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Aktuelle Seite: Die neue „Bilderzeitung“
0147 | 6. APRIL 2024    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

Die neue „Bilderzeitung“


1927 rauchen in der Redaktion des Vorwärtshauses die Köpfe. Die Journalisten Julius Braunthal und Siegfried Weyr arbeiten an der Konzeption einer modernen, massen­tauglichen Arbeiter-Illustrierten.

Braunthal ist einer der führenden Journalisten der Sozial­demokratie während der Ersten Republik; seit 1919 innenpolitischer Redakteur der Arbeiter-Zeitung, übernimmt er 1923 von Friedrich Adler die Schriftleitung der Monatsschrift Der Kampf, redigiert ab 1924 die Mitgliederzeitschrift Sozialdemokrat und betreibt ab 1926 mit Nachdruck die Gründung des Kleinen Blattes, das schließlich 1927 erscheint und dessen Chefredakteur er bis 1934 ist.

Siegfried Weyr, der einige Semester an der Akademie studiert und als Maler und Grafiker für diverse „bürgerliche Blätter“ arbeitet, nähert sich in den 1920er Jahren der Sozialdemokratie an und wird von Braunthal zum Kleinen Blatt geholt.

Eine Photographie kann oft mehr sagen als ein Leitartikel. Julius Braunthal

Moderne Zeiten

Fotos zur Illustration gibt es zunächst in den USA und in Großbritannien, später auch in deutschen Zeitungen. Die dafür erforderlichen Tiefdruck­rotationsmaschinen sind allerdings teuer und können im Vorwärts erst 1929 angeschafft werden. Am 6. April 1929 erscheint schließlich die erste Nummer des Kuckuck, der mit Abstand modernsten Illustrierten des Landes. Die Artikel des Kuckuck sind knapp gehalten, der Stil ist plakativ, die Blattlinie kämpferisch und antifaschistisch. Sein wichtigstes Medium ist das Bild.

Die bildredaktionelle und künstlerische Leitung des Kuckuck obliegt Siegfried Weyr, der als dessen brillanter Gestalter ab 1930 auch verantwortlicher Redakteur ist. Weyr führt die Fotomontage ein und orientiert sich dabei stark an zeitgenössischen sowjetischen Montagekünstlern und der Berliner Arbeiter-Illustrierten-Zeitung.

Die Frage der Namensgebung ist nicht restlos geklärt. Im tschechischen Reichenberg erscheint in der Zwischenkriegs­zeit ebenfalls ein Blatt namens Der Kuckuck – und in Deutschland gibt es den bürgerlich-liberalen UHU.

30 Groschen. 20 Pfennig. 30 Pappen. 1.60 ČK.

Der 16-seitige Kuckuck erscheint immer sonntags, wird aber bereits am Samstag verkauft. Die Auflage beträgt anfangs 160.000 Stück – ein Teil davon geht nach Deutschland, in die Schweiz und in die ČSR. Infolge der Wirtschaftskrise sinkt die Auflage bis zum Jahr 1932 kontinuierlich auf 29.000 Exemplare. 

Neben Politik gibt es im Kuckuck viel Platz für Mode und Haushalt, Gesundheit und Sport, Wissenschaft und Technik, Kunst und Kultur, aber auch Lesestoff in Form von Fortsetzungs­romanen sowie Bildreportagen aus fernen Ländern – wobei sämtliche Themen aus sozial­demokratischer Perspektive beleuchtet werden.

Die Berichterstattung des Kuckuck sowohl über die USA als auch die UdSSR ist zwiespältig und schwankt zwischen Bewunderung und Sozialkritik, zwischen Zukunftshoffnung und Skepsis.

Gerne berichtet der Kuckuck auch über das Leben der Menschen in Übersee und verbindet Fotoreportagen aus fernen Ländern mit der Kritik an der Politik der Kolonialmächte – und einem Schuss Erotik.

Aus aller Welt

Neben Fotografien druckt Der Kuckuck häufig Illustrationen und Grafiken namhafter Künstlerinnen und Künstler ab – etwa von Arthur Stadler, George Grosz und Käthe Kollwitz. Oft stehen die im Kuckuck präsentierten Kunstwerke in Zusammenhang mit der Bautätigkeit oder wichtigen Persönlichkeiten des Roten Wien.

Breiten Raum nehmen auch Besprechungen von Ausstellungen, Theater- und Kabarett­aufführungen sowie Filmrezensionen ein. Dabei werden die gemeindeeigenen KIBA-Kinos vom Filmkritiker Fritz Rosenfeld ebenso harsch kritisiert wie alle anderen Lichtspielhäuser: „…sie spielen auch oft und oft Filme, die ihrer politischen Einstellung nach in Arbeiterkinos niemals gespielt werden dürften.“

Die Redaktion organisiert auch Wettbewerbe für Hobby­fotografen. Bereits 1933 bringt Der Kuckuck eine doppelseitige Fotoreportage aus den Konzentrationslagern Nazi-Deutschlands. „Marxisten und Deutschnationale, Juden und Katholiken, Kopfarbeiter und Handarbeiter sind zu Zehntausenden im ganzen Deutschen Reich in diese Hölle gepfercht worden“.

„… zu Grabe getragen“

Der fotografische Aufmacher des letzten Kuckuck vom 11. Februar 1934 berichtet vom Leichenzug für den beliebten Landstraßer Gemeinderat Anton „Pane“ Kohl durch den Rabenhof. Tags darauf wird auch die Republik zu Grabe getragen.

Als führendes Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei wird Julius Braunthal bereits im Februar 1934 verhaftet und ein Jahr lang im Anhaltelager Wöllersdorf gefangen gehalten. 1935 verlässt er Österreich, lebt zunächst in Belgien und ab 1936 in England, wo er weiterhin publizistisch tätig ist. Nach Kriegsende ist Braunthal 1951 Mitbegründer und bis 1956 Sekretär der Sozialistischen Internationale. Er stirbt 1972 in Teddington bei London.

Siegfried Weyr emigriert nach dem „Anschluss“ mit seiner jüdischen Frau und lebt bis 1947 in England und den USA. Zurück in Wien, ist er als Redakteur der Zeitungen Kurier und Neues Österreich tätig. Er stirbt 1963 in Wien.

Literatur:
Lisl Glück: Das Interessante Blatt und Der Kuckuck. Ein Beitrag zur Wiener Zeitschriftengeschichte. Dissertation. Universität Wien, 1953. Stefan Riesenfellner, Josef Seiter (Hrsg.): Der Kuckuck. Die moderne Bildillustrierte des Roten Wien. Mit einem Beitrag von Murray G. Hall. Studien zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte, Band 5, Veröffentlichung des Ludwig-Boltzmann-Institutes für Gesellschafts- und Kulturgeschichte, Wien 1995.

PRESSE UND PROLETARIAT

Sozialdemokratische Zeitungen im Roten Wien

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