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Am 15. Juni 1893, nur wenige Monate nach Gründung der „Provisorischen Gewerkschaftskommission“ im Oktober 1892 und kurz vor dem ersten Gewerkschaftstag im Dezember 1893, erscheint erstmalsdie Zeitschrift „Die Gewerkschaft“ als „Korrespondenzorgan der gewerblichen Arbeitervereine Österreichs“.
Neben diesem monatlichen „Zentralorgan“, einem kleinformatigen und nur vierseitigen Blättchen, existieren mehr als 50 eigene Branchenblätter, die meist ein bis drei Mal monatlich erscheinen, darunter die Bäcker-Zeitung, die Freie Schuhmacher-Zeitung, das Österreichisch-ungarische Hutmacher Fachblatt, der Vorwärtsder Buchdrucker, der Agitatorfür Handelsagenten, Der Dachdecker,Der Dekorateur, die Einigkeit, „Organ für die Interessen der Buchbinder, Rastrierer, Futteralmacher, Ledergalanterie- und Kartonnagearbeiter und aller verwandten Berufszweige“, Der Eisenbahner, das Fachblatt der Sattler, Taschner und Riemer, die Fachzeitung der Schneider,Der österreichische Handelsangestellte,Der Holzarbeiter,Der Metallarbeiter, die Müller-Zeitung, das Organ der Friseurgehilfen,Der Rauchfangkehrer,Der Tabakarbeiter, Der Textilarbeiter,Der Weckrufals „Offizielles Organ der städtischen Bediensteten Wiens“, das Zeitradfür Transportarbeiter oder die Zuckerbäcker-Zeitung.
Ungewöhnlich klassenkämpferische Töne schlägt die Freie Schuhmacher-Zeitung, das „Organ der Arbeiterschaft im Schuhmacherfache Österreich-Ungarns“, an: Die Leute können nicht genug den ungeheuren Fortschritt preisen, den die kapitalistische Gesellschaft mit sich gebracht hat. Sie weisen auf die Wunder des Dampfes und der Elektrizität hin, welche die Produktionsfähigkeit des Arbeiters verzehnfachen, unter Umständen verhundertfachen, und vergleichen triumphierend damit die ärmlichen Produktionsbehelfe des Mittelalters. Dieselben Leute aber wenden sich auf das Wüthendste [sic!] gegen jeden Versuch der Arbeiterklasse, die Arbeitszeit zu verringern, und erklären den achtstündigen Normalarbeitstag für ein frevelhaftes Attentat auf unsere herrliche Kultur!, heißt es in der Ausgabe vom 2. Januar 1895.
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Anton Hueber
Am 1. Juli 1923 übernimmt die „Arbeit und Wirtschaft“ die Aufgaben des gewerkschaftlichen Zentralorgans. Gründer des neuen Blattes sind Anton Hueber, Generalsekretär der Freien Gewerkschaften und Franz Domes, Präsident der Kammer für Arbeiter und Angestellte in Wien. Der Name der Publikation ist Programm, wie aus dem Geleitwort zur ersten Ausgabe hervorgeht: Deshalb hat die Arbeit nicht bloß das Recht, sondern auch die Pflicht und bei ihrer imposanten organisatorischen Stärke die Möglichkeit, vor die Öffentlichkeit hinzutreten, um ihr ihre Anschauungen und Absichten, ihre Vorschläge und Wünsche darzulegen.
Dem Wildwuchs der kleinen Branchenblätter ist damit allerdings noch lange kein Ende gesetzt. Noch im Oktober 1930 klagt der sozialdemokratische Pädagoge Alois Jalkotzy in „Der Kampf“: Die Gewerkschaftspresse weist gigantische Zahlen auf, die von einer ebenso gigantischen Verschwendung zeugen. Es ist charakteristisch, daß es Gewerkschaftsblätter gibt, die mit einer Auflage von nur 500 Stücken erscheinen. Von den 52 gewerkschaftlichen Zeitungen sind nicht weniger als 33 unter einer Auflage von 10.000 Stücken. Die Gesamtauflage beträgt fast 834.000 Stücke, im Jahre mehr als 26,000.000 Stücke.
Nun, die „gigantische Verschwendung“ sollte bald ein jähes Ende finden. Im zunehmend repressiven, von Zensur und Versammlungsverboten geprägten Klima zum Jahreswechsel 1931 fordert der Aufmacher in „Arbeit und Wirtschaft“ am 1. Februar 1934 noch: Keine Gleichschaltung! Wenig später verstummt mit dem sozialdemokratischen Bund der Freien Gewerkschaften auch die freie Gewerkschaftspresse für 11 lange Jahre.
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Nach der Neugründung der freien Gewerkschaftsbewegung in Form des überparteilichen ÖGB – nunmehr als einheitliche Organisation aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – wird auch die Gewerkschaftszeitschrift neu belebt.
Die erste Nummer erscheint am 8. Juni 1945 unter dem sperrigen Titel „Der österreichische Arbeiter und Angestellte – Mitteilungsblatt des österreichischen Gewerkschaftsbundes und der Sozialversicherungsinstitute“. Ihr Umfang ist mit vier großformatigen Seiten noch relativ bescheiden, weshalb in den kommenden Monaten und Jahren nach und nach wieder eigene Fachblätter der damals noch 16 Einzelgewerkschaften entstehen – als erstes geht der „Vorwärts“, das Organ der grafischen und papierverarbeitenden Betriebe ins Rennen.
Mit Beginn des Jahres 1947 wird der Name der gemeinsamen Gewerkschaftszeitschrift schließlich auf „Solidarität“ abgeändert. Und ab Mai 1966 erscheint sie monatlich als erste farbige Illustrierte des Landes.