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Aktuelle Seite: „Ein Kaiser der Arbeiter und der kleinen Leute“
0121 | 13. AUGUST 2023    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

„Ein Kaiser der Arbeiter und der kleinen Leute“

Am 13. August 1913 stirbt August Bebel in einem Schweizer Sanatorium an Herzversagen. Er wird auf dem Friedhof Sihlfeld in Zürich beigesetzt.

In Bebel liebten wir alle den höchsten Typus des deutschen Proletariers. Sein unersättlicher Wissensdurst und seine unbegrenzte Lernfähigkeit, seine rücksichtslose Schroffheit im Kampfe und seine weiche, gemütvolle Menschlichkeit…Arbeiter-Zeitung, 1913

Der 1840 in ärmlichen Verhältnissen in Deutz bei Köln gebore­ne Ferdinand August Bebel wird früh zum Waisen und erlernt das Drechslerhandwerk. Seine Gesellenwanderung führt ihn durch Süddeutschland, wo er einem katholischen Gesellenverein beitritt.

In Sachsen findet Bebel schließlich Arbeit in einer Werkstatt. Leipzig ist damals ein Zentrum des von liberalen bürgerlichen Kreisen unterstützten Vereinswesens für Arbeiter und Handwerker. 1861 tritt er dem eben erst gegründeten Gewerblichen Bildungsverein bei. Zu diesem Zeitpunkt vertritt der junge August Bebel noch den Standpunkt, die Politik habe sich aus dem Bildungsverein herauszuhalten, damit sich dieser ganz auf die Fortbildung der Arbeiter konzentrieren könne. Und als Mitglied des Vereinsvorstandes befürwortet er sogar den Ausschluss mehrerer Kollegen, die den Verein in eine politische Organisation umwandeln wollen.

Über Lassalle zu Marx

Auf die Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV) durch Ferdinand Lassalle im Mai 1863 reagieren die liberalen Vereine bereits im Juni durch den Zusammenschluss zu einem eigenen Dachverband, dem Vereinstag Deutscher Arbeiter­vereine (VDAV). Am zweiten Verbandstag wird August Bebel zum stellvertretenden Vorsitzenden des Dachverbandes gewählt.

Bebel, der 1864 seine eigene Werkstatt eröffnet, versteht sich immer noch als Handwerker. Den Forderungen Ferdinand Lassalles nach einem allgemeinen und gleichen Wahlrecht steht er zunächst ablehnend gegenüber – die Arbeiter seien politisch noch nicht reif. Doch allmählich vollzieht sich ein bemerkenswerter politischer Gesinnungswandel. Durch seine Auseinandersetzung mit den Schriften Lassalles nähert sich Bebel allmählich dem Marxismus an.

Eine nicht unwesentliche Rolle spielt dabei die Begegnung mit dem 14 Jahre älteren Wilhelm Liebknecht, der im Londoner Exil mit Karl Marx und Friedrich Engels in Kontakt gekommen war und sich 1865 in Leipzig niederlässt.

Die beiden ungleichen Persönlich­keiten, der radikaldemokratische Revolutionär Liebknecht und der überzeugte  Parlamentarier und hervor­ragende Rhetoriker Bebel, gelten bald als die „Unzertrennlichen“.

1866 gründen sie die radikal-demokratische und anti-preußische Sächsische Volkspartei. Im selben Jahr tritt Bebel der sozialistischen Internationalen Arbeiter­assoziation (IAA) bei, wenig später schließt sich auch der VDAV der Ersten Internationale an.

Eisenach und die Folgen

Am 8. August 1869 kommt es im thüringischen Eisenach zum Zusammenschluss der Sächsischen Volkspartei, des VDAV und einer Hand voll abtrünniger Mitglieder des Lassall'schen ADAV zur Sozial­demokratischen Arbeiterpartei (SDAP), eine von mehreren Vorläufer­parteien der SPD.

Wichtigste Ziele des in Eisenach beschlos­­senen Programms sind die „Errichtung eines freien Volksstaates“, die Abschaffung der Klassenherrschaft und die „Überwindung der bestehenden Produktionsverhältnisse durch genossenschaftliche Arbeit“, eine deutliche Konzession an die Vorstellungen des konkurrierenden ADAV. Nicht durchsetzen kann sich Bebel in der Namensfrage. Die von ihm präferierte Bezeichnung „Demokratisch Sozialistische Partei“ findet keine Mehrheit.

1867 wird August Bebel in den neuen Reichstag gewählt, dem er mit einer kurzen Unterbrechung bis zu seinem Tod im Jahr 1913 angehören wird. Während es Liebknecht, wie Ernst Schraepler in seiner Biographie schreibt, ablehnt zu „paktieren und parlamenteln“, engagiert sich Bebel aktiv in Fragen des Arbeiterschutzes sowie der Frauen- und der Kinderarbeit.  Hilfreich sind dabei seine brillanten rhetorischen Fähigkeiten. Selbst Bismarck soll Bebel als den „einzigen Redner“ im Parlament bezeichnet haben.

Plötzlich „Vaterlandsverräter“

Der Deutsch-Französische Krieg von 1870 löst eine innerparteiliche Krise aus. Die beiden Abge­ord­neten der SDAP, Bebel und Liebknecht, wenden sich gegen die Bewilligung von Kriegskrediten, verweigern wollen sie diese im Hinblick auf die „frevelhafte und verbrecherische Politik Bonapartes“ jedoch auch nicht. Ihre Stimmenthaltung wird vom Parteiausschuss scharf kritisiert. Nach der französischen Niederlage in der Schlacht bei Sedan fordert die Partei ein sofortiges Ende des Krieges. Im Reichstag protestiert August Bebel gegen die Annexion von Elsass-Lothringen und warnt sehr hellsichtig vor der wach­senden Feindschaft zwischen Deutschen und Franzosen. Bebel und mit ihm die gesamte Partei gelten daraufhin als „Vaterlandsverräter“.

Krieg den Palästen, Friede den Hütten

Im ersten Reichstag des neuen Deutschen Kaiserreichs kritisiert August Bebel die Wahl des Ortes zur Reichsgründung scharf. Diese findet ausgerechnet in Versailles, im besiegten Frankreich, statt – Der Säbel stand als Geburtshelfer dem Reich zur Seite, der Säbel wird es ins Grab begleiten! – und solidarisiert sich offen mit der blutig niedergeschlagenen Pariser Kommune.

Wenn auch im Augenblick Paris unterdrückt ist, dann erinnere ich Sie, daß der Kampf nur ein kleines Vorpostengefecht ist, daß die Hauptsache in Europa uns noch bevorsteht, und daß, ehe wenige Jahrzehnte vergehen, der Schlachtruf des Pariser Proletariats: Krieg den Palästen, Friede den Hütten, Tod der Not und dem Müßiggang der Schlachtruf des gesamten Proletariats sein wird!  

Hochverrat!

Reden wie diese bestärken Bismarck in der Annahme, bei den Sozialisten handle es sich um staatsgefährdende Revolutionäre. 1872 werden Bebel und Liebknecht im Leipziger Hochverratsprozess angeklagt und zu zwei Jahren verurteilt.

In der unfreiwilligen Muße des Gefängnislebens fand er Zeit und Ruhe, das „Kapital“ zu lesen.Arbeiter-Zeitung, 1913

Bebel nutzt die Zeit in der Haft zur eigenen Fortbildung und spricht später von seiner „Haftuniversität“. Er beginnt mit den ersten Recherchen zu seinem berühmtesten Werk, „Die Frau und der Sozialismus“, außerdem entsteht eine Arbeit über den Bauernkrieg von 1525.

Während Bebel seine Gefängnisstrafe absitzt, wird der Einigungsprozess zwischen der SDAP und den verbliebenen Vertretern des ADAV fortgeführt. Karl Marx und Friedrich Engels versuchen von London aus, den Einfluss der Lassalle-Anhänger zurückzudrängen, der bereits aus der Haft entlassene Wilhelm Liebknecht ist im Interesse der Einheit zu ideologischen Zuge­ständnissen bereit. August Bebel, der darauf hofft, das „Lassalle’sche Gift“ zu überwinden, ist zur Untätigkeit verdammt.

Unter dem Sozialistengesetz

Nach zwei fehlgeschlagenen Attentaten auf Kaiser Wilhelm I. im Jahr 1878, die Reichs­kanzler Bismarck den Sozialisten anlastet, wird das Parlament aufgelöst.

Der neugewählte Reichstag beschließt das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestre­bungen der Sozialdemokratie“, kurz Sozialistengesetz. Die Partei und ihre Nebenorganisationen, einschließlich der sozialdemo­kratischen Gewerkschaften und Zeitschriften, sind nun verboten.

August Bebel, der durch sein Mandat persönlich geschützt ist, kämpft unermüdlich um das Überleben der Bewegung und wird dadurch zu ihrer zentralen und führenden Persönlichkeit. Auf seine Initiative hin werden die Befürworter anarchistischer und gewaltbereiter Positionen innerhalb der Partei ausgeschlossen. In den folgenden Jahren schwanken Bebel und der Rest der sozialdemo­kratischen Reichstagsabgeordneten zwischen Fundamental­opposition und konstruk­tiver Mitarbeit – etwa bei der weiteren Einschränkung der Frauen- und der Kinderarbeit.

1889 scheitert Bismarck mit seinem Versuch, das seit Oktober 1878 geltende Sozialistengesetz noch weiter zu verlängern. Die erstarkte Sozialdemokratie kommt bei der Reichstagswahl 1890 auf knapp 20 Prozent der Stimmen und zieht mit 35 Abgeordneten in den Deutschen Reichstag ein.

Die Gründung der SPD

Nach dem Auslaufen des Sozialisten­gesetzes ändert die Partei ihren Namen in Sozialdemo­kratische Partei Deutschlands (SPD). August Bebel ist sowohl am Gründungs­kongress der Sozialistischen Inter­nationale 1889 als auch an der Erarbeitung des Erfurter Programms von 1891, in dem sich die Partei wieder stärker dem Marxismus zuwendet, aktiv beteiligt. Seine Hoffnung, nun endlich eine parlamentarische Mehrheit zu erreichen, erfüllt sich jedoch nicht. Und auch der schwelende Streit zwischen Reformisten und Sozial­revolutionären flammt immer wieder auf.

Bebel tritt nun sogar für ein Zusammengehen mit bürgerlichen Parteien ein, falls dies für die Verbesserung der sozialen Lage oder zur Abwehr „arbeiter- und volksfeindlicher“ Bestrebungen erforderlich sei. Naturgemäß erntet sein Vorstoß scharfe Kritik seitens der Parteilinken. Die Positionen seines Freundes Eduard Bernstein, denen zufolge sich die SPD zu einer linken demokratischen Reformpartei entwickeln müsse, lehnt er hingegen entschieden ab und bekämpft die als Revisionismus bezeichnete Strömung vehement.

Ich will der Todfeind dieser bürgerlichen Gesellschaft und dieser Staatsordnung bleiben, um sie in ihren Existenzbedingungen zu untergraben und sie, wenn ich kann, zu beseitigen. Solange ich atmen und schreiben und sprechen kann, soll es nicht anders werden.

Zwischen den Stühlen

Die darauffolgenden Jahre sind geprägt von Flügelkämpfen zwischen der Parteilinken um Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Clara Zetkin auf der einen und dem überwiegend reformistischen Gewerkschafts­flügel auf der anderen Seite. August Bebel versucht zu vermitteln.

Unter Bebels Führung verfolgt die SPD einen klaren antiimperi­alistischen Kurs, prangert wiederholt die Menschenrechts­verletzungen in den deutschen Kolonien an, v.a. bei der brutalen Niederschlagung des Herero-Aufstands 1904 in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia. Vergeblich tritt er für ein Bündnis mit England ein, denn wie Karl Marx oder Victor Adler sieht auch er im russischen Imperialismus die größte Gefahr für den Frieden in Europa.

Seine letzten Lebensjahre verbringt August Bebel aus gesund­heitlichen und familiären Gründen überwiegend in Zürich, wo seine Tochter Frieda mit ihrem Mann lebt. An den Parlamentssitzungen nimmt er kaum mehr teil.

Im Jahr 1909 beginnt Bebel mit der Niederschrift seiner Autobiographie „Aus meinem Leben“. Die Teile eins und zwei erscheinen 1910 und 1911, der dritte Teil bleibt unvollendet. 1910 stirbt seine Ehefrau Julie, 1912 sein Schwiegersohn, der Mediziner Ferdinand Simon. Auch viele seiner alten Weggefährten sind nicht mehr am Leben.

August Bebel und Wien

August Bebel ist mehrmals als Gast in Wien, etwa 1892 bei einer Volksversammlung, 1894 anlässlich des Wahlrechts­parteitages oder 1901 beim Wiener Parteitag. 1912 – ein Jahr vor seinem Tod – kommt Bebel ein letztes Mal nach Wien. Anlass ist die Feier zum 60. Geburtstag Victor Adlers im Mariahilfer Hubertuskeller.

Die Frauen dürfen so wenig auf die Hilfe der Männer warten, wie die Arbeiter auf die Hilfe der Bourgeoisie warteten.August Bebel, Die Frau und der Sozialismus, 1879

1927 benennt das Rote Wien eine nach den Plänen des Architekten Karl Ehn errichtete Wohnhaus­anlage nach August Bebel. Bürgermeister Karl Seitz erinnert in seiner Eröffnungsrede an einen „Großen der Welt“: Sein Lebenswerk zu würdigen ist hier nicht möglich. Aber wenn von August Bebel nichts andres zu berichten wäre, als daß er das Buch der Frau geschrieben hat, so wäre er dafür allein schon unsterblich.

Werke (Auswahl)
Die Frau und der Sozialismus, 1879; Die Sozialdemokratie und das Allgemeine Stimmrecht, 1895; Aus meinem Leben, Bd. 1–3, 1910, 1911, 1914.

Literatur
Ernst Schraepler: August Bebel. Sozialdemokrat im Kaiserreich, 1966; Werner Jung: August Bebel. Deutscher Patriot und internationaler Sozialist, 1988; Francis L. Carsten: August Bebel und die Organisation der Massen, 1991; Jürgen Schmidt: August Bebel – Kaiser der Arbeiter, 2013.

Link
August-Bebel-Institut

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