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Aktuelle Seite: „Ein Ausflug nach dem Monde“
0061 | 27. MÄRZ 2022    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

„Ein Ausflug nach dem Monde“

So lautet der Titel der ersten Aufführung der Wiener Urania im März 1897. Gegründet wird sie vom Wiener „Urania-Syndikat“ nach dem Vorbild „der gleich­namigen Berliner Unternehmung“. Diese war bereits 1888 mit dem „statutarischen Zwecke“ ins Leben gerufen worden, „Freude an der Naturerkenntnis zu verbreiten“.

Die lebhafte Theilnahme der hervorragendsten Männer der Wissenschaft und Technik an dem Unternehmen ermöglicht es, in einem großen fachmännischen Beirath alle in Betracht kommenden Zweige des Wissens so zu präsentieren, daß die ‘Urania‘ eine wirkliche Volkshoch­schule aller naturwissenschaftlichen Fächer bilden wird, schreibt die Arbeiter-Zeitung. Ihren Namen erhält die Einrichtung von der griechischen Muse Urania, der Schutzgöttin der Sternkunde.

Zu Beginn ein Provisorium

1898 bezieht die Urania als Teil der Kaiser-Franz-Joseph-Jubiläumsausstellung ein Gebäude im Wiener Prater, das mehreren hundert Personen Platz bietet und neben einem großen Vortragssaal auch Räume für wissenschaftliche Demonstrationen sowie eine Sternwarte enthält. Nach dem Ende der Ausstellung im Herbst des Jahres werden die provisorisch errichteten Bauten, darunter auch die Urania, demoliert.

In den folgenden Jahren finden die populärwissenschaftlichen Vorträge an wechselnden Orten statt. Besonderer Beliebtheit erfreuen sich die Lichtbildvorträge mittels einer Laterna magica, der frühen Form eines Projektionsgerätes. Für regelrechtes Aufsehen sorgt 1905 der Lichtbildvortrag des Journalist Emil Kläger. Durch die Wiener Quartiere des Elends und Verbrechens zeigt die erschütternde Armut in manchen Teilen Wiens, muss insgesamt über 300 Mal wiederholt werden und zieht etwa 60.000 Besucher an.

Ein eigenes Haus

Kassenschlager wie Klägers Sozialreportage spiegeln sich auch in den Besucherzahlen wider. Im Jahr 1904 zählt die Urania 65.000 Besucher, 1906 sind es bereits doppelt so viele. Der Erfolg der zeitgleich begründeten Volkshochschule Ottakring lässt den Entschluss reifen: Ein eigenes Gebäude muss her. Der Wiener Gemeinderat stellt dem Verein einen Baugrund am Aspernplatz – dem heutigen Julius-Raab-Platz – für den symbolischen Jahreszins von nur 10 Kronen zur Verfügung.

Mit der Planung des neuen und repräsentativen Gebäudes wird Max Fabiani beauftragt, ein Schüler Otto Wagners. Das eigentümliche, neobarocke Bauwerk wird nach einer Bauzeit von nur elf Monaten am 6. Juni 1910 eröffnet. Die gemeinsam mit dem Volksbildungs­institut errichtete Urania Sternwarte ist somit die älteste Volkssternwarte Österreichs.

Am Ende des Schottenrings, [...] ist schon von weitem ein riesiges, weißes Gebäude sichtbar. Sein Stil und die Architektur sind scharf abweichend von den anderen Palästen ringsherum. Wie wenn es ein Turmtorso einer Kirche wäre. Es ist wirklich eine Kirche: ein Tempel der Wissenschaft, schreibt der ungarische Schriftsteller Felicián Kupcsay.

Vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges zählt die Urania bei über 1.700 Veranstaltungen mehr als 360.000 Besucher, doppelt so viele wie das Berliner Original. Neben populärwissenschaftlichen Vorträgen und Kursen veranstaltet das Haus auch zahlreiche Dichterlesungen junger Literaten wie Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal, Alfons Petzold oder Egon Friedell.

Im Dienste der Volksbildung

Die Lehrmittel waren das naturwissenschaftliche Drama, in welchem den breiten Schichten der Bevölkerung der Kampf des Menschen mit den Naturgewalten und die technischen Errungenschaften mit den Mitteln der Theaterkunst volkstümlich veranschaulicht wurden...Ludwig Koessler, Volksbildner und Präsident der Urania

Mit Kriegsbeginn werden erstmals auch Sprachkurse für „Sprachen der Monarchie und ihrer Verbündeten“ angeboten  Bulgarisch, Ungarisch, Kroatisch, Italienisch und sogar Türkisch.

Ihre Blütezeit erlebt die Wiener Urania in der Ersten Republik. Renommierte Wissenschaftler wie der Nationalökonom Otto Neurath, der Vater der österreichischen Verfassung Hans Kelsen, der Psychiater Julius Wagner-Jauregg oder die Kern­physikerin Lise Meitner halten Vorträge an der Urania, die auch über die neuesten technischen Hilfsmittel verfügt.

Für das Referat des Physikers Albert Einstein, der am 13. Januar 1921 seine Relativitätstheorie  präsentiert, muss wegen des regen Publikumsinteresses sogar der Große Saal des Konzerthauses angemietet werden. Auch ganze Schulklassen werden als Ergänzung zum Unterricht zu speziellen „Schülervorträgen“ in die Urania geführt.

Daneben bringen das 1921 gegründete Urania-Sinfonie-Orchester und der gemischte Urania-Chor zahlreiche musikalische Werke, darunter sogar konzertante Opern zur Aufführung.

Im Zuge der Weltwirtschafts­krise bietet die Urania Film­vorführungen und Vorträge, aber auch Umschulungs- und Fortbildungskurse für Arbeitslose an.

Zäsur und Neubeginn

Unmittelbar nach dem sogenannten Anschluss wird die Urania in die „ostmärkische Erwachsenen­bildung“ eingegliedert und damit Teil des Deutschen Volksbildungswerks der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“. Das Kursprogramm wird im Sinne der neuen Machthaber und ihrer Ideologie umgestellt. Im Mittelpunkt stehen nun deutsche Geschichte,deutsche Kultur und deutsches Geistesleben.

Mit Kriegsausbruch wird das Programm patriotischer und militärischer, mit Fortdauer des Krieges geht die Zahl der Veranstaltungen drastisch zurück. Anfang Oktober 1944 wird das Gebäude bei einem Luftangriff schwer beschädigt, die Kuppel und sämtliche astronomischen Instrumente der Sternwarte sind zerstört. Die Rote Armee nutzt die Ruine schließlich sogar als Pferdestall.

Krawutzi Kaputzi

Aufgeräumt und einigermaßen instandgesetzt kann die Urania am 1. September 1946 wiedereröffnet werden. Allerdings wird die ursprüngliche Architektur Max Fabianis beim Wiederaufbau durch An- und Umbauten stark verändert. Dafür zieht 1950 das Urania Puppentheater hier ein.

1984 bekommt die Urania ein erstes Facelifting. Die Fassade wird restauriert und in den Zustand vor dem Zweiten Weltkrieg zurückversetzt. Anfang der 2000er Jahre erfolgt schließlich die Generalsanierung der mittlerweile in den Volkshochschulverband eingegliederten Urania; das Gebäude erhält einen modernen Vorbau, die Technik wird auf den neuesten Stand gebracht.

Literatur
Wilhelm Petrasch (Hrsg.), 100 Jahre Wiener Urania. Festschrift, 1997; ders., Die Wiener Urania. Von den Wurzeln der Erwachsenenbildung zum lebenslangen Lernen. Böhlau, 2007; Volksbildung im demokratischen Wien. 50 Jahre Wiener Urania, 1947.

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