichtete: Damit tritt die praktische Kücheneinrichtung oder der schöne Radioapparat in eine geradezu fühlbare Konkurrenz mit dem Alkoholgetränk, für das die Anschaffungskosten so schöner oder lebensnotwendiger Dinge vergeudet werden.

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