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Aktuelle Seite: Gabriele Proft. Die stille Kämpferin
0013 | 6. April 2021    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

Gabriele Proft. Die stille Kämpferin


Als es der ersten Frauengeneration gelingt, Rathaus und Parlament für sich zu erobern, ist Gabriele Proft mit von der Partie. Die Vertreterin der „Linken“ innerhalb der Sozialdemokratie stirbt vor 50 Jahren, am 6. April 1971.

Die Tochter eines Schuhmachers aus des schlesischen Troppau geht im Alter von nur 17 Jahren nach Wien, wird zwei Jahre lang Kindermädel, herumgestoßen, rechtlos, verschüchtert, wie zehntausende gleich ihr, schreibt Marianne Pollak 1929 in einem Porträt anlässlich ihres 50. Geburtstages. Dann, als Heimarbeiterin heißt es von halb 7 Uhr morgens bis halb 10 Uhr abends über die Maschine gebeugt sitzen und Militärkrägen nähen. […] Eine geübte Arbeiterin nähte in drei Stunden 144 Stück.

In ihrer neuen Heimat, dem Arbeiterbezirk Ottakring, kommt Gabriele Jirsa nicht an Franz Schuhmeier vorbei. Begeistert besucht sie die Vorträge des legendären Volkstribuns aus Ottakring im Gasthof „Zur Bretze“ und tritt seinem Bildungsverein Apollo bei.

Im Alter von 20 Jahren heiratet Gabriele den Metallarbeiter Karl Anton Proft, ihr erstes Kind stirbt kurz nach der Geburt. 1900 kommt Tochter Hermine zur Welt. Gabriele nimmt die Kleine mit zu den abendlichen Redekursen, die sie eifrig und offenbar mit großem Erfolg besucht: Wenn sie in der Versammlung spricht, so wird es still im Saale, die Menschen hören geradezu mit dem Herzen zu, schreibt die Arbeiter-Zeitung 1929.

Wir wollen gefragt sein, wollen mitsprechen und mitbestimmen, wo über das Wohl und Wehe des Volkes entschieden wird. Gabriele Proft, 1912

Als sich die sozialdemokratischen Frauen 1902 eine eigene Organisationsstruktur geben und den Verein sozialdemokratischer Frauen und Mädchen gründen, kämpft auch Gabriele Proft, mittlerweile Funktionärin der Gewerkschaft der Heimarbeiterinnen, an vorderster Front. Ab 1909 ist sie im Sekretariat des Frauenreichskomitees angestellt, Fragen der Frauen- und Familienpolitik bleiben fortan ihre Lebensaufgabe.

Eine Erklärung der Linken

1916 wird ihre Ehe geschieden, im Jahr darauf – wir befinden uns mitten im Ersten Weltkrieg – findetim Arbeiterheim Favoriten  nach vierjähriger Unterbrechung der Parteitag der deutschen Sozialdemokratie Österreichs statt. Namens einer Gruppe von Delegierten, die mit der Führung der Partei und der Tätigkeit des Parteivorstandes nicht zufrieden sind, fällt Gabriele Proft die heikle Aufgabe zu, die aufmüpfige „Erklärung der Linken“ am Parteitag zu verlesen.

Die Erklärung geht mit der offiziellen Linie der Parteileitung und ihrer Haltung zum Krieg hart ins Gericht und vertritt ausdrücklich dieselben Grundsätze, die im Deutschen Reiche durch die Unabhängige Sozialdemokratie [Die USPD war eine linke Abspaltung der SPD, Anm.] vertreten werden.

Der erste, der in Österreich den Kampf für die Grundsätze aufgenommen habe, sei Friedrich Adler. Der Sohn des Parteigründers Victor Adler hatte 1916 den österreichischen Ministerpräsidenten Karl Graf Stürgkh erschossen, den er für die Fortsetzung des sinnlosen Krieges verantwortlich machte. Der aufsehenerregende Prozess gegen Adler, in dem dieser gnadenlos mit der Haltung seiner Partei abrechnete, war fünf Monate zuvor über die Bühne gegangen und hatte die Stimmung an der Parteibasis bereits nachhaltig verändert.

Fritz Adler sei – so heißt es in der Erklärung weiters – durch nichts anderes zu seinem Attentat bewogen worden, als durch seine bittere Verzweiflung an einer Arbeiterbewegung, die sich von den alten Grundsätzen des sozialistischen Klassenkampfes immer weiter entfernt hat. […] Wir streben nicht die Spaltung der Partei an. Wir wollen innerhalb der Partei, innerhalb ihrer Organisationen unsere Ansichten verbreiten, ihnen die Mehrheit der Parteimitglieder gewinnen und auf diese Weise die Haltung der Partei verändern.

Diskussionen gefährden nicht ...

Gefordert wird von den Linken vor allem die öffentliche Erörterung aller inneren Parteifragen in der Parteipresse und in den Parteiorganisationen.[...] Diskussionen gefährden nicht, sondern beleben die Organisation und stärken dadurch ihre Anziehungskraft. Und schließlich: Auch unsere Partei muss sich endlich demokratisieren. Nur auf diese Weise können wir das Monopol einiger Führer auf das politische Denken brechen, die Masse selbst zu politischem Denken erziehen, ihren blinden Autoritätsglauben, der mit dem Wesen einer demokratischen Partei unvereinbar ist, überwinden.

Im Krieg gehörte sie […] zu jenen Mutigen, die ihre internationale Gesinnung rein erhielten.Marianne Pollak, 1929

Eines erreicht die „Erklärung der Linken“ in der Tat: Die Diskussionen ziehen sich über mehrere Tage hin und finden auch in der Arbeiter-Zeitung ihren Niederschlag. Daran ändert auch das Grummeln Victor Adlers nichts: Den Hauptfehler der Erklärung sehe ich darin, daß sie abweichende Meinungen festlegt und mit Titeln, mit Namen bezeichnet, die, so schön sie vielleicht klingen mögen, für uns eigentlich Schimpfnamen bedeuten. Warum jemand, der anderer Meinung ist, immer einen Sozialpatrioten nennen? Warum nicht gleich einen gelben Hund? (Lebhafte Heiterkeit.)

Eine der ersten Frauen

Nach Ausrufung der Republik ist Gabriele Proft eine von zunächst fünf Frauen, die dem provisorischen Wiener Gemeinderat angehören. Gemeinderätin und Landtags­abgeordnete bleibt sie bis 1923, von 1920 bis 1934 ist sie außerdem Abgeordnete zum Nationalrat. Auch hier kämpft Gabriele Proft unermüdlich für die Rechte der Frauen.

Mit uns das Volk, mit uns der Sieg!

Eine der größten Errungenschaften ihrer parlamentarischen Tätigkeit ist im Februar 1920 die Durchsetzung des Hausgehilfengesetzes, das dieser besonders ausgebeuteten Gruppe von Arbeiterinnen maßgebliche Verbesserungen bringt – einen verschließbaren Schlafraum, gesunde Verpflegung, das Recht auf Ruhezeiten und bezahlten Urlaub.
Damit erhielten die aus dem 18. Jahrhundert stammenden Gesinde- und Dienstbotenordnungen, in denen den Dienstgebern das Züchtigungsrecht über das „Dienstvolk“ eingeräumt war, den wohlverdienten Todesstoß, schreibt das Organ der Heim- und Hausarbeiterinnen.

Die Arbeit der Frauen im Parlament wird mit den Jahren allerdings nicht einfacher. Nach den Wahlen von 1927 gehen von 165 Mandaten nur noch sechs an Frauen, allesamt Sozialdemokratinnen.

Seit die bürgerlichen Parteien keine Frau mehr im Parlament haben, fehlt auf ihrer Seite in manchen Fragen auch diese einzige Stimme. Es hatten sich also die weiblichen Abgeordneten der Sozialdemo­kratischen Partei allein zu bewähren in diesen Kämpfen. [...] Kümmern sich die Wählerinnen um die Tätigkeit des Parlaments? Die proletarischen wohl. Weniger oder gar nicht die bürgerlichen, schreibt Gabriele Proft 1930.

Die letzten Jahre

Nach dem Februar 1934 wird die mittlerweile 55jährige mehrfach inhaftiert. Sie schließt sich den Revolutionären Sozialisten an und wird noch gegen Kriegsende in das Konzentrationslager Maria Lanzendorf deportiert.

1945 nimmt Gabriele Proft ihre politische Arbeit wieder auf, gehört nach der Wiederbegründung der Partei dem Frauenzentralkomitee und bis 1953 erneut dem Nationalrat an, wo sie sich weiterhin für die Gleichstellung der Frauen sowie für die überfällige Modernisierung des Familien-, Ehe- und Strafrechts engagiert.

Die Kreisky-Ära und ihre großen gesellschaftpolitischen Reformen erlebt Gabriele Proft nicht mehr. Sie stirbt am 6. April 1971 und wird im Urnenhain der Feuerhalle Simmering in einem Ehrengrab bestattet.

Sonderausstellung im Waschsalon Karl-Marx-Hof 2014/15

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