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Aktuelle Seite: „Gemma ins Kongerl!“
0112 | 20. MAI 2023    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

„Gemma ins Kongerl!“


In Anwesenheit von „zweitausend, dreitausend, vielleicht noch mehr Menschen“ eröffnet Bürgermeister Karl Seitz am Sonntag, dem 20. Mai 1928, das neue Kongressbad.

Die Arbeiterschwimmer machen Spalier, rufen ihm ein fröhliches „Naß frei“ zu…Arbeiter-Zeitung, 21.5.1928

Das an der Grenze zwischen Ottakring und Hernals gelegene Kongressbad wird im Rahmen eines „außerordentlichen Arbeits­programms zur Linderung der Arbeitslosigkeit“ nach Plänen des Wiener Architekten Erich Leischner auf einer ehemaligen Sand­gewinnungsstätte und Mülldeponie errichtet. Das gleichzeitig mit dem Kongresspark angelegte Bad ist als infrastrukturelle Ergänzung zu den rundum entstehenden Gemeinde­bauten, allen voran der Wohnhaus­anlage Sandleiten, gedacht.

Der Beschluss zur Errichtung eines Sommerschwimm-, Luft- und Sonnenbades auf dem ehemaligen Deponiegrund am Kongressplatz erfolgt am 12. Juli 1927 im Wiener Gemeinderat. Die Förderung der sportlichen Betätigung und Freizeitgestaltung an der „frischen Luft“ ist eines der wesentlichen Prinzipien der sozialdemokratischen Körperkultur – physisch gesunde Menschen zu erziehen.

Die Arbeitersportbewegung und der großzügige Ausbau der Wiener Bäder gehen Hand in Hand und so entstehen innerhalb weniger Jahre auch in den Arbeiterbezirken modern ausgestattete Badeanlagen und sommerliche Freizeitareale.

Diese werden vor allem von der jugendlichen Wohnbevölkerung umgehend in Besitz genommen, und es entwickelt sich eine spezifisch wienerische, klassenbewusste Arbeiter-Sport- und -Freizeitkultur, die sogar Faschismus und Krieg überdauern wird, wie der Autor und Pädagoge Hans Hovorka und zahlreiche weitere Zeitzeugen noch in den 1980er Jahren eindrücklich erzählen.

„Kraft, Gesundheit und Mut für den harten Arbeitstag“

Das Kongressbad ist das größte und modernste Freibad der Stadt – ausgestattet mit einem 100 Meter langen und 20 Meter breiten Schwimmbecken, dem größten Europas, ein „Werk von gleichermaßen eigenartiger wie auch einzigartiger Monstrosität“.

Das riesige Becken ist mit Hochquellwasser gefüllt, das in einer elektrischen Kesselanlage vorgewärmt wird. Um für spezielle Schwimmveranstaltungen auch eine 50 Meter lange Schwimmbahn zu besitzen, gelangt eine eigene, verschiebbare Startbrücke zum Einsatz.

Zeichenhaft sind neben dem monumentalen dreiachsigen und mit Fahnenstangen geschmückten Eingang sowie der rot-weißen Holzverschalung auch architektonisch prägnante Elemente wie die Beleuchtungsmasten oder die Metallgitter, die an die Balkenkompositionen des De-Stijl-Künstlers Theo van Doesburg erinnern. Bei der Eröffnung gibt es 1.600 Umkleidegelegenheiten, ihre Anzahl wird später auf 4.000 erweitert werden.

Der Badebetrieb beginnt um neun Uhr früh und endet um halb acht. Nach Installierung einer Flutlichtanlage zu Beginn der 1930er Jahre kann das Badevergnügen sogar bis zehn Uhr abends ausgedehnt werden.

Ebenfalls 1928 wird auch das Kinderfreibad im angrenzenden Kongresspark eingerichtet. Seit der „Tagung für Spielplatzbau“ in Berlin 1927 gelten die Wiener Kinderfrei­bäder weltweit als Vorzeigeobjekte.

Das Kongressbad ist ein architek­tonisches Musterbeispiel für die von der Stadtverwaltung des Roten Wien geförderte Bäderkultur und wird rasch zum Sammelpunkt verschiedener Körperkultur­bewegungen.

1928 findet hier zum Beispiel das Auswahlwettschwimmen für die Olympischen Spiele in Amsterdam statt. Und im Rekordsommer 1930 verzeichnet das Kongressbad 448.555 zahlende Besucher.

Widerstand im Konge

Im Februar 1934 ist die nahegelegene Wohnhausanlage Sandleiten, die vom Kongresspark aus von der Polizei beschossen wird, hart umkämpft. Im Bad selbst wird bald darauf nicht nur „anstößige Badebekleidung“, wie der legendäre Lobaufleck oder der selbstgenähte Zweiteiler verboten, sondern auch das Tanzvergnügen nach populärer Schlagermusik.

Die heimatlos gewordenen Arbeitersportler müssen zu „bürgerlichen“ Vereinen wechseln, viele der auch politisch aktiven Jugendlichen schließen sich aus Enttäuschung der illegalen KPÖ an.

Das Kongressbad bleibt bis 1938 so etwas wie eine „sozialistische Insel“.

Und noch Anfang der 1940er Jahre wird die Radio-Koje im Konge für den „musikalischen Widerstand“ genutzt; hier werden die besten, neuesten – und verbotenen! – Jazzplatten aufgelegt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kann das Kongressbad bereits am 19. Mai 1945 wieder eröffnet werden.

Die Größe des ursprünglichen Schwimmbeckens lässt sich heute nur noch erahnen, da es im Zuge der Generalsanierung 1987/88 in zwei gleich große Hälften, ein Sport- und ein Erlebnisbecken, geteilt wird. Der zweisäulige 10-Meter-Sprungturm, Wahrzeichen des Bades, muss 1981 wegen Baufälligkeit weichen, der Betrieb der Flutlichtanlage wird bereits 1979 eingestellt.

Literatur
Hans Hovorka, Republik „Konge". Ein Schwimmbad erzählt seine Geschichte – Das städtische Schwimm-, Sonnen- und Luftbad am Kongreßplatz in Wien-Ottakring 1928 – 1988, 1988.

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