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Bücherverbrennung auf dem Opernplatz in Berlin
Am 10. Mai 1933 erreicht die Barbarei in Deutschland einen ersten Höhepunkt.
Die öffentlichen Bücherverbrennungen sind eine von der NSDAP, der Hitlerjugend, der SA und der Deutschen Studentenschaft geplante Kampagne, bei der die Werke „verfemter Autoren“ dem Feuer übergeben werden.
Die Aktionen, die auf die Mobilisierung und Gleichschaltung der deutschen Universitäten, ihrer Professoren und Studierenden abzielen, beginnen Ende März 1933 und erstrecken sich bis in den Herbst. Höhepunkt der „Aktion wider den undeutschen Geist“ ist die am 10. Mai auf dem damaligen Berliner Opernplatz, dem heutigen Bebelplatz, organisierte und zeitgleich an 18 weiteren Standorten ablaufende öffentliche Bücherverbrennung.
Der jüdische Geist, wie er sich in der Welthetze in seiner ganzen Hemmungslosigkeit offenbart, und wie er bereits im deutschen Schrifttum seinen Niederschlag gefunden hat, muß aus diesem ausgemerzt werden.Deutsche Kultur-Wacht, 9/1933
Initiatoren sind der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund und die konkurrierende Deutsche Studentenschaft, die bereits Anfang April anläßlich der schamlosen Greuelhetze des Judentums im Ausland einen mehrwöchigen Feldzug gegen den jüdischen Zersetzungsgeist und für volksbewußtes Denken und Fühlen im deutschen Schrifttum plant.
Bereits am 12. April werden in den deutschen Universitäten 12 Thesen wider den undeutschen Geist in roter Frakturschrift plakatiert und von vielen gleichgeschalteten Zeitungen abgedruckt. Darin wird unter anderem behauptet: Unser gefährlichster Widersacher ist der Jude und der, der ihm hörig ist, oder: Der Jude kann nur jüdisch denken. Schreibt er deutsch, dann lügt er. Der Deutsche, der deutsch schreibt, aber undeutsch denkt, ist ein Verräter, sowie: Deutsche Schrift steht nur Deutschen zur Verfügung. Der undeutsche Geist wird aus öffentlichen Büchereien ausgemerzt. Der Verfasser dieser brandgefährlichen „Thesen“ Paul Karl Schmidt wird unter dem Pseudonym Paul Carell nach 1945 übrigens eine zweite Karriere als erfolgreicher Journalist und Sachbuchautor starten.
Etwa zur gleichen Zeit erfolgt ein Aufruf zum Boykott der für unsere deutsche Hochschule untauglichen Hochschullehrer. Dazu gehören neben Juden und politisch Andersgesinnten auch Professoren, deren wissenschaftliche Methode ihrer liberalen bzw. insbesondere ihrer pazifistischen Einstellung entspricht. Es kommt zu organisierten Übergriffen gegen wissenschaftliches Personal und Studierende, Vorlesungen werden gestört, Professoren am Betreten ihrer Arbeitsstätte gehindert. An einigen Universitäten werden „Schandpfähle“ errichtet, an denen die Namen der verfemten Professoren oder Autoren angeschlagen sind.
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Ende April geht es dem „zersetzenden Schrifttum“ schließlich an den Kragen. Die Studenten sind aufgefordert, ihre eigenen Bibliotheken zu „säubern“, anschließend werden die Universitäts- und Institutsbibliotheken, aber auch öffentliche Büchereien und sogar Buchhandlungen durchkämmt. Unterstützung erhalten die studentischen Aktionen vom Fachorgan des Verbandes Deutscher Volksbibliothekare und dem altehrwürdigen Börsenblatt des deutschen Buchhandels, die detaillierte Verbotslisten publizieren. Die indizierten Bücher werden von studentischen Stoßtrupps zusammengetragen und abtransportiert.
Höhepunkt der barbarischen Propagandashow ist die physische „Hinrichtung des Ungeistes“ am 10. Mai 1933. Tags zuvor werden in einem Rundschreiben sogenannte „Feuersprüche“ versandt, die landesweit während des ritualisierten Autodafés verlesen werden sollen.
Übergebt alles Undeutsche dem Feuer!
Gegen Klassenkampf und Materialismus, für Volksgemeinschaft und idealistische Ehrenauffassung! Ich übergebe dem Feuer die Schriften von Karl Marx und Kautsky.
Gegen Dekadenz und moralischen Zerfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat! Ich übergebe dem Feuer die Schriften von Heinrich Mann, Ernst Glaeser, Erich Kästner.
Gegen Gesinnungslumperei und politischen Verrat, für Hingabe an Volk und Staat! Ich übergebe dem Feuer die Schriften des Friedrich Wilhelm Foerster.
Gegen seelenzersetzende Überschätzung des Trieblebens, für den Adel der menschlichen Seele! Ich übergebe dem Feuer die Schriften der Schule Sigmund Freuds.
Gegen Verfälschung unserer Geschichte und Herabwürdigung ihrer großen Gestalten, für Ehrfurcht vor unserer Vergangenheit! Ich übergebe dem Feuer die Schriften des Emil Ludwig Cohn.
Gegen volksfremden Journalismus demokratisch-jüdischer Prägung, für verantwortungsbewusste Mitarbeit am Werk des nationalen Aufbaus! Ich übergebe dem Feuer die Schriften von Theodor Wolff und Georg Bernhard.
Gegen literarischen Verrat am Soldaten des Weltkriegs, für Erziehung des Volkes im Geist der Wehrhaftigkeit! Ich übergebe dem Feuer die Schriften von Erich Maria Remarque.
Gegen dünkelhafte Verhunzung der deutschen Sprache, für Pflege des kostbarsten Gutes unseres Volkes! Ich übergebe dem Feuer die Schriften von Alfred Kerr.
Gegen Frechheit und Anmaßung, für Achtung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen deutschen Volksgeist! Verschlinge, Flamme, auch die Schriften von Tucholsky und Ossietzky!
© Bundesarchiv, Bild 102-14598
Gegen 20 Uhr eröffnen Kundgebungen in den Auditorien der Universitäten den gespenstischen Spuk. Nach Einbruch der Dunkelheit führt die Meute die Bücher in einem Fackelzug zum Verbrennungsort, wo das Spektakel gegen Mitternacht enden soll.
In Berlin zieht der Fackelzug von der Universität entlang der Museumsinsel zur Oranienburger Straße, wo bereits 25.000 Bücher in Lastwägen ihrem Schicksal harren. Im strömenden Regen geht es von hier zum Königsplatz, dem heutigen Platz der Republik vor dem Reichstagsgebäude.
Die unheimliche Prozession wird von Tausenden Schaulustigen gesäumt, Korporationsstudenten in Couleur, Professoren in Talaren, Verbände der SA, der SS und der Hitler-Jugend. Eskortiert von berittener Polizei geht es durch das Brandenburger Tor zum festlich erleuchteten Opernplatz vor dem Universitätsgebäude.
Und im Jahre 1933 wurden meine Bücher in Berlin, auf dem großen Platz neben der Staatsoper, von einem gewissen Herrn Goebbels mit düster feierlichem Pomp verbrannt. Vierundzwanzig deutsche Schriftsteller, die symbolisch für immer ausgetilgt werden sollten, rief er triumphierend bei Namen. Ich war der einzige der Vierundzwanzig, der persönlich erschienen war, um dieser theatralischen Frechheit beizuwohnen.Erich Kästner, 1946
Da sich der Scheiterhaufen wegen des strömenden Regens nicht entzünden lässt, hilft die Feuerwehr mit Benzinkanistern nach. Die „Feuersprüche“ werden verlesen, die ersten Bücher „mit großer Geste“ verbrannt, die übrigen Bücher fliegen unter allgemeinem Gejohle bündelweise ins Feuer. Die Schriften von insgesamt 94 Autoren werden in dieser Nacht vernichtet. Einer von ihnen befindet sich mitten unter den Zuschauern – Erich Kästner.
Weitere Bücherverbrennungen finden zeitgleich in deutschen Hochschulstädten wie Bamberg, Frankfurt am Main, Göttingen und Marburg a.d. Lahn statt. Anderenorts muss das Spektakel wegen der schweren Regenfälle verschoben werden.
In Freiburg wird die Bücherverbrennung mit der traditionellen Sonnwendfeier am 24. Juni zusammengelegt. Der neue Rektor der Universität, der Philosoph Martin Heidegger, hält eine schwärmerisch-pathetische Ansprache: Flamme künde uns, leuchte uns, zeige uns den Weg, von dem es kein Zurück mehr gibt! Flammen zündet, Herzen brennt!
Weitere nicht-studentische Bücherverbrennungen finden in den darauffolgenden Wochen in zahlreichen anderen deutschen Städten statt, insgesamt wohl mehr als einhundert.
Zahlreiche Schriftsteller verschwinden nicht nur aus den Regalen des Buchhandels und der Bibliotheken, aus Schulen und Theatern. Viele von ihnen werden ins Exil gezwungen, andere, wie Carl von Ossietzky oder Erich Mühsam, physisch vernichtet. Ihre Plätze nehmen regimetreue Autoren ein.
Da kommen sie nun aus allen Löchern gekrochen, die kleinen Provinznutten der Literatur, nun endlich, endlich ist die jüdische Konkurrenz weg – jetzt aber! […] Lebensgeschichten der neuen Heroen. Und dann: Alpenrausch und Edelweiß. Mattengrün und Ackerfurche. Schollenkranz und Maienblut – also Sie machen sich keinen Begriff, Niveau null, schreibt Kurt Tucholsky 1933.
Am 12. Mai 1933 fordert der nach Österreich geflüchtete Oskar Maria Graf, nachdem er erfahren hatte, dass seine Werke verschont worden waren, in der Arbeiter-Zeitung die sofortige Verbrennung seiner Bücher: Ich bin also dazu berufen, einer der Exponenten des ‚neuen‘ deutschen Geistes zu sein! Vergebens frage ich mich, womit ich diese Schmach verdient habe? [...] Nach meinem ganzen Leben und nach meinem ganzen Schreiben habe ich das Recht, zu verlangen, daß meine Bücher der reinen Flamme des Scheiterhaufens überantwortet werden und nicht in die blutigen Hände und die verdorbenen Hirne der braunen Mordbande gelangen! Verbrennt die Werke des deutschen Geistes!
© Bundesarchiv, Bild 183-W0409-300 / Kolbe, Jörg
Bertolt Brecht schreibt dazu in „Die Bücherverbrennung“:
Als das Regime befahl, Bücher mit schädlichem Wissen
Öffentlich zu verbrennen, und allenthalben
Ochsen gezwungen wurden, Karren mit Büchern
Zu den Scheiterhaufen zu ziehen, entdeckte
Ein verjagter Dichter, einer der besten, die Liste der
Verbrannten studierend, entsetzt, daß seine
Bücher vergessen waren. Er eilte zum Schreibtisch
Zornbeflügelt, und schrieb einen Brief an die Machthaber.
Verbrennt mich! schrieb er mit fliegender Feder, verbrennt mich!
Tut mir das nicht an! Laßt mich nicht übrig! Habe ich nicht
Immer die Wahrheit berichtet in meinen Büchern? Und jetzt
Werd ich von euch wie ein Lügner behandelt! Ich befehle euch, Verbrennt mich!
In Österreich müssen die Feueranbeter noch bis zum sogenannten Anschluss warten. Am 30. April 1938 kommt es auf dem Residenzplatz in Salzburg schließlich zur feierlichen Verbrennung von mehr als tausend Büchern meist jüdischer, aber auch klerikaler Autoren.
Literatur
Erich Kästner, Bei Durchsicht meiner Bücher, 1946; Werner Treß (Hrsg.): Verbrannte Bücher 1933. Mit Feuer gegen die Freiheit des Geistes, 2009.