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Aktuelle Seite: Ernst Lichtblau – undogmatisch modern
0095 | 8. JANUAR 2023    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

Ernst Lichtblau – undogmatisch modern

Am Abend des 7. Januar 1963 kommt es im Parkhotel Schönbrunn zu einem Großbrand. Tags darauf erliegt einer der Gäste einem Herzinfarkt: Der Architekt und Designer Ernst Licht­blau. Die bevorstehende Einweihung seines letzten Werkes, der Schule in der Grundsteingasse in Ottakring, wird er nicht mehr erleben.

Ernst Lichtblau wird im Jahr 1883 in einer gut situierten assimilierten jüdischen Familie geboren – der Vater ist Geschäftsführer der größten Meerschaumpfeifenfabrik der Donaumonarchie mit Sitz in der Hermanngasse, die sich im Besitz von Verwandten befindet. Lichtblau absolviert 1902 die k.k. Staats­gewerbeschule in der Schellinggasse, in die er einige Jahre später als Lehrer für Möbelzeichnen zurückkehren wird.

Von 1902 bis 1905 studiert Ernst Lichtblau an der Wiener Akademie der Bildenden Künste in der Meisterklasse Otto Wagners und wird bereits während seiner Ausbildung mit Preisen ausgezeichnet. 1904 etwa beschäftigt er sich eingehend mit der traditionellen Architektur in dem von Österreich annektierten Bosnien und Herzegowina. Besonders beeindrucken ihn die kubischen Formen, die kaskadenartigen Anordnungen und das strahlende Weiß der Bauten. Anregungen, die er bei seinen ersten eigenen Werken in Wien übernehmen wird. 1907 publiziert die Zeitschrift „Der Architekt“ seinen Entwurf für „Ein Haus in Bosnien“.

Innenarchitekt und Designer

Lichtblau ist im deutschnational und antisemitisch geprägten Umfeld Otto Wagners der einzige Schüler jüdischer Herkunft. Und er ist einer der wenigen, der sich vom monumentalisierenden Stil des Lehrers lösen und sich der zeitgenössischen Moderne zuwenden wird.

Von 1910 bis 1939 ist Lichtblau als freiberuflicher Architekt und Designer in Wien tätig und errichtet mehrere Villen, Einfamilienhäuser und Geschäftslokale für betuchte Kunden, von 1910 bis 1920 zeitweise auch als freier Mitarbeiter der Wiener Werkstätte.

1925 gründet er seine eigene Firma für die Produktion von Alltags­gegenständen, wendet sich zusehends der Innenarchitektur zu und gehört bald zu den wichtigsten Protagonisten der Wohnraumkultur der zweiten Wiener Moderne. Zeitweise arbeitet er auch mit Josef Hoffmann in dessen Büro und fertigt Entwürfe für kunstgewerbliche Gegenstände an.

Neben zahlreichen Ausstellungs­beteiligungen konzipiert Lichtblau, ähnlich wie sein Freund und Kollege Josef Frank, schlichte, aber behagliche Möbel, die eine deutliche Gegenposition zum oftmals dogmatischen Funktionalismus des deutschen Bauhauses einnehmen.

Werkbund und Rotes Wien

Ab 1912 ist Ernst Lichtblau Mitglied des „Deutschen Werkbundes“, 1914 Gründungsmitglied des „Österreichischen Werkbundes“. Im selben Jahr errichtet er seinen vielleicht bekanntesten Bau, das aufgrund seiner auffälligen Fassadengestaltung mit märchenhaften Tier- und Pflanzenfiguren aus dunkel­brauner Majolika so genannte „Schokoladenhaus“ in der Wattmanngasse in Hietzing.


Im Roten Wien leitet Lichtblau ab 1929 eine Wohnberatung im neu errichteten Karl-Marx-Hof, die Beratungsstelle für Innen­einrichtung und Wohnungshygiene (BEST). Am kommunalen Wohnbauprogramm des Roten Wien ist er ebenfalls beteiligt. Der von ihm geplante Block im Paul-Speiser-Hof (Bauteil 2, ab 1930) zählt zu den modernsten Bauten der Gemeinde.

Lichtblau löst sich hier endgültig vom pathetischen Kanon der Wiener Gemeindebauten. Sein Bauteil hebt sich von jenen seiner Kollegen Leopold Bauer, Hans Glaser und Karl Scheffel deutlich ab und zeichnet sich mit seinen glatten Fassaden und verglasten Erkern durch einen „unprätentiösen Funktionalismus“ aus.

In der von Josef Frank konzipierten Werkbundsiedlung errichtet Lichtbau 1930/31 ein Doppel­wohnhaus, das ebenfalls durch einen schlichten kubischen Baukörper besticht.

Emigration und späte Rückkehr

1939 muss Ernst Lichtblau wegen seiner „jüdischen Herkunft“ emigrieren. Über Großbritannien gelangt er in die USA, wo er die Präsentationen und Ausstellungen der Firma R. H. Macy & Company in New York gestaltet. 1945 nimmt er die amerikanische Staatsbürger­schaft an und erhält 1947 einen Lehrauftrag am Institut für Innen­architektur an der renommierten Rhode Island School of Design.

Anfang der 1950er Jahre besucht er erstmals wieder seine alte Heimat und stellt einen Rückstellungs­antrag auf den arisierten Familienbesitz.

Im fortgeschrittenen Alter kehrt Ernst Lichtblau noch einmal nach Wien zurück und errichtet in Zusammenarbeit mit Norbert Schlesinger im Auftrag der Gemeinde eine Schule. Es wird sein letztes Werk.

Im Jahr 1990 wird die Lichtblaustraße  in der Donaustadt nach Ernst Lichtblau benannt, in Margareten gibt es einen Ernst-Lichtblau-Park.

Literatur August Sarnitz, Ernst Lichtblau. Architekt 1883–1963. Gestell und Gestalt im Raum. Reflexionen über ein Paradigma der modernen Architektur, Wien 1994.

„SCHÖNHEIT FÜR ALLE“

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