Die Praterschlacht, illustriert von P.M. Hoffmann
Im August des Revolutionsjahres 1848 ereignet sich etwas Unerhörtes: Erstmals in der Geschichte der Stadt demonstrieren Frauen auf den Straßen.
Die letztendlich gescheiterte Revolution des Jahres 1848 ist nicht nur ein Aufbegehren gegen den Metternich'schen Polizeistaat und die Unterdrückung jeder freien Meinungsäußerung. Wie so oft sind es die schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse, die die Menschen auf die Straße treiben.
Österreich ist im 19. Jahrhundert ein rückständiges Land. Rechtlosigkeit gegenüber der Grundherrschaft und bittere Not sind das Los der großen Mehrheit der Bauern, Arbeitslosigkeit, Teuerung und Wohnungsnot führen zur Verelendung der Arbeiter in den größeren Städten. Auch die Lage des kleinen Bürgertums, der Gewerbetreibenden und der Handwerker, ist zunehmend prekär.
Nach dem vorläufigen Sieg der Revolution im März 1848 steht die Lösung der wirtschaftlichen Probleme an vorderster Stelle. In Wien werden zur Arbeitsbeschaffung „Notstandsarbeiten“ organisiert, etwa Erdarbeiten im Prater und in der heutigen Brigittenau. Für zwölf Stunden schwere körperliche Arbeit erhalten Erwachsene 20 und Kinder 15 Kreuzer. Eine Familie braucht täglich etwa 30 Kreuzer – nach heutiger Kaufkraft knapp 7 Euro.
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Mitte August senkt Arbeitsminister Schwarzer von Heldenstamm den ohnedies niedrigen Tageslohn für diese „öffentlichen Arbeiten“ um 5 Kreuzer. Die Arbeiter protestieren, und am 21. August besetzen demonstrierende Frauen sogar öffentliche Straßen und Plätze in der Wiener Innenstadt – die erste Frauenkundgebung in Österreich.
Von Ernst Schwarzer ist die Aussage kolportiert, eher sollen 10.000 Arbeiter niedergeschossen werden, ehe ich von meinem Entschluss abstehe. Am 23. August versammeln sich erneut 3.000 Arbeiterinnen und Arbeiter im Prater und in der Brigittenau. Lautstark schlagen sie auf die Deckel ihrer Arbeitskübel und provozieren die Obrigkeit mit Strohpuppen, die an einem 5 Kreuzer-Stück zu ersticken drohen.
Die Sicherheitsbehörden sind vom Verhalten der Demonstrantinnen irritiert, die die Soldaten mit ihren Arbeitsgeräten attackieren, sie beschimpfen und so gar nicht dem vorherrschenden Rollenbild der Frau entsprechen.
Polizei und Nationalgarde gehen mit äußerster Brutalität vor. Die „Praterschlacht“ kostet 18 Arbeitern und vier Soldaten das Leben, unter den 282 Verwundeten befinden sich viele Frauen. Es sind die bis dahin blutigsten Kämpfe des Revolutionsjahres in Wien. Eduard von Müller-Tellering, der Wiener Korrespondent der Neuen Rheinischen Zeitung, berichtet: Ich eile, Ihnen von hier aus zu melden, daß im Prater ein Arbeiteraufstand ausgebrochen ist und ein Gemetzel stattgefunden hat […] Die Nationalgarde, sagt man, hat alles niedergehauen, was sich entgegenstellte. 3000 Arbeiter machten den Angriff und trieben die Sicherheitswache zurück. Die Weiber zeigten einen außerordentlichen Mut…
Die Proteste der Arbeiterschaft sind damit niedergeworfen. Zugleich tut sich innerhalb der revolutionären Kräfte eine Kluft zwischen Arbeitern und Bürgern auf, die es den kaiserlichen Kräften erleichtern wird, das revolutionäre Wien noch im Oktober des Jahres niederzuwerfen. Auch die Frauen des Bürgertums verurteilen die Proteste der Arbeiterinnen und sympathisieren mit den Gardisten.
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Unter dem Eindruck der Praterschlacht gründet Karoline von Perin den Ersten Wiener Demokratischen Frauenverein – und damit den ersten politischen Frauenverein in Österreich. Perin entstammt einer wohlhabenden adeligen Familie.
Im Alter von 24 Jahren heiratet sie standesgemäß den Freiherrn von Perin-Gradenstein. Aus der Ehe gehen drei Kinder hervor. Nach dem frühen Tod ihres Mannes lernt sie um 1845 den Komponisten und Musikkritiker Alfred Julius Becher, einen engagierten Demokraten, kennen und beginnt eine Liaison.
Perins Verein setzt sich für die soziale Gleichberechtigung der Frauen und „die Verbreitung der demokratischen Gesinnung in allen weiblichen Kreisen“ ein. Unter den Mitgliedern sollten keine Standesunterschiede gelten, Männer bleiben allerdings ausgeschlossen. Der Verein spricht sich zwar gegen eine Solidarisierung mit den protestierenden Arbeiterinnen aus, führt allerdings Hilfsaktionen für notleidende und verletzte Frauen durch.
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Am Sonntag, den 3. September 1848, kommt es in Wien zur mächtigsten Demonstration seit den blutigen Märztagen. An vielen Stellen der Stadt sind Plakate angebracht, die „zur großen Leichenfeier für die am 23. August gefallenen Arbeiter“ laden. Tausende Arbeiter, unter ihnen viele Frauen und Kinder, folgen dem Aufruf. Bei den vereinbarten Sammelpunkten bietet sich ein buntes Bild. Mitglieder des Demokratischen Vereins tragen eine große schwarze Fahne mit der Aufschrift: „26. Mai – 23. August“. Auch die Akademische Legion bekundet die Verbundenheit der Studenten mit den Arbeitern. Der eindrucksvolle Trauerzug führt vom Schottentor über die Währinger Straße zum Währinger Friedhof.
Karoline von Perins Demokratischer Frauenverein existiert nur kurz. Nach einer Demonstration von 300 Frauen vor dem Wiener Reichstag am 17. Oktober 1848 muss sie sich von der Presse als „schmutzige Amazone“, „politische Marktschreierin“ und „unweibliche Geliebte eines Demagogen“ beschimpfen lassen. Im Zuge der Niederwerfung der Revolution Ende Oktober werden auch Perin und ihr Lebensgefährte verhaftet. Alfred Julius Becher wird, gemeinsam mit seinem Journalistenkollegen Hermann Jellinek, zum Tode verurteilt und am 23. November hingerichtet.
Auch Karoline von Perin muss für ihr politisches Engagement büßen. In Polizeigewahrsam schwer misshandelt, wird sie für psychisch krank erklärt, verliert ihr gesamtes Vermögen und auch das Sorgerecht für ihre Kinder. Sie verlässt Wien und geht nach München. In ihren Memoiren „Ungedruckte Aufzeichnungen“ distanziert sie sich von ihrer Beteiligung am Oktoberaufstand und erhält schließlich die Erlaubnis, nach Wien zurückzukehren, wo sie eine Arbeitsvermittlungsstelle eröffnet.
Das Vereinsrecht von 1849 hält fest, dass sich Frauen politisch nicht organisieren dürfen – eine Bestimmung, die noch bis 1918 gilt.
Literatur
Gabriella Hauch, Frau Biedermeier auf den Barrikaden. Frauenleben in der Wiener Revolution 1848, 1990; dies., Frauen bewegen Politik. Österreich 1848–1938, 2010; Dieter Hein, Die Revolution von 1848-49, 1998; Pieter M. Judson, Wien brennt! Die Revolution von 1848 und ihr liberales Erbe, 1998; Ernst Violand, Die soziale Geschichte der Revolution in Österreich 1848, 1984.