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Am 15. September 1929 wird der Rabenhof in der Landstraße feierlich eröffnet.
Die Arbeiter-Zeitung berichtet: Auf der Fläche, die heute von imposanten Bauten, schönen Gärten und prächtigen Kinderspielplätzen bedeckt ist, stand ehedem die Krimskykaserne mit ihren Reit-, Fahr- und Exerzierplätzen, Stallungen, Geschützschuppen und Mannschaftsbaracken, und rund um dieses habsburgische Machtzentrum waren uralte Baulichkeiten mit entsetzlichen Elendswohnungen und Geschäftslokalen im Innern.
Der Rabenhof ist mit einer Grundfläche von 50.000 m2, 1.097 Wohnungen mit vier verschiedenen Wohnungstypen – vom Einzelzimmer bis zur Wohnung mit zwei Zimmern und einem Kabinett –, 38 Geschäftslokalen, vier Ateliers, einem Krankenkassenambulatorium, einer Zentralwäscherei mit 44 Waschständen, einem Kindergarten mit Spielplatz, einer Schulzahnklinik, einem Arbeiterheim, einem Parteilokal, einer Volksbibliothek und einem 400 Personen fassenden Saal mit Nebenräumen für den Kinderhort eine der größten und bestausgestatteten Wohnhausanlagen Wiens.
Im großen Hof wird in der Ersten Republik ein Kinderfreibad mit umliegenden Pawlatschen eingerichtet, und vor dem Kindergarten steht die Bronzefigur „Tanzende“ von Otto Hofner (1930), der auch die Figur „Der Sämann“ im Ehrenhof des Karl-Marx-Hofes geschaffen hat.
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Errichtet wird die weitläufige Anlage in den Jahren 1925 bis 1928 nach Plänen der Otto-Wagner-Schüler Heinrich Schmid (1885–1949) und Hermann Aichinger (1885–1962), die bereits 1912 ein gemeinsames Atelier gründen und bald zu den meistbeschäftigten Architekten der Zwischenkriegszeit zählen. Neben zahlreichen Wohnhausanlagen wie dem Fuchsenfeldhof, dem Herweghhof, dem Matteottihof, dem Reismann-Hof, dem Julius-Popp-Hof oder dem Somogyihof werden auch das heutige Hanusch-Krankenhaus und das Österreichische Verkehrsbüro gegenüber der Secession nach ihren Entwürfen errichtet.
Der Rabenhof stellt jedoch kein monumentales Bauwerk im Sinne ihres Lehrers dar. Da die Gemeinde Wien erst nach und nach in den Besitz der Grundstücke gelangt, wird zunächst das Gebiet zwischen der Baumgasse und der Rabengasse und erst später der Bereich zwischen der Hainburger Straße und der Lustgasse verbaut.
Nicht auf einmal ist die Anlage entstanden, sondern nach und nach, weil große Teile des Geländes mangels entsprechender Enteignungsgesetze den früheren Besitzern geradezu Meter für Meter abgerungen werden mußten.
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Die „romantisch-kleinstädtische“ Lösung, die beim Rabenhof gewählt wird, ist deshalb auch als Abkehr von Otto Wagner und als eigenständige Antwort auf den schwierigen und weitverzweigten Bauplatz zu sehen. Die Anlage gruppiert sich um die Rabengasse als zentrale Achse und besteht aus einer malerischen Abfolge von Höfen, Durchgängen, Treppen, Pergolen und Plätzen. Bestechend ist auch die Fülle expressionistischer Details, etwa in den Balkon- und Loggiengruppen – diese wurden größtenteils im Zuge der Sanierung nach Bombentreffern zugebaut – oder in den expressiven Mustern der Klinkerverkleidungen.
Besondere Akzente entstehen durch ein freistehendes „Hochhaus“ und den großen Spitzbogenbau beim Kardinal-Nagl-Platz, der – ähnlich wie beim Matteottihof – gleichermaßen ein „Stadttor“ bildet. Auf diese Weise entsteht der Eindruck einer gewachsenen Stadtanlage, beinahe im Sinne von Otto Wagners konservativem Gegenspieler Camillo Sitte.
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Die privaten, halböffentlichen und öffentlichen Zonen unterscheiden sich nicht nur stilistisch, sondern auch durch das verwendete Material – der öffentliche Bereich ist durch eine massive Ziegelbasis akzentuiert, die Gemeinschaftseinrichtungen unterscheiden sich von den darüber liegenden Wohnzonen; Balkone, Loggien und Erker kennzeichnen die Wohnbereiche.
Das große Grundstück wird zu 38% bebaut, der Hof bietet etwa 5.000 Menschen eine Wohnstätte. Im Jahr 1931 wird die Anlage nach dem plötzlich und unerwartet verstorbenen Chefredakteur der Arbeiter-Zeitung Friedrich Austerlitz benannt.
In der Umgebung des Rabenhofs entstehen zeitgleich mehrere kleinere Anlagen: Der heutige Franz-Silberer-Hof nach Plänen von Georg Rupprecht am Kardinal-Nagl-Platz, der Franz-Schuster-Hof nach Plänen von Alfred Kraupa in der Hagenmülerasse 14–16, die Wohnhausanage in der Hagenmüllergasse 21–23 nach Plänen von Karl Dirnhuber, der Bau in der Hagenmüllergasse 25 nach Plänen von Hugo Mayer, der Roman-Feleis-Hof nach Plänen von Johann Rothmüller in der Hagenmüllergasse 32 und der Anton-Kohl-Hof nach Plänen der Otto Wagner-Schüler Camillo Fritz Discher und Paul Gütl in der Rüdengasse 8–10.
Mit einem Foto vom Leichenzug für den beliebten Landstraßer Gemeinderat Anton „Pane“ Kohl ziert der Austerlitz-Hof das letzte Cover des Kuckuck vom 11. Februar 1934. Zwei Tage später werden der Hof und die umliegenden Häuser nach kurzem, aber heftigem Gefecht vom Bundesheer besetzt. Die Austrofaschisten benennen die Wohnhausanlage 1935 nach der Rabengasse, die ihren Namen wiederum von einem spätbarocken Hausschild „Zum Raben“ erhalten hatte, in „Rabenhof“ um. Eine Rückbenennung bleibt nach Kriegsende aus; 1949 wird eine relativ unscheinbare Wohnhausanlage in Ottakring „Austerlitz-Hof“ benannt.
Der Rabenhof 1946 © WStLA
Nach der Behebung der Kriegsschäden werden 1954 eine Spielplastik des Bildhauers Josef Schagerl und 1959 die Natursteinplastik „Musizierende Kinder“ der Künstlerin Margarete Hanusch als zusätzlicher Schmuck im Rabenhof aufgestellt. An der Fassade in der Baumgasse erinnert eine Gedenktafel an die in der NS-Zeit hingerichtete Widerstandskämpferin Margarete Jost.
Der große Veranstaltungssaal, in dem in der Ersten Republik neben Filmvorführungen auch andere Veranstaltungen – etwa der Arbeitersänger oder der Naturfreunde – abgehalten wurden und der von 1934 bis 1971 als Kino fungierte, wird glücklicherweise nicht demoliert; hier hat seit 1990 das Rabenhof Theater seinen Sitz.
Der Waschsalon Karl-Marx-Hof bietet regelmäßig Führungen durch den Rabenhof an.
Literatur: Hans und Rudolf Hautmann, Die Gemeindebauten des Roten Wien 1919–1934, 1980; Helmut Weihsmann, Das Rote Wien. Sozialdemokratische Architektur und Kommunalpolitik 1919–1934, 1985/2002; Walter Zednicek, Architektur des Roten Wien, 2009.