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Aktuelle Seite: „Kaufet und leset die Arbeiterinnen-Zeitung!“
0021 | 8. JUNI 2021    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

„Kaufet und leset die Arbeiterinnen-Zeitung!“

Zwischen politischer Agitation, Schönheitstipps und Kochrezepten

Im Juni 1891 findet der zweite Parteitag der österreichischen Sozialdemokratie statt. Die Frauen bringen gleich mehrere Anträge zur Gründung einer eigenen Zeitung ein.

Der Kampf um eine „eigene Zeitung“ ist für die junge Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts zentral. Eine Zeitung ist nicht nur Informations­medium oder bloßes Propaganda­instrument, sie ist eine Waffe.

In der Arbeiterschaft hat das Lesen eine nahezu religiöse Bedeutung. Der Historiker Alfred Pfoser spricht sogar vom „Emporlesen“. Und für Partei- und Zeitungsgründer Victor Adler leistet das Arbeiterblatt nichts Geringeres als den Kampf gegen den Feind, den wir am tiefsten hassen, gegen den systematisch gezüchteten, mit allen gesetzlichen und unge­setzlichen Mitteln aufrechterhaltenen Unverstand der Massen.

Nach der kurzlebigen Gleichheit, die Adler Ende 1886 wiederaufleben lässt und die in den 30 Monaten ihres Bestehens 45 Mal beschlag­nahmt wird, erscheint am 12. Juli 1889 erstmals die Arbeiter-Zeitung, zunächst 14-tägig, dann wöchentlich. Ab 1. Januar 1895 besitzt die österreichische Sozialdemokratie endlich ihr eigenes Tagblatt.

Noch nicht so weit…

Die Arbeiterbewegung ist männlich. Fabrik- und Heimarbeiterinnen gibt es zwar sonder Zahl, doch die Frauen haben auch innerhalb der Partei einen schweren Stand. Als billige Arbeitskräfte werden sie von ihren männlichen Kollegen als „Lohndrückerinnen“ diffamiert, viele Genossen meinen gar, Frauen­erwerbsarbeit widerspreche der weiblichen Natur.

In Partei und Gewerkschaften sind die Frauen deshalb unterre­präsentiert – beim Gründungs­parteitag in Hainfeld sind weibliche Delegierte nicht einmal zugelassen; die Frauen, so heißt es, seien noch nicht so weit. Und auch in puncto Wahlrecht vertröstet man sie; zunächst müsse das gleiche Wahlrecht für Männer erkämpft werden.

Wir haben es satt…

Wir haben es satt, immer nur als geduldete Personen oder als Dekorationsstücke in irgend einer [sic!] Vertretung zu figuriren.
Marie Krasa in einem offenen Brief an die Parteileitung, 1898

Im Juni 1891 wird in den „festlich geschmückten Räumen“ des Hotel Union in der Nussdorfer Straße der zweite Parteitag der österreichischen Sozialdemokratie abgehalten. 193 Teilnehmer aus 82 Orten sind zugegen, mehr als doppelt so viele wie in Hainfeld. Und: Während in Hainfeld erst Prinzipien aufgestellt wurden und der Grund zu einer neuen Organisation gelegt werden konnte, konnten wir in Wien konstatieren, daß diese Organisation lebe, wachse, gedeihe, daß die Prinzipien, das Programm, welches in Hainfeld beschlossen worden, nicht todter [sic!] Buchstabe geblieben, sondern, daß ihr Geist auch Fleisch geworden.

Erstmals sind nun auch weibliche Delegierte zugelassen, und diese bringen zum Entsetzen vieler Genossen gleich mehrere Anträge zur Gründung einer eigenen „Arbeiterinnen-Zeitung“ ein. Auf Betreiben Victor Adlers werden die Anträge den Lokalorganisationen „zugewiesen“, ein Begräbnis erster Klasse.

Sicherheitshalber wird in der offiziellen Erklärung des Parteitages festgehalten: Gründungen von Parteiblätter sollen nur dann erfolgen, wenn ein nachweisbares Bedürfnis hiefür vorhanden ist, und ihr Bestand gesichert erscheint, und wenn vor allem die nothwendigen, geistigen, technischen und administrativen Kräfte vorhanden sind.

Eine Waffe ist wertlos, wenn sie daheim ruht.

Doch die Frauen geben so rasch nicht auf, und bereits am 2. Oktober desselben Jahres erscheint in der Arbeiter-Zeitung der Aufruf, daß es besonderer Mittel bedarf, um den Frauen das Verständnis ihrer Lage zu eröffnen, um sie in die Schlachtlinie des kämpfenden Proletariats einzureihen. Denn: Wo die „Arbeiter-Zeitung“ noch vielleicht zurück­gewiesen wird, wird eine „Arbeiterinnen-Zeitung“ gerne gelesen werden.

Im Dezember informiert die Redaktion der Arbeiter-Zeitung, dass mit Beginn des neuen Jahres eine „Arbeiterinnen-Zeitung“ als regelmäßige Beilage erscheinen werde: In jeder Werkstätte und Fabrik, wo Frauen und Mädchen beschäftigt sind, soll es [das Blatt, Anm.] zu finden sein. Eine Waffe ist wertlos, wenn sie daheim ruht; daher ist es Ehrenpflicht der Arbeiterinnen, ihr Blatt bis in die entlegensten Winkel zu verbreiten.

Von der Fabrik in die Redaktion

Redigiert wird die neue Arbeiterinnen-Zeitung selbstverständlich von männlichen Redakteuren, lediglich der einleitende Artikel stammt von einer Frau – Adelheid Dwořak, spätere Popp. Darin heißt es, gewohnt aufmüpfig und kämpferisch: An Euch, Arbeiterinnen, ist es, zu zeigen, daß Ihr noch nicht gänzlich versumpft und geistig verkümmert seid, daß Ihr den wahren Wert Eures Organes erkennt. Und, etwas versöhnlicher in Richtung der männlichen Genossen: Die Arbeiterinnen-Zeitung will […] die Erkenntnis verbreiten, daß wir nicht abseits von einander stehen sollen, sondern daß wir, männliche und weibliche Arbeiter, uns zum treuen Bunde die Hände reichen sollen.

Gleich in der ersten Ausgabe steuert Laura Lafargue, die Tochter von Jenny und Karl Marx, „Einen Gruß aus Frankreich“ bei, obwohl sie, wie sie schreibt, bei aller Freude über die neue Publikation, nicht die Nothwendigkeit einsehe, besondere Frauenblätter neben denen der Männer ins Leben zu rufen. Frauen seien, ebenso wie die Männer Schöpferinnen von Mehrwert.

Nach und nach kommen weitere prominente Gastautorinnen aus dem Ausland hinzu, Luise Kautsky-Freiberger etwa, die Sekretärin von Friedrich Engels, Eleanor Marx-Aveling, eine weitere Tochter von Marx, oder Frieda Bebel, die Tochter des Mitbegründers der deutschen Sozialdemokratie. Dennoch bemängeln viele Genossinnen den allzu „männlichen Charakter“ des Blattes.

Drei Engel für die Arbeiterinnen-Zeitung

1892, am dritten Parteitag, der in den „Drei-Engel-Sälen“ in der Großen Neugasse in Wieden abgehalten wird, setzen Viktoria Kofler, Marie Grubinger und Adelheit Dwořak endlich die redaktionelle Eigenständigkeit ihrer Zeitung durch. Als männliche Delegierte einwenden, dass noch keine Genossin den Befähigungsnachweis zur Redakteurin erbracht habe, kontert Dwořak mit der kecken Frage, wie denn „die Herren Redakteure der Parteiblätter“ den ihren erbracht hätten, ehe sie dazu Gelegenheit bekamen. Victor Adler beendet die Diskussion mit der Feststellung, die Ausführungen der weiblichen Delegierten seien der beste Befähigungsnachweis. Der Antrag wird angenommen, die Schriftleitung an Adelheid Dwořak übertragen.

Meine eigentliche Arbeit in der Redaktion war, Notizen und Artikel für die „Arbeiterinnen-Zeitung“ zu schreiben. Sowohl Viktor Adler als auch Jakob Reumann boten mir in zartester Weise ihre Hilfe an. Sie lasen meine Korrekturen, lehrten mich die Satzzeichen unterscheiden, wann ich ein einfaches und wann ein doppeltes s anzuwenden hätte, und sie taten es so, daß ich niemals das Gefühl der Demütigung hatte. Adelheid Popp, Der Weg zur Höhe, 1929

Mit Viktoria Kofler fungiert ab 1893 erstmals auch eine Frau als Herausgeberin der Arbeiterinnen-Zeitung, des „Sozialdemokratischen Organs für Frauen und Mädchen“.

Kochrezepte und Schnittmusterbögen

Um die große Gruppe der „noch nicht politisierten Frauen“ zu erreichen, werden in der Arbeiterinnen-Zeitung jetzt auch „frauenspezifische“ Themen behandelt. Während zu Beginn noch häufig gegen die „heilige Ehe“ polemisiert und die Doppelbelastung der Proletarierin angeprangert wurde, wandelt sich der Tonfall allmählich. Im Vordergrund steht nicht mehr die Befreiung der Frau von den Bürden der Hausarbeit, sondern lediglich deren Erleichterung.

Ab 1911 halten sogar Schnittmusterbögen, Tipps zur Schönheits- und Körperpflege sowie Kochrezepte Einzug in die Arbeiterinnen-Zeitung. Die Auflage des zweimal monatlich erscheinenden Blattes liegt kurz vor Kriegsbeginn bei etwa 28.000 Stück.

In neuem Gewand

Am 1. März 1924 erscheint die Arbeiterinnen-Zeitungin gänzlich neuem Gewand. Die „Sozialdemokratische Monatsschrift für Politik, Wirtschaft, Frauenfragen und Literatur“ – so der Untertitel ab 1929 – heißt nun Die Frau, Herausgeberin ist Adelheid Popp, die Auflage liegt bei 140.000 Stück.

Breiten Raum nimmt der Themenkomplex „Mutterschaft“ ein. Fragen wie Geburtenkontrolle, Abtreibung, Säuglingssterblichkeit, Kinderfürsorge oder Ehegesetze werden zur propagandistischen Agitation gegen die Konservativen genutzt, die immer noch von einer Mehrheit der Frauen gewählt werden. Regelmäßig berichtet das Blatt von Kindstötungen aus Verzweiflung und polemisiert gegen die Doppelmoral der bürgerlichen Frauen und der „christlichen Engelmacherinnen“.

Auch die Auslandsberichterstattung wird in den Dienst der Sache gestellt, etwa mit Berichten über die liberalere Gesetzgebung in der konservativen Schweiz oder über amerikanische Frauenschicksale. Die Frau argumentiert dabei wesentlich schärfer als die Arbeiter-Zeitung, interessanterweise selbst dann, wenn die Artikel von ein und derselben Person stammen.

Im Februar 1934 erscheint die letzte Ausgabe der Frau. Marianne Pollak verfasst einen Nachruf auf die sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Antonie Pfülf, die sich aus Verzweiflung über die politische Entwicklung in Deutschland das Leben genommen hatte: Aber ihre Zeit wird kommen und dann wird auch Toni Pfülf auferstehen, jene deutsche Frau, die lieber die Schwelle des Schattenreiches überschritt, als im Dritten Reich zu leben.

Die Frau wird im November 1945 durch den persönlichen Einsatz einiger Genossinnen als Wochenschrift wiederbegründet; von 1984 bis zu ihrer Einstellung 1987 erscheint sie unter dem Titel Neue Frau.

PRESSE UND PROLETARIAT

Sozialdemokratische Zeitungen im Roten Wien

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