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Aktuelle Seite: Die Anfänge der Frauenbewegung sind bürgerlich.
0098 | 28. JANUAR 2023    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

Die Anfänge der Frauenbewegung sind bürgerlich.


Am 28. Januar 1893 wird im Sitzungssaal des Alten Rathauses in der Wipplingerstraße der Allgemeine Österreichische Frauenverein (AÖFV) gegründet. Es ist der erste politische Frauenverein des Landes und geht aus einer Protestkund­gebung hervor.

Die Frauen in Österreich erhalten das Wahlrecht bekanntlich erst im Jahr 1919. Alle Frauen? Nein. Das ab 1861 geltende Kurienwahlrecht koppelt das Wahlrecht an den Bildungsgrad und die Steuerleistung – nicht jedoch an das Geschlecht. Somit sind einige wenige privilegierte Frauen in Niederösterreich, Böhmen und der Steiermark auf Landtagsebene wahlberechtigt. 1888 wird ihnen jedoch das Wahlrecht für den Landtag und im Jahr darauf auch das Gemeindewahlrecht wieder entzogen. Einige Lehrerinnen organisieren daraufhin in den damaligen Vororten Wiens eine Protestkundgebung, aus der schließlich der Allgemeine Frauenverein hervorgeht, der die Frauenfrage erstmals in ihrem vollen Umfang thematisiert.

Gründungsmitglieder sind u.a. die Lehrerinnen Auguste Fickert und Maria Schwarz, die Schriftstellerin und Exponentin des „linken Flügels“ Rosa Mayreder, die Frauenrechts­aktivistin Marie Lang und die Publizistin Marianne Hainisch. Die Leitungsstelle bleibt vorerst unbesetzt, erst 1897 wird Auguste Fickert zur Präsidentin gewählt.

Nur 300 Mitglieder

Der Verein vertritt eine überparteiliche Richtung innerhalb der Frauenbewegung, kooperiert zeitweise mit den Sozialdemokratinnen, grenzt sich vom bürgerlich-christlichen Lager jedoch klar ab. Mit seinem Programm kann der AÖFV allerdings nur eine Minderheit ansprechen: Die proletarischen Frauen sind für die „bürgerliche“ Frauenbewegung nur schwer erreichbar und vielen bürgerlichen Frauen sind die Forderungen des AÖFV zu radikal.

Wichtigste Ziele sind die Erringung des allgemeinen Wahlrechts, die Zulassung zu allen Bildungsstätten und die Schaffung gleichbe­rechtigter Berufsmöglichkeiten für Frauen. Der Verein veranstaltet Kurse und Vortragsabende, richtet eine kleine Bibliothek ein und gibt ab 1893 sogar eine eigene Zeitschrift heraus.

Dokumente der Frauen

Der linksliberale Abgeordnete Ferdinand Kronawetter stellt den Frauen für ihre monatliche Publikation „Das Recht der Frau“ zwischen 1893 und 1897 sein Parteiorgan „Volksstimme“ zur Verfügung. 1899 machen sich die Frauen unabhängig und gründen die „Dokumente der Frauen“, herausgegeben von Auguste Fickert, Marie Lang und Rosa Mayreder. In den „Dokumenten“ erscheinen Diskussionsbeiträge und Artikel zu aktuellen politischen und sozialen Fragen, darunter auch zu Tabuthemen wie Prostitution oder Sexualität.

Der AÖFV setzt sich auch für eine Verbesserung der Dienstbotinnen­ordnung sowie für eine Reform des Ehe- und Familiengesetzes ein, thematisiert die schwierige Situation der erwerbstätigen Frauen aus der Mittelschicht, speziell der im Staatsdienst tätigen, und trägt damit wesentlich zu deren Politisierung bei. Von den Gewerkschaften und der Sozialdemokratie waren diese Frauen bislang vernachlässigt worden.

Bildung und Frauenstudium

Ein weiteres Betätigungsfeld des Vereins betrifft den Zugang zu Bildungsinstitutionen. 1897 werden Frauen als ordentliche und außerordentliche Hörerinnen an der philosophischen Fakultät der Universität zugelassen, ab 1900 auch zum Medizinstudium. Der Zugang zu den rechts- und staatswissenschaftlichen Studien sowie den Technischen Hochschulen wird erst durch die „Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Inneres und Unterricht der Republik Österreich“ im Jahr 1919 bzw. durch einen Erlass des Unterrichtsministeriums erfolgen.

Nach einem persönlichen Zerwürfnis zwischen Auguste Fickert und Rosa Mayreder auf der einen und Marie Lang auf der anderen Seite werden die „Dokumente der Frauen“ 1902 eingestellt. Bis 1918 fungiert das „Neue Frauenleben“, herausgegeben von Auguste Fickert, als Vereinsorgan.

Zwist und Bedeutungsverlust

Als sich im Jahr 1902 auf Initiative Marianne Hainischs 13 bürgerliche Frauenvereine zum Bund Österreichischer Frauenvereine (BÖFV) zusammenschließen, tritt auch der AÖFV bei. Bald kommt es jedoch zu ersten Unstimmigkeiten, da der neue Verband den Vertreterinnen des AÖFV „zu unpolitisch“ ist. 1906 verlässt der AÖFV den Bund im Streit, eine Reihe von Frauen kehrt daraufhin allerdings dem AÖFV den Rücken. Der solcherart geschwächte Allgemeine Österreichische Frauenverein verliert nach dem Tod seiner Präsidentin Auguste Fickert im Jahr 1910 immer mehr an Bedeutung.

Mit Beginn des Ersten Weltkriegs kommt der Kampf um das Frauenwahlrecht zum Erliegen. Außerdem spaltet der Krieg auch die bürgerliche Frauenbewegung. Der AÖFV hält, im Gegensatz zu anderen Frauenvereinen, an seiner pazifistischen Grundhaltung fest und unterstützt Initiativen zur Beendigung des Krieges.

1919 löst sich der Verein endgültig auf. Viele seiner Aktivistinnen verlagern ihre politischen Aktivitäten auf die internationale Bühne und engagieren sich in der in Zürich gegründeten „Womens International League for Peace and Freedom“.

Literatur
Elisabeth Guschlbauer, Der Beginn der politischen Emanzipation der Frau in Österreich (1848-1919), 1974; Gabriella Hauch, Vom Frauenstandpunkt aus. Frauen im Parlament 1919-1933, 1995. dies., Frauen bewegen Politik. Österreich 1848-1938, 2009.

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