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Aktuelle Seite: „Erbaut aus den Mitteln der Wohnbausteuer“
0099 | 1. FEBRUAR 2023    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

„Erbaut aus den Mitteln der Wohnbausteuer“


Am 1. Februar 1923 tritt in Wien die neue Wohnbausteuer in Kraft.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wächst die Bevölkerung Wiens aufgrund der starken Zuwanderung aus den Kronländern massiv an. Private Zinskasernen schießen aus dem Boden, gleichzeitig sind die Mieten für diese meist minderwertigen Wohnungen exorbitant hoch.

1896 erscheint in der Arbeiter-Zeitung unter dem Titel „Was die Sozialdemokraten von der Kommune fordern!“ ein erstes kommunales Programm. Darin heißt es u.a.: Die Kommune hat ihr Grundeigenthum [sic!] durch Erwerbung noch unverbauter Grundstücke in großem Maßstabe zu vermehren und darauf systematisch Häuser mit billigen Wohnungen zu errichten.

Wiener Wohnungsmisere

Mit Kriegsbeginn 1914 verschärft sich die Wohnungsnot durch die hohe Zahl an Flüchtlingen aus den östlichen Landesteilen. 1917 verfügen nur fünf Prozent aller Wiener Wohnungen über fließendes Wasser, lediglich sieben Prozent über elektrisches Licht. Die meisten Wohnungen sind zudem überbelegt und aufgrund der dichten gründerzeitlichen Bebauung schlecht belichtet und belüftet. Die Tuberkulose grassiert wie eine Seuche und wird in Europa deshalb als „Wiener Krankheit“ bezeichnet.

Nach massiven Protesten erlässt die konservative Regierung im Januar 1917 eine erste „Verordnung über den Schutz der Mieter“ – mit einem Mietzinsstopp („Friedenszins“) und der Einschränkung des Kündigungs­rechtes. Diese Maßnahmen sollen v.a. die Familien der Soldaten vor Miet­erhöhungen und Kündigung schützen. Damit wird noch vor Kriegsende eine der wesentlichen Voraussetzungen für den späteren sozialen Wohnbau geschaffen.

Mieterschutz und Wohnbausteuer

Die christlichsoziale Hinterlassenschaft ist entsetzlich: die Kassen der Gemeinde sind leer.Arbeiter-Zeitung,11.5.1919

Nach den Gemeinderatswahlen im Mai 1919 wird Wien erstmals von einer sozialdemokratisch geführten Stadtregierung verwaltet. Um die Errichtung der dringend benötigten Wohnungen in Angriff nehmen zu können, sucht Finanzstadtrat Hugo Breitner,die Bautätigkeit zunächst über Inlandsanleihen zu finanzieren.

Als Wien im Jahr 1922 ein selbständiges Bundesland wird, ändern sich die rechtlichen Rahmenbedingungen. Die Stadt ist nun in der Lage, ihre eigenen Steuergesetze zu beschließen und legt die Basis für das kommunale Wohnbauprogramm. Zunächst wird der nur provisorische Mieterschutz gesetzlich festgeschrieben und eine Mietzinsabgabe eingeführt.

Am 20. Januar 1923 beschließt die sozialdemokratische Gemeinde­verwaltung – gegen den erbitterten Widerstand der christlich-sozialen Opposition – die Einführung einer zweckgebundenen Wohnbausteuer, die bereits wenige Tage später wirksam wird.

„Der größte Bauherr der Welt“

Bei der Wohnbausteuer handelt es sich um eine stark progressive Steuer, die zwar grundsätzlich alle Mietobjekte erfasst, allerdings derart gestaffelt ist, dass kleine Wohnungen nur 2,1% an Abgaben entrichten müssen, Luxusimmo­bilien hingegen bis zu 36,6%. Diese soziale Staffelung führt dazu, dass die teuersten 0,5% der Objekte 44,5% der Steuereinnahmen erbringen.

Somit kann rund ein Drittel der Kosten für den sozialen Wohnbau aus den Erträgen der Wohnbau­steuer bedeckt werden. Begünstigt wird diese Entwicklung durch den massiven Verfall der Grundstücks­preise, der es der Gemeinde Wien ermöglicht, relativ günstig große Baulandreserven zu erwerben, etwa den sogenannten „Drasche-Gürtel“ im Süden der Stadt, um hier neue Wohnhausanlagen zu errichten.

Das am 21. September 1923 beschlossene erste Wohnbau­programm, das die Errichtung von 25.000 neuen Wohnungen bis 1928 vorsieht, ist bereits 1926 verwirklicht. Als Ergebnis des allgemeinen Interesses an der kommunalen Bautätigkeit tagt 1926 sogar ein internationaler Wohnbaukongress in der Stadt. 1927 beschließt der Wiener Gemeinderat ein zweites Wohnbauprogramm für 30.000 weitere Wohneinheiten.

Die Reichen und Lustigen...

Die Wohnbausteuer ist allerdings nur die bekannteste der insgesamt 18 sogenannten Breitner-Steuern, einer Reihe indirekter Abgaben, die v.a. den Luxus­konsum betreffen.

Breitner selbst erläutert sein neues Steuersystem – etwas provokativ – folgendermaßen: Die Betriebskosten der Schulzahnkliniken liefern die vier größten Wiener Konditoreien [...] Die Schulärzte zahlt die Nahrungsmittel­abgabe des Sacher. Die gleiche Abgabe vom Grand-Hotel, Hotel Bristol und Imperial liefert die Aufwendungen für die Kinderfreibäder. Das städtische Entbindungsheim wurde aus den Steuern der Stundenhotels erbaut und seine Betriebskosten deckt der Jockey-Klub mit den Steuern aus den Pferderennen.

Die Rote Gemeinde holt sich das Geld bei den Reichen und bei den Lustigen, um den Armen und Traurigen in ihrer Not beizustehen.

Von Breitners Steuerpolitik sind also vorrangig jene betroffen, die es sich leisten können, Nachtlokale, Bars, Bordelle, Kabaretts, Pferderennen oder auch Boxkämpfe zu besuchen, die bereits ein Auto besitzen, sich Rennpferde halten und in Luxuswohnungen leben – kurz, das wohlhabende Bürgertum und die Neureichen.

1927 beträgt der Anteil der Breitner'schen „Steuern auf Luxus und besonderen Aufwand“ knapp 65 Millionen Schilling; das entspricht etwa 36 Prozent der Wiener Steuereinnahmen und 20 Prozent der Gesamteinnahmen der Stadt.

Der Kopf des Asiaten

Der kommunale Wohnbau entwickelt sich zum „Wahlkampfschlager“ und entfaltet eine außergewöhnliche Werbewirksamkeit zugunsten der Sozialdemokratie. Das „bürgerliche Lager“ und die konservative Presse agitieren deshalb mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln dagegen. In publizistischen Kampagnen werden die qualitative Unzulänglichkeit der Gemeindebauten angeprangert, der Mieterschutz, die Wohnbau- und andere sogenannte Breitner-Steuern unablässig diffamiert.

Ab 1929, dem Jahr der Weltwirtschaftskrise, beschneidet eine von der konservativen Bundesregierung erzwungene Neufassung des Finanzausgleichs die eigenständige Wiener Finanzpolitik. Das System der Wohnbaufinanzierung stößt bald an seine politischen und ökonomischen Grenzen.

Und kein anderer Sozialdemokrat wird derart heftig und gehässig attackiert wie Hugo Breitner. Während einer Wahlkampfrede am Heldenplatz ruft der christlich-soziale Heim­wehr­führer und österreichische Innenminister Ernst Rüdiger Starhemberg 1930 aus: Nur wenn der Kopf dieses Asiaten in den Sand rollt, wird der Sieg unser sein. Das Wort „Asiate“ ist eine unmissverständliche Anspielung auf Breitners jüdische Herkunft.

Nach jahrelangen, zermürbenden Hetzkampagnen tritt Breitner 1932 schließlich zurück; als Finanzstadt­rat folgt ihm Robert Danneberg.

Im austrofaschistischen Ständestaat wird die Wohnbausteuer durch nicht zweckgebundene Steuern wie die Mietaufwandsteuer oder die Hausgroschen­abgabe ersetzt. Der soziale Wohnbau kommt damit vorerst zum Erliegen.

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