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Aktuelle Seite: Friedrich Adler „vor dem Richterstuhle der Weltgeschichte“
0045 | 21. OKTOBER 2021    TEXT: JULIA BANDSTÄTTER, LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

Friedrich Adler „vor dem Richterstuhle der Welt­geschichte“

Am 21. Oktober 1916 erschießt Friedrich Adler, Sohn des Parteigründers Victor Adler, im Wiener Hotelcafé Meißl & Schadn am Neuen Markt Österreichs Ministerpräsidenten Karl Graf Stürgkh.Seine Verteidigungsrede vor Gericht wird die Arbeiterschaft aufrütteln und eine revolutio­nierende Wirkung innerhalb der kriegsmüden Bevölkerung entfalten.

Rückblickend fasst Otto Bauer 1923 die Geschehnisse zusammen, die Friedrich Adler zu seiner Tat bewogen hatten: Im Herbst 1916 war jede Hoffnung auf nahen Frieden geschwunden. […] Die Erbitterung gegen den Absolutismus der Regierung Stürgkh erfaßte alle Klassen. Hochfeudale Gruppen des Herrenhauses forderten die Einberufung des Parlaments; Stürgkh lehnte sie ab. Der deutschnationale Präsident des Abgeordnetenhauses berief die Obmänner der Parteien ein; Stürgkh lehnte die Teilnahme an der Obmännerkonferenz ab. Universitätsprofessoren beriefen eine Versammlung ein, in der die Präsidenten des Abgeordnetenhauses sprechen sollten; Stürgkh verbot die Versammlung. Es. gab keine Möglichkeit einer legalen Opposition mehr. Da entschloß sich Fritz Adler zur Tat.

Tyrannenmordim Hotelcafé

Wie aus dem Gerichtsprotokoll hervorgeht, zieht Friedrich Adler am Morgen der Tat einen Anzug an, der ihn im Hotel nicht auffällig machen konnte und steckt einen geladenen „Browningrevolver“ ein. Im Laufe des Vormittags teilt er seiner Mutter Emma Adler telefonisch mit, dass er nicht zum Mittagessen kommen werde. Gegen 13 Uhr fährt Adler mit der Straßenbahn zum Hotel am Neuen Markt, wo Graf Stürgkh bereits zu Mittag isst.

Seine Exzellenz der Herr Minister­präsident, so der Bericht der Polizeidirektion, hatte seinen gewöhnlichen Platz eingenommen. […] Um ½ 3 Uhr erhob sich ein Gast, der […] an einem Tische allein seine Mahlzeit eingenommen hatte, begab sich eiligen Schrittes zu dem Tische des Herrn Ministerpräsidenten und feuerte aus einer Entfernung von ungefähr 1 ½ m aus einer 10 ½ cm langen Browningpistole rasch nach einander 3 Schüsse gegen den Kopf des Herrn Ministerpräsidenten ab.

Wahnsinnstat oder politisches Kalkül?

Aber diese Schüsse wurden nicht von einem wilden Revolutionär abgegeben, nicht von einem unbeherrschten […] Fanatiker, sondern von einem scheuen Stubengelehrten, einem selbstlosen, gütigen, jeder Gewaltanwendung abholden Idealisten.Johann Wolfgang Brügel

Die Sozialdemokratie, die anarchistische Individualakte als politisches Kampfmittel entschieden ablehnt, ist schockiert. Sie weiß, daß die gewaltsame Beseitigung einzelner Personen, die zufällig an der Spitze des Staates oder des Systems stehen, das System selbst nicht zum Verschwinden bringt, so der Publizist Johann W. Brügel in seinem Buch über Adlers Prozess.

Die Arbeiter-Zeitung distanziert sich deshalb entschieden von der unbegreiflichen Bluttat ihres Funktionärs, der einem Wahne folgt, weshalb der Fall nur die Kriminalpsychologie, nicht aber die Politik berühre.

Ein Attentat gegen die österreichische Moral…

Der Prozess vor dem Wiener Ausnahmegericht am 18. und 19. Mai 1917 beseitigt die letzten Zweifel an der Zurechnungs­fähigkeit Adlers. Sowohl das Fakultätsgutachten als auch sein mehrstündiges Plädoyer beweisen, dass die Tat politisch motiviert war.

In seiner Verteidigungsrede prangert Adler die österreichischen Zustände an – die Kriegsdiktatur, die Entrechtung, die Zensur, die Willkür derjenigen, die schalten und walten, wie sie wollen, die alle Gesetze brechen und die Verfassung in Fetzen reißen.

Der Widerstand gegen die Wiederaufrichtung der Verfassung habe sich in der Person des Ministerpräsidenten konzentriert, der schon vor dem Krieg ein eifervoller Gegner des Parlaments gewesen sei.

Meine Herren! […] Ich möchte aber sagen, daß Graf Stürgkh ein Gegner war, den ich in gewissem Sinne geachtet habe, weil er nämlich nicht von dieser österreichischen Immoral angekränkelt war. Er war aus anderem Holze als die, die sich ihn gefallen ließen. […] er war ein Mann, der mit klarer Absicht und bewußt Österreich in einen absolutistischen Staat verwandeln wollte […] er war ein Gegner, den man achten konnte und mit dem man unerbittlich kämpfen mußte […]. Die Achtung versage ich bloß den Österreichern, die sich den Stürgkh gefallen ließen, ohne sich zur Wehr zu setzen und die durch ihr Verhalten gezeigt haben, daß jedes Land den Stürgkh hat, den es verdient.

Stürgkhs Ermordung, eine sehr geringe Leistung, sollte nicht die Revolution anzetteln, eher die Gesellschaft wachrütteln, und damit die psychologischen Voraussetzungen künftiger Massenaktionen in Österreich […] schaffen.Ich bin kein Anarchist geworden, verteidigt sich Adler.

…und gegen den Burgfrieden

Auch mit der eigenen Partei geht Adler in seiner Verteidigungsrede hart ins Gericht. Der Sozial­demokratie sollte ihre feige Haltung vor Augen geführt werden, da sie keine Kampfmaßnahmen gegen die Kriegspolitik ergriffen, ja sogar im Sinne der Aufstachelung der Kriegsleidenschaft gewirkt habe.

Ich kann nur sagen, daß die Partei die Laster ihrer Gegner zum Teil ange­nommen hat; sie ist verchristlich­sozialt, sie ist nationalisiert, sie ist verkleinbürgerlicht.

Und Adler beruft sich auf das Hainfelder Programm von 1889, in dem festgehalten ist, dass sich die Sozialdemokratie zur Verwirkli­chung ihrer Ziele aller zweck­dienlichen und dem natürlichen Rechtsbewusstsein des Volkes entsprechenden Mittel bedienen werde.

Denn sie töten den Geist nicht, ihr Brüder!

In seinem Schlusswort verkündet Adler: Wenn wir wirklich noch töten müssen und getötet werden, dann kann der Mord kein Privileg der Herrschenden sein. Und er schließt mit den pathetischen Worten: Nicht alle sind tot, die begraben sind. Denn sie töten den Geist nicht, ihr Brüder!

Das Todesurteil nimmt er mit dem Ruf Es lebe die internationale revolutionäre Sozialdemokratie entgegen. Doch die Regierung wagt es nicht, das Urteil tatsächlich zu vollstrecken. Denn als Märtyrer seiner Überzeugung wird Adler von der Bevölkerung längst zum Antikriegshelden hochstilisiert.

Friedrich Adler frei!

Adlers Forderungen nach einem sofortigen Kriegsende und sein Bekenntnis zur revolutionären Sozialdemokratie übertragen sich in Windeseile auf die Straße, wo bald große Sympathiekundgebungen stattfinden. Unter dem Druck der Öffentlichkeit wird das Todesurteil in eine Haftstrafe von 18 Jahren verwandelt.

Am 1. November 1918, nur wenige Tage vor dem Zerfall der Doppel­monarchie und der Ausrufung der Republik, wird Friedrich Adler von Kaiser Karl I. amnestiert und aus dem Gefängnis entlassen.
Nun jubelt auch die Arbeiter-Zeitung: Sein Name ist gleichsam zum Symbol des Befreiungskampfes geworden, den tapfere Menschen und edle Seelen gegen den Krieg allerorten führen. […] Gruß und Willkommen Friedrich Adler, dem Helden und Märtyrer!

Literatur
Johann Wolfgang Brügel (Hrsg.): Friedrich Adler vor dem Ausnahmegericht, 1967.
Friedrich Adler vor dem Ausnahmegericht. Die Verhandlungen vor dem §-14-Gericht am 18. und 19. Mai 1917 nach dem stenographischen Protokoll, Berlin 1919.
Otto Bauer: Die österreichische Revolution, 1923

Sonderausstellung im Waschsalon Karl-Marx-Hof 2014/15

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