Wie auf allen Gebieten hat der Krieg auch im Schulbetriebe arge Verwüstungen hinterlassen: die Gebäude waren verwahrlost, die Einrichtungsgegenstände beschädigt, die Lehrbücher zerschlissen…
Am 15. März 1919 wird Otto Glöckel zum Leiter des Wiener Schulamtes bestellt. Es herrscht Aufbruchsstimmung. Die neuen Lehrpläne, die erstmals auch die kostenlose Abgabe von Lehr- und Lernmitteln für die Schüler öffentlicher Pflichtschulen in Wien vorsehen – eine erste Gratisschulbuchaktion –, machen neue und moderne Lehr- und Schulbücher nötig.
Im Jahr 1921 wird deshalb der Deutsche Jugendschriftenverlag gegründet. Nach wenigen Monaten wird der Name in Deutscher Verlag für Jugend und Volk geändert, später auf Verlag Jugend & Volk verkürzt. Der Verlag soll die Entwicklung zeitgemäßer Lehrmittel fördern und befindet sich zu 60 Prozent in kommunaler Hand. Durch die Beteiligung erhält die Gemeinde Wien das Büchermaterial für die Schulen in guter Qualität und zu billigen Preisen, berichtet die Arbeiter-Zeitung.
Die altgewohnten „leitfadenartigen“ Lehr- und Lernbücher werden nun sukzessive durch moderne Arbeitsbücher ersetzt. An die Stelle der Lesebücher, die den Schrecken der Kinder bildeten, ist die Klassenlektüre getreten, für welche von der Gemeinde 100 inhaltlich geschlossene Bändchen herausgegeben wurden, anfangend von den einfachen Märchen und Fabeln bis zu einer Auswahl aus den Klassikern und der modernen Literatur, bilanziert Robert Danneberg 1929.
Der Jugend & Volk-Verlag steht bis 1934 ganz im Dienst der Wiener Schulreform. Erster wissenschaftlicher Leiter wird Viktor Fadrus, ein enger Mitarbeiter Otto Glöckels und – neben Hans Fischl und Carl Furtmüller – einer der „drei großen F“, wie man die Schulreformer um Glöckel nennt. Jugend & Volk, das steht für die Trennung von Kirche und Staat, für eine demokratische und soziale Erziehung, für eine kindgerechte Pädagogik und für den Abbau der Bildungsprivilegien durch die Förderung einer proletarischen Kinder- und Jugendliteratur.
Das Verlagsprogramm umfasst Lehrbücher für die Volksschule und Mittelstufe, Klassenlesestoff und pädagogische Werke sowie Kinder- und Jugendbücher. Darunter befinden sich so innovative Werke wie die Fibel Wiener Kinder von Johann Heeger und Alois Legrün, das Sprachbuch Wie ich richtig erzähle und schreibe des deutschen Reformpädagogen Karl Linke, die Rechenfibel Eins, zwei, drei, lustig ist die Rechnerei von Konrad Falk oder das Liederbuch Ringa – Ringa – Reia von Hans Enders, Gustav Moißl und Curt Rotter. Die neuen Wandbilder, die die Klassenwände schmücken, werden von unter der Ungunst der Zeitverhälnisse schwer leidenden Künstlern gestaltet und sind auch als Hilfsaktionen für das grafische Gewerbe gedacht.
Durch diese stete Beschäftigung mit guten Büchern und Bildern wird vom ersten Schultag an das Feingefühl für gutes Schrifttum erweckt und damit der Ekel vor Schund und Schmutz erreicht.Otto Glöckel, 1927
1927 veröffentlicht Otto Glöckel bei Jugend & Volk seine Reformschrift Die Entwicklung des Wiener Schulwesens seit 1919. Darin heißt es zum Thema Schulbücher: Schon das Äußere der Bücher erregt in den Kindern die Sehnsucht nach dem guten Buche, die Lust zum Lesen, den Drang nach Anlage einer eigenen Bücherei.
Großen Wert wird deshalb auf das Äußere der neuen Bücher gelegt: Führende österreichische Künstler haben den Buchschmuck beigesteuert. Gutes, weißes Papier und sorgfältig gewählte Drucktypen, farbige Umschläge geben den Bändchen ein anziehendes Aussehen.
Nach dem Februar 1934 und dem Verbot der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei wird der Verlag umstrukturiert, das sozialdemokratisch gesinnte Personal entlassen. Ab 1938 erfolgt die nächste Neuaufstellung, im Verlag erscheint nun u.a. „Die junge Ostmarkreihe“.
Im Laufe seiner wechselvollen Geschichte bringt der Verlag neben Schulbüchern und pädagogischer Literatur auch populäre Kinder- und Jugendbücher, Zeitschriften und Belletristik heraus. Weite Verbreitung finden die Bücher von Mira Lobe und Christine Nöstlinger, das Kinderlexikon Die Kinderwelt von A bis Z und die Welt von A bis Z für Jugendliche.
Ab 1995 ist Jugend & Volk Teil der Bohmann-Verlagsgruppe, seit 2012 gehört er mit dem Wiener Verlag E. Dorner zur deutschen Westermann-Gruppe.