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Aktuelle Seite: Der Ehestifter
0058 | 12. FEBRUAR 2022    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

Der Ehestifter

Am 12. Februar 1942 stirbt Albert Sever als innerlich gebrochener Mann in Wien.

Der 1867 im kroatischen Zagreb geborene Sever kommt nach dem Tod des Vaters mit der Mutter nach Wien. Hier erlernt er zunächst das Fleischhauergewerbe, später arbeitet er in einer Buntpapier­fabrik, dann als Angestellter einer Krankenkasse.

Ein organisatorisches Talent

Franz Schuhmeier, der „Volkstribun von Ottakring“, der glänzende Redner und begnadete Agitator, holt den jungen Mann in die Politik. In dem als Raucherklub getarnten politischen Verein „Apollo“ zeigt sich Severs Organisationstalent. Gemeinsam mit seinem Mentor entwickelt er das System der Vertrauenspersonen und der Gliederung der Partei in Sektionen; Sever schafft damit die organisatorischen Grundlagen einer modernen Massenpartei. Wegen „politischer Delikte“ wird er mehrmals angeklagt und auch verurteilt.

1908 wird Albert Sever in den niederösterreichischen Landtag, 1911 in den Reichsrat gewählt. Nach der Ermordung seines Freundes Schuhmeier übernimmt er 1913 als dessen Nachfolger die Funktion des Bezirksobmanns der Ottakringer Sozialdemokraten, der zum damaligen Zeitpunkt stärksten Parteiorganisation Wiens.

Als die Sozialdemokraten bei der Wahl des niederösterreichischen Landtages am 4. Mai 1919 die absolute Mehrheit erhalten, wird Albert Sever zum ersten demokratisch legitimierten Landeshauptmann Nieder­österreichs gewählt, ein Amt, das er bis zum 10. November 1920, dem Tag des Inkrafttretens der Bundesverfassung, die die Abtrennung Wiens von Nieder­österreich einleitet, ausübt. In der Folge konzentriert sich Sever auf die Parteiarbeit in Ottakring, gehört aber auch bis zuletzt dem Nationalrat an, der im März 1933 von der Regierung Dollfuß de facto aufgelöst werden wird.

Die „Sever-Ehen“

Besonders populär und gleichzeitig heftig umstritten wird Sever durch eine Verordnung, die geschiedenen Personen die Wiederverheiratung ermöglicht. Im Gegensatz zu Deutschland kennt Österreich bis 1938 eine obligatorische Zivilehe mit der Möglichkeit der Scheidung nicht, deren Einführung scheitert am Widerstand der mächtigen katholischen Kirche und der Christlichsozialen Partei. Aufgrund eines einfach zu erlangenden Dispenses des Landeshauptmanns können so Tausende „wilde“ Ehen in staatlich anerkannte umgewandelt werden. Die Christlichsozialen und die katholische Kirche laufen gegen die sogenannten Sever-Ehen Sturm.

Verfassungsgerichtshof und Oberster Gerichtshof sind über Severs Verordnung und die darauf beruhenden Ehen allerdings uneins; der OGH sieht Severs Verordnung als ungültig an, der VfGH erklärt sie für gültig. Die Ehen bleiben deshalb aufrecht. Nach der Trennung Wiens von Nieder­österreich werden dort keine Dispensehen mehr geschlossen.
Im neu entstandenen Bundesland Wien führt Bürgermeister Karl Seitz die Dispenspraxis jedoch fort. Insgesamt machen über 25.000 Paare von der Möglichkeit der Gebrauch.

Der Verfassungsgerichtshof wird von Seiten der Christlichsozialen deshalb massiv attackiert und beschuldigt, die „Vielweiberei“ zu fördern. Der Verfassungsjurist Hans Kelsen, der als Befürworter der Dispensehe gilt, wird in der christlichsozialen „Reichspost“ antisemitisch angegriffen und anderenorts sogar als „Haremshälter“ diffamiert.

1929 nimmt die rechtskonservative Bundesregierung eine Neubestellung der eigentlich auf Lebenszeit bestellten Verfassungsrichter vor. Kelsen wird dabei nicht mehr in den Kreis der Richter aufgenommen, er verlässt Österreich, das er auf dem Weg in die Diktatur sieht, bereits 1930.

Karikatur der Woche.
„Professor Dr. Hans Kelsen wurde in dem neuen Verfassungsgerichtshof zum Mitglied nicht ernannt, obwohl er der Schöpfer dieser höchsten Gerichtsbarkeit ist.
– Ja, aber Herr Professor, was wollen Sie denn in dem entpolitisierten Verfassungsgerichtshof? Sie sind doch nur eine Autorität, aber kein Parteimann.“

Das NS-Regime wird nach dem „Anschluss“ 1938 die obligatorische Zivilehe durchsetzen.

Ein gebrochener Mann

Im Zuge des Bürgerkriegs im Februar 1934 wird Albert Severs Frau Ida bei der Beschießung des Ottakringer Arbeiterheimes – das Ehepaar lebt in einer der dort errichteten Wohnungen – am 13. Februar von einem Granatsplitter getötet, er selbst verhaftet. Nach seiner Freilassung im Oktober 1934 zieht sich Sever aus dem politischen Leben zurück. Das Ende des Faschismus in Österreich wird er nicht mehr erleben...

Die in den Jahren 1930/31 nach Plänen von Alexander Popp errichtete Wohnhausanlage, 16., Maroltingergasse 56-58, trägt seit 1949 den Namen Severhof. In Floridsdorf ist die Albert-Sever-Straße nach ihm benannt, in Ottakring der 1959 eröffnete Albert-Sever-Saal, Schuhmeierplatz 17-18.
Literatur
Ulrike Harmat, Ehe auf Widerruf?, 1999; Rudolf Aladár Métall, Hans Kelsen. Leben und Werk, 1969; Albert Sever. Ein Mann aus dem Volk, 1956.

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