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0041 | 9. OKTOBER 2021    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

„Ja, ich bin begeisterte Sozialistin“.

Am 9. Oktober 1981, heute vor 40 Jahren, stirbt die Widerstands­kämpferin und Politikerin Maria Emhart. 

Ein richtiges Proletarierelend

Die am 27. Mai 1901 im nieder­österreichischen Pyhra in eine kinderreiche Arbeiterfamilie geborene Maria Raps tritt im Alter von nur 14 Jahren als Hilfs­arbeiterin in eine Seidenspinnerei in St. Pölten ein. Die Familie lebt in einer Barackensiedlung, der weitere Lebensweg des Mädchens scheint vorgezeichnet.

Weder mein Vater noch meine Mutter waren Sozialisten, aber meine Mutter hat mir in ihrer Herzensgüte alles das beigebracht, was die Grundlage für eine sozialistische Gesinnung ist: Hilfsbereitschaft und Liebe zu den Mitmenschen.

In dieser Zeit lernte ich die unbezahlbare Größe der Solidarität kennen.

In der Fabrik kommt Maria mit der sozialdemokratischen Jugend­bewegung in Kontakt und tritt mit 17 Jahren der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei bei; mit 20 heiratet sie den Eisenbahner Karl Emhart.

Ihre politische Tätigkeit beginnt Maria Emhart als Betriebsrätin in der Ersten österreichischen Glanzstoff-Fabrik in St. Pölten. Auf der Arbeiterhochschule in Wien lernt sie Rosa Jochmann kennen, die ihr zur lebenslangen Freundin wird. Manchmal, erinnert sich Heinz Fischer, treten die beiden „wie Schwestern“ auf (Köhler, 2018). Im Mai 1932 wird Emhart in den Gemeinderat von St. Pölten gewählt.

Alle warteten auf eine Order. Aber diese kam nicht.

Im Februar 1934 beteiligt sich Maria Emhart an den Kämpfen und versorgt Schutzbund-Einheiten mit Medikamenten, Verbandszeug aber auch mit Munition: Mit Hilfe von Jugendlichen holten wir aus dem benachbarten Bergwerk die Sprengmittel um die leer lagernden Granaten zu füllen – das hatten die Frauen besorgt – und die Zubringung zum Sammelplatz wurde mit Frauen und Kinderwagen organisiert. Maria Emhart wird schließlich verhaftet und muss befürchten, „als Rädelsführerin“ standrechtlich gehängt zu werden. Nach 17 Wochen Haft wird sie mangels Beweisen vor Gericht freigesprochen.

Als ihre Freundin Rosa Jochmann, die bei den illegalen Revolutio­nären Sozialisten eine führende Rolle spielt, im August 1934 auffliegt, nimmt Maria Emhart ihren Platz ein.  Unter dem Decknamen Grete Meyer lebt sie beim Arbeiterdichter Luitpold Stern und besucht zum Jahreswechsel 1934/1935 die Reichskonferenz der Revolutionären Sozialisten in Brünn. Im Januar wird sie durch Verrat 1935 erneut festgenommen.

Die Haft hat sie nicht gebrochen

Im März 1936 ist Emhart, gemein­sam mit Karl Hans Sailer, die Hauptangeklagte im Großen Sozialistenprozess. Mit ihr stehen auch später berühmt gewordene Persönlichkeiten wie Bruno KreiskyFranz Jonas, Otto Probst und Anton Proksch vor Gericht. Das internationale Interesse an diesem Schauprozess ist groß.

Als erste Angeklagte betritt Marie Emhart mit einer roten Blume an ihrem Kleid, aufrecht, in stolzer Haltung, den Saal [...]. Sie erhebt die Faust zum Freiheitsgruß. Die anderen Angeklagten, die der Reihe nach hereingeführt werden, tun das Gleiche. Und sofort merkt man: die hat die Haft nicht gebrochen.

Emharts Verteidigungsrede hinterlässt großen Eindruck: Ja, ich bin begeisterte Sozialistin. Ich stamme aus einer kinderreichen Arbeiterfamilie und habe alle Not und Entbehrung mitgemacht, die man mitmachen muss, wenn man so tief unten zur Welt kommt wie ich.

Sailer und Emhart, für die der Staatsanwalt ursprünglich die Todesstrafe beantragt hatte, werden schließlich zu 20 bzw. 22 Monaten Haft verurteilt und kommen im Rahmen der Juli-Amnestie von 1936 frei.

Um seine Stelle bei der Bundes­bahn nicht zu verlieren, wird Marias Mann zur Scheidung gedrängt und nach Bischofshofen in Salzburg versetzt. Das Paar bleibt dennoch bis zu Karl Emharts Tod im Jahr 1965 zusammen.

Ich habe und hatte nie die Absicht etwas über diese unsere schwerste Zeit zu schreiben.

Nach Kriegsende meldet sich Emhart sofort bei der neuen Gemeindeverwaltung. Ein amerikanischer Offizier schickt sie mit den Worten Politik in der Gemeinde ist Männersache wieder nach Hause. Doch so schnell gibt Emhart nicht auf. Sie wird Mitglied der Salzburger Landesparteileitung der SPÖ und am 25. November 1945 als einzige Frau in den Salzburger Landtag gewählt.

1974 bekennt Emhart in einem ORF-Interview rückblickend, dass der Februar 1934 für mich nicht überwunden ist.Ich werde nie vergessen, dass meine besten Freunde gehenkt wurden. Aber auch nicht, dass all das, was wir in fünf Jahrzehnten durch den Kampf unserer Väter und unserer Vorfahren erreicht haben – […] ein Jugendarbeitsverbot für die Nacht, einen Achtstundentag, einen Urlaub usw. – all das hinweggefegt von einer Regierung, die den Faschismus durch Jahre aufgepäppelt hat. Und deswegen sage ich: Niemals vergessen den Feber 1934.

In ihrer Heimatgemeinde Bischofshofen ist Maria Emhart ab 1946 die erste Vizebürgermeisterin Österreichs. Als Bundeskanzler Leopold Figl im Wahlkampf 1949 auch Bischofshofen besucht, begrüßt ihn das Transparent Wir grüßen Figl, aber wir wählen Schärf. Die Idee dazu stammt von Maria Emhart.

In Bischofshofen erinnert der Maria-Emhart-Platz an die mutige Sozialdemokratin, in St. Pölten wurde eine Straße nach ihr benannt, in Wien-Donaustadt der Maria-Emhart-Weg.

Literatur
Maria Emhart: Briefe aus dem Gefängnis. Korrespondenz mit Rosa Jochmann 1935–1936, Wien 2001; Lisa Fischer: Maria Emhart. In: Edith Prost [Hrsg.]: „Die Partei hat mich nie enttäuscht…“ Österreichische Sozialdemokratinnen, Wien 1989, S. 255–287; Lena Marie Köhler: Die Konstruktion von Erinnerung Geschlecht, Sozialismus und Widerstand gegen den Austrofaschismus anhand der Selbstzeugnisse Maria Emharts, Wien 2018; Manfed Marschalek: Der Wiener Sozialistenprozeß 1936. In: Karl Stadler [Hrsg.]: Sozialistenprozesse – Politische Justiz in Österreich 1870–1936, Wien 1986, S. 429–490.

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