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Aktuelle Seite: Ferdinand Lassalle – der Gründervater
0163 | 31. AUGUST 2024    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

Ferdinand Lassalle – der Gründervater

Am 31. August 1864 stirbt Ferdinand Lassalle im Alter von nur 39 Jahren im Genfer Vorort Carouge an den Folgen eines Duells, das er sich drei Tage zuvor mit dem rumänischen Bojaren Iancu Racoviţă geliefert hatte.

Geboren wird Ferdinand Lassalle am 11. April 1825 in Breslau unter dem Namen Ferdinand Johann Gottlieb Lassal als Sohn eines wohlhabenden jüdischen Seidenhändlers. Sein draufgängerischer Charakter zeigt sich früh: Bereits als 12-Jähriger fordert er einen Nebenbuhler um die Gunst eines 14-jährigen Mädchens schriftlich zum Duell.

Er bricht das Studium an der Handelsschule in Leipzig vorzeitig ab, will Schriftsteller werden, um sich für die Freiheit und die Rechte der Menschen einzusetzen. Gegen den Willen des Vaters bewirbt er sich für ein Universitätsstudium, zunächst in Breslau, später in Berlin, und tritt einer schlagenden Breslauer Burschenschaft bei.

Sein Biograph Arno Schirokauer beschreibt ihn als „maßlos“, in der Arbeit, aber auch im Privaten. Lassal studiert die Schriften Hegels und seiner „linken“ Schüler und wendet sich sozialistischen Ideen zu. Besonders der schlesische Weberaufstand von 1844 beeinflusst ihn nachhaltig.

Der junge Gelehrte

Im Alter von 20 Jahren lernt er die doppelt so alte Sophie von Hatzfeldt kennen und unterstützt diese über Jahre hinweg in ihrem Bestreben, sich von ihrem Ehemann zu trennen. Der spektakuläre Prozess verschafft dem jungen Lassal, der eine Zeit lang sogar im Haus der „roten Gräfin“ in Düsseldorf wohnt, landesweite Bekanntheit. Sophie bestärkt den jungen Heißsporn in seinen politischen Ambitionen und wird später seine nachgelassenen Schriften heraus­geben.

Im Zuge der Märzrevolution von 1848 tritt er mit Karl Marx in Kontakt und verfasst eine Reihe von Artikel für dessen Neue Rheinische Zeitung. Seinen Nachnamen ändert er in „Lassalle“. Als er im November 1848 zur Steuerverweigerung und zur Bewaffnung der Bürger aufruft, wird Ferdinand Lassalle verhaftet und im Sommer 1849 zu sechs Monaten Haft verurteilt.

Diese Gefängnisstrafe erspart ihm die weitere gerichtliche Verfolgung. Lassalle ist einer der wenigen Revolutionäre, die nicht ins Exil gehen müssen und ohne weitere Verfolgung in Deutschland bleiben können. Als „Privatgelehrter“, ausgestattet mit einer üppigen Apanage seiner adeligen Mäzenin, kann er sich nun ganz seinen Studien und seinem sozialen Engagement widmen.

Der ADAV – ein Meilenstein

1858 erlangt Ferdinand Lassalle ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Berlin, wo er in fortschritt­lichen Kreisen verkehrt. 1861 ist Karl Marx für elf Tage sein Gast in der Bellevuestraße. Im Jahr darauf stattet er Marx in dessen Londoner Exil einen Gegen­besuch ab, danach bricht der Kontakt wegen divergierender Ansichten jedoch ab. Die Arbeiter, so Lassalle, müssten sich zu einer eigenen Partei zusammenschließen und Genossenschaften gründen, um ihre legitimen Interessen vertreten zu können. Lassalles Kontakte zur Leipziger Arbeiterzentrale führen schließlich am 23. Mai 1863 zur Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV).

Seine wichtigs­ten Forderungen sind die Einführung des allgemeinen, gleichen und direkten Wahl­rechts und die Errichtung von Produktiv­genossenschaften. Diese würden dazu beitragen, „die Scheidung zwischen Arbeitslohn und Unternehmergewinn“ aufzu­heben, so dass den Arbeitern der volle Ertrag ihrer Arbeit zufließe, womit auch das „eherne Lohngesetz“ aufgehoben wäre, demzufolge sich der durch­schnittliche Arbeitslohn stets auf das Existenzminimum einpendelt.

Eine nachhaltige Besserung der Lage der Arbeiterschaft werde, so Lassalle, nicht durch den Arbeitskampf der Gewerk­schaften erreicht, sondern nur durch die Erringung einer parlamentarischen Mehrheit. Auf diese Weise solle eine friedliche Entwicklung des demokratischen Sozialismus stattfinden – notfalls sogar in einem unter der Führung Preußens geeinten deutschen Königreich.

Lassalles preußenfreundliche Haltung, aber auch seine grundsätzlich positive Einschätzung der Rolle des Staates, bringt ihn in scharfen Gegensatz zu Karl Marx, der den Staat als Unterdrückungs­instrument der herrschenden Klasse versteht. Diese Gegensätze führen auch zu Zerwürfnissen innerhalb des ADAV.

Des Menschen Gemüt ist sein Geschick

Bei einem Kuraufenthalt verliebt Ferdinand Lassalle sich in die junge Helene von Dönniges, die bereits mit dem rumänischen Adeligen Iancu Racowitza (Racoviţă) verlobt ist. Helene hebt die Verlobung auf und will Lassalle heiraten – trotzt der entschiedenen Ablehnung ihres Vaters, des bayrischen Dipolmaten Wilhelm von Dönniges. Als sich Helene schließlich von Lassalle abwendet, fordert dieser ihren Vater zum Duell. Der 50-Jährige beauftragt den von ihm favorisierten Racowitza mit seiner Vertretung.

Das Duell findet am 28. August 1864 um halb sechs Uhr morgens in Carouge statt. Racowitza, der sich im Gegensatz zu Lassalle auf das Duell vorbereitet hat, feuert als Erster und trifft Lassalle, der danebenschießt, in den Unterleib. Dieser erliegt drei Tage darauf seinen Verletzungen.

Ferdinand Lassalle wird am 15. September 1864 auf dem Alten Jüdischen Friedhof in Breslau bestattet. Der Gedenkstein trägt die Inschrift Hier ruhet, was sterblich ist, von Ferdinand Lassalle, dem Denker und Kämpfer.

IancuRacowitza und Helene von Dönniges heiraten im Sommer 1865, Racowitza verstirbt allerdings noch im selben Jahr.

Wenige Jahre nach Lassalles Tod spaltet sich die junge deutsche Arbeiterbewegung in „Lassalleaner“ (ADAV) und „Eisenacher“ (SDAP). 1875 kommt es beim Partei­kongress in Gotha zum Zusammenschluss zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD), Vorgänger­partei der heutigen SPD.

Im Roten Wien, wo Lassalles sozialdemokratisch-„reformistische“ Ideen auf frucht­baren Boden fallen, wird 1919 die Lassallestraße in der Leopoldstadt nach ihm benannt, 1926 auch der nach Plänen von Hubert Gessner, Fritz Waage, Hans Paar und Fritz Schlossberg errichtete Gemeindebau in der Lassallestraße 40–44. 1928 entsteht beim Winarskyhof in der Brigittenau ein großes Lassalle-Denkmal, das 1936 abgetragen wird. Der Künstler Mario Petrucci errichtet nach dem Krieg eine Replik des Kopfes, die sich heute im Waschsalon Karl-Marx-Hof befindet.

Lassalles Haus in Berlin wird 1938 abgerissen.

Werk: Die Wissenschaft und die Arbeiter, 1863; Briefe von Ferdinand Lassalle an Karl Marx und Friedrich Engels, 1902; Gesammelte Reden und Schriften, 12 Bde., hrsg. und eingeleitet von Eduard Bernstein, 1919/20; Ferdinand Lassalles Tagebuch, 1926.

Literatur: Bernhard Becker, Geschichte der Arbeiteragitation Ferdinand Lassalle's nach authentischen Aktenstücken, 1978; Eduard Bernstein, Ferdinand Lassalle und seine Bedeutung für die Arbeiterklasse, 1904; Hans Peter Bleuel, Ferdinand Lassalle oder der Kampf wider die verdammte Bedürfnislosigkeit, 1982; Frank Como, Die Diktatur der Einsicht: Ferdinand Lassalle und die Rhetorik des deutschen Sozialismus, 1991; Hans Jürgen Friederici, Ferdinand Lassalle. Eine politische Biographie, 1985; Stefan Großmann, Ferdinand Lassalle, 1919; Arno Schirokauer, Lassalle. Die Macht der Illusion, die Illusion der Macht, 1928; Thilo Ramm, Ferdinand Lassalle. Der Revolutionär und das Recht, 2004.

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