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Aktuelle Seite: „Die Frauenbewegung kann da nur eine Nebenrolle spielen.“
0078 | 17. AUGUST 2022    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

„Die Frauen­bewegung kann da nur eine Nebenrolle spielen.“


Am 17. August 1907, einen Tag vor dem großen Internationalen Sozialistenkongress, wird in Stuttgart die Erste Internationale Sozialistische Frauenkonferenz eröffnet – streng genommen ein illegales Treffen, da erst das Reichsvereins­gesetz von 1908 den Frauen eine politische Betätigung erlauben sollte.

Die Tagesordnung der dreitägigen Konferenz wird am 22. Juli 1907 im Blatt „Die Gleichheit. Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen“ angekündigt. Die „Gleichheit“ wird von Clara Zetkin herausgegeben und zählt 1907 etwa 70.000 Abonentinnen.

Die Zeitschrift berichtet über die Internationale sozialistische Frauenbewegung, sie vernetzt die organisierten Genossinnen der einzelnen Länder und sie agitiert für die Einführung eines uneingeschränkten allgemeinen Frauenstimmrechts. Als einziges europäisches Land hat Finnland den Frauen eben erst das Wahlrecht zugestanden. Eine der in Stuttgart anwesenden Delegierten ist darum auch die Abgeordnete zum finnischen Parlament Hilja Pärssinen.

Insgesamt nehmen 58 Delegierte aus 15 Ländern an den Beratungen teil. Gastdelegierte kommen aus der Petersburger Sozialdemokratie und dem jüdischen Frauenbund in Russland, aus dem zum Zarenreich gehörenden polnischen Textilzentrum Łódź und sogar aus dem fernen Bombay.

Deutschland ist offiziell durch 15 Frauen vertreten, darunter Clara Zetkin, Rosa Luxemburg und Lily Braun. Für Österreich sind acht Frauen anwesend, unter ihnen „Frau Adelheid Popp, Frau Adler, Frau Schlesinger-Eckstein […], Frau Boschek, Frau Freundlich“.

Das Wahlrecht als „soziale Mündigkeitserklärung“

Clara Zetkin, die anerkannte Führungspersönlichkeit und populärste Vertreterin der sozialistischen Frauenbewegung, referiert über die Frage der internationalen Zusammenarbeit und über das Wahlrecht. Das Frauenwahlrecht, so Zetkin, sei zwar nicht „die Frage aller Fragen“, weil es die sozialen Hemmnisse, welche für die freie, harmonische Lebens­entwicklung und Lebensbetätigung des weiblichen Geschlechts bestehen, nicht beseitigen könne. Für die sozialistische Frauenbewegung sei das Stimmrecht vielmehr eine „Etappe“ auf dem Weg zum „Endziel“, nämlich der Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft, die eine vollständige Gleichbe­rechtigung aller Menschen gewährleiste.  

Madeleine Pelletier, die im Übrigen sehr streitbare französische Frauensekretärin, gibt sich deutlich bescheidener: Unsere Frauen­bewegung ist durch und durch sozialistisch. Sie muß es auch sein. Aber ein klein wenig muß sie doch außerhalb der Partei stehen, denn in den Parteiorganisationen beschäftigt man sich in erster Linie mit brennenden Tagesfragen. Die Frauenbewegung kann da nur eine Nebenrolle spielen.

Die proletarische Frau hat das gleiche Interesse wie der proletarische Mann [...]. Sie leidet ebenso wie der Mann ihrer Klasse, ja nicht selten noch bitterer als er unter all den Übeln, welche naturnotwendig aus dem Wesen des Kapitalismus fließen. Ottilie Baader

Die Konferenz beschließt die Einrichtung und Angliederung eines eigenen Frauensekretariats bei der Redaktion der „Gleichheit“, die zum gemeinsamen Publikationsorgan bestimmt wird.

Eine bemerkenswerte Rede hält die aus ärmlichen Verhältnissen stammende Vertrauensperson der SPD für frauenspezifische Aktivitäten Ottilie Baader, eine Weggefährtin Clara Zetkins. Als das „Kernziel“ der sozialistischen Frauenbewegung fordert sie nicht weniger als die Beseitigung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung.

Die Geburt des Internationalen Frauentags

Am Ende der Frauenkonferenz wird Clara Zetkin zur Vorsitzenden des neu geschaffenen Internationalen Frauensekretariats gewählt. Drei Jahre später, bei der Zweiten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen, steht die Frage des Frauenwahlrechts erneut in Zentrum der Debatten. Auf Antrag der deutschen Sozialistinnen beschließt die Konferenz die Einführung eines Internationalen Frauentages am 19. März. Mit der Wahl des Datums sollte sowohl der Gefallenen der Märzrevolution von 1848 als auch der Pariser Kommune von 1871 gedacht werden.

Seit 1921 wird der Frauentag im Gedenken an die Rolle der Frauen bei der russischen Februar­revolution 1917 am 8. März begangen.

Auf die Umsetzung ihrer Hauptforderung werden die Frauen noch über ein Jahrzehnt lang warten müssen. In Österreich wird das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht für alle Staatsbürger ohne Unterschied des Geschlechts 1918 eingeführt. Erstmals aktiv und passiv wahlberechtigt sind die österreichischen Frauen bei der Wahl zur Nationalversammlung am 16. Februar 1919.
 

 

Kurz vor der geplanten Dritten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz in Wien bricht der Erste Weltkrieg aus. Nach Kriegsende organisiert sich auch die Sozialistische Frauen Internationale neu. 1925 übernimmt Edith Kemmis an der Seite Friedrich Adlers, Sekretär der Sozialistischen Arbeiterinternationale, das Internationale Frauensekretariat in Zürich. Von 1928 bis 1934 leitet Martha Tausk das Frauensekretariat. Ein Jahr später übersiedelt die Arbeiterinternationale und mit ihr auch das Frauensekretariat nach Brüssel.
Aufgrund des Zweiten Weltkriegs kommt die politische Arbeit praktisch zum Erliegen. Erst 1955 wird der Internationale Sozialdemokratische Frauenrat (International Council of Social Democratic Women, ICSDW) wiederbegründet. 1978 ändert die Organisation mit Sitz in London ihren Namen in Sozialistische Frauen-Internationale (Socialist International Women, SIW).

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