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Aktuelle Seite: Eine „eigenartige Begabung“
0114 | 10. JUNI 2023    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

Eine „eigenartige Begabung“


Im Juni 1928 wird auf der Rasenfläche zwischen dem Matteottihof, dem Herweghhof und dem späteren Julius-Popp-Hof der sogenannte Bären­brunnen errichtet – von den Medien bejubelt als „das erste in Wien öffentlich aufgestellte Werk einer Bildhauerin“.

Offiziell heißt der Brunnen „Tierkreisbrunnen“. Muß er aber von der Jugend nicht „Bärenbrunnen“ genannt werden, da die beiden Bären schon von weitem leuchtende Kinderaugen auf sich ziehen?

Im Rahmen der feierlichen Eröffnung dieser drei bereits längst fertiggestellten „Baublöcke, die zusammen 953 Wohnungen enthalten“ im Juni 1928 erwähnt die Arbeiter-Zeitung den „zierlichen Bären­brunnen“ nur en passant als „besonderen Schmuck“ der Anlage.

Die bürgerliche Neue Freie Presse hingegen widmet dem Bären­brunnen auf dem Margaretengürtel gleich eine ganze Spalte: Sicherlich wird diese frisch und heiter, lebens­bejahend wirkende Arbeit der jungen Bildhauerin Hanna Gärtner bald populär sein.

Der Autor ergeht sich in einer detaillierten Beschreibung der an der Basis des Brunnens ange­brachten Tierkreiszeichen sowie von „Bärin und Bärenkind“, die „drollige Silhouetten“ ergeben und deren „Naturbeobachtung und materialmäßige Behandlung“ den Rezensenten an die „gute alte Kunst“ der oberitalienischen Frührenaissance erinnern. Dass die Gemeinde den Brunnen an einem öffentlichen Platz ausgestellt habe, sei eine Ehrung, wie sie Frauen­arbeit bisher noch selten zuteil geworden ist.

Die erste Frau

Unter dem Titel „Erfolgreiche Wienerinnen“ geht das Neue Wiener Journal auf die Tatsache ein, dass dieser Brunnen das erste plastische Werk von Frauenhand ist, das öffentlich aufgestellt wird. Die „viel versprechende“ Bildhauerin, Tochter eines bekannten Universitäts­professors und seiner Gattin, einer in der Wiener Gesellschaft, aber auch in den sozialtätigen Kreisen unserer Stadt sehr geschätzten Persönlichkeit, sei überdies auch die erste Frau, die in die Bildhauerschule der Akademie der Bildenden Künste aufgenommen wurde.

In dem wohlwollenden Artikel ist von einem „scharmanten [sic!] Einfall“ und „apartem Reiz“ die Rede, der kleine Bär sei „allerliebst“, und die Künstlerin beweise, wie „fraulich-warm“ sie sich den Geschöpfen verbunden fühle, wie „liebevoll“ sie sie beobachte, wie „intuitiv“ sie ihre Psyche erfasse. Eine richtige Frau eben.

Die Österreichische Illustrierte Zeitung bringt sogar ein Foto des Brunnens. Die Künstlerin hätte ihrem Werk zwar den Namen „Sternenbrunnen“ gegeben, aber selten hat sich der Volksmund rascher über eine Originalbenennung hinweggesetzt als bei diesem Werk, [...] das heute schon der Bären­brunnen heißt. Es sei nicht nur das erste monumentale Werk, das von der Gemeinde Wien bei einer Frau bestellt wurde – ein Werk der jungen Künstlerin habe sogar schon seinen Weg nach Übersee gefunden.

Aus gutem Hause

Hanna Gärtner kommt 1899 als Tochter des bekannten Arztes und Pathologen  Gustav Gärtner und seiner Frau Melanie, geborene Schalek, in Wien zur Welt.

Ihre Tante ist die von Karl Kraus vielgeschmähte Kriegsbericht­erstatterin Alice Schalek.

Nach dem Besuch der Kunst­gewerbeschule, wo sie bei dem secessionistischen Bildhauer Franz Barwig studiert, wird Hanna Gärtner 1920 als erste Frau in die Bildhauerklasse der Akademie der bildenden Künste in Wien aufgenommen.

Einer ihrer Lehrer ist Josef Müllner, der Schöpfer so umstrittener Werke wie des Lueger-Denkmals  oder des Siegfriedskopfes in der Aula der Universität. Im Abschluss­zeugnis bescheinigt er ihr eine „eigenartige Begabung“ und Vielseitigkeit.

1928 schließt Gärtner ihr Studium ab und erhält im selben Jahr den Auftrag, einen Brunnen für den Herweghhof in Margareten zu gestalten. In den folgenden Jahren arbeitet sie überwiegend für private Auftraggeber, schafft Steinplastiken, Büsten, Denkmäler und weitere Brunnenanlagen; für die Augarten-Porzellanmanufaktur entwirft sie mehrere Modelle. Ein echter Exportschlager sind ihre Filzpuppen von bekannten Sportler oder Filmstars, die es bis nach Hollywood schaffen.

Nach dem sogenannten Anschluss entkommen Hanna und ihre Mutter Melanie Gärtner gemeinsam nach Amerika. Hier entwirft Hanna Gärtner eine Kopie des Bären­brunnens für das Anwesen Brown Bear House des Zeitungsheraus­gebers und Verlegers William R. Hearst in Wyntoon, Kalifornien. Das weitere Schicksal der ins Exil getriebenen Künstlerin ist nicht restlos geklärt. Wahrscheinlich hat sie sich im Februar 1948 in Kalifornien das Leben genommen.

2018 wird der Hanna-Gärtner-Park in Margareten nach der Bildhauerin benannt.

Quellen
WienWiki

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