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Aktuelle Seite: „Mit Ach und Krach durchs Leben“
0090 | 26. NOVEMBER 2022    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

„Mit Ach und Krach durchs Leben“

Der Reifen platzte, das Auto flog. Der Lenker stieg unverletzt aus, der Mitfahrer war tot, berichtet die Arbeiter-Zeitung am 28. November 1957 über einen Autounfall bei Schwadorf in Niederösterreich zwei Tage zuvor. Der tödlich verletzte Beifahrer ist niemand geringerer als „Professor Anton Brenner“.

Der 1896 in Wien geborene und aus einfachen Verhältnissen stammende Anton Brenner gerät 1916 in russische Kriegsgefangenschaft und wird nach Sibirien verbracht – eine entscheidende Weichenstellung in seinem noch jungen Leben. Mithäftlinge, die im Zivilberuf Architekten sind, halten im Lager Kurse ab, an denen auch Brenner teilnimmt. Als ihn die Nachkriegs­wirren Ende 1919 nach China verschlagen, plant er als Autodidakt in der ehemaligen deutschen Kolonie Qingdao eine protestantische Kirche und eine Schule.

Zurück in Wien schreibt sich Brenner für Kurse bei Oskar Strnad und Josef Frank an der Kunstgewerbeschule ein und wechselt schließlich zu Peter Behrens und Clemens Holzmeister an die Akademie der bildenden Künste.

Brenners „Wohnmaschine“

Schon während des Studiums beteiligt sich Anton Brenner an Wettbewerben und erhält über Vermittlung des Architektur­publizisten und Siedlungs­referenten Max Ermers 1924 den Auftrag zur Errichtung eines Gemeindebaus mit 32 Wohnungen in der Rauchfangkehrer­gasse. Eine dieser Wohnungen reserviert sich der Architekt gleich selbst.

Brenners Wohnung weist eine Reihe von Neuerungen auf. Im Vorraum gibt es eine in der Wand versenkte „Mottenkammer“ zur Aufbewahrung der Winterkleider. Einbauschränke und -kästen ersetzen als Raumteiler die Trennwand zwischen Wohn- und Eltern­schlafzimmer. Platzsparende Klappbetten für die Kinder komplettieren die bestens durchdachte Einrichtung. Wenn die Betten heruntergeklappt sind, bildet sich je ein Bett und Nachttisch.


Das interessanteste dabei ist eine Vorrichtung, durch die man den Mist in einen Schacht hineinwerfen kann, der bis zum Keller führt.


Wegweisend ist auch die nur vier Quadratmeter große, mit einem zentralen Müllschlucker ausgestattete Einbauküche –ein direkter Vorläufer der berühmten Frankfurter Küche, mit der Brenners Kollegin Margarete Schütte-Lihotzky wenige Jahre später die Küche als Arbeitsraum revolutionieren sollte.Eine „Wasch- und Duschgelegenheit“ findet sich in Kombination mit dem WC.

Der kleine Bau findet in der Fachwelt sofort Beachtung. Die „klare Sachlichkeit und Anspruchslosigkeit der Räume“ werden in der zeitgenössischen Kritik sehr positiv aufgenommen, denn trotz der „denkbar feinsten Raumausnützung lassen die Wohnungen keineswegs die Behaglichkeit vermissen“ (Ernst Stedeli, 1925).

Der am Bauhaus Dessau lehrende Ludwig Hilbersheimer schreibt in seinem Standardwerk  „Großstadtarchitektur“: Nun hat die Stadt Wien für Kleinwohnungen eine Grundfläche von 38 Quadratmeter vorgeschrieben, die für eine vielköpfige Familie viel zu knapp bemessen ist. Trotzdem ist es Anton Brenner durch äußerste Wirtschaftlichkeit verbunden mit höchster Zweckmäßigkeit gelungen, für diese geringe Wohnfläche eine sehr brauchbare Aufteilung zu finden. An jeder Treppe liegen vier Wohnungen, die halbstöckig gegeneinander versetzt sind.

Als „Wohnmaschine“ sorgt der Bau auch in Wien für Schlagzeilen. Im August 1925 besichtigt die Illustrierte Kronen-Zeitung das „Haus mit den eingebauten Möbeln“ und widmet ihm sogar eine Titelseite.

Die Maschine gerät ins Stottern

Soweit die Außensicht. In seinen Lebenserinnerungen schildert Brenner den behördlichen Spieß­rutenlauf bei der Verwirklichung seines Bauvorhabens, die Ignoranz der verantwortlichen Magistratsabteilungen, die Querschüsse und Plagiatsvorwürfe seitens einiger arrivierter Kollegen. Nun rächt sich, dass er es bereits als Student gewagt hatte, die Fachjury und ihre Auftragsvergaben für Gemeindewohnungen öffentlich zu kritisieren – etwa im Rahmen der Vergabe des Lassallehofes an Hubert Gessner.

Brenners Prototyp einer bis ins Detail durchdachten Kleinstwohnung bleibt deshalb ebenso ein Unikat, wie das kurz zuvor von Otto Polak-Hellwig errichtete Einküchenhaus. Die Gemeinde hat wenig Interesse an solch eigenwilligen Plänen, die die Normen ihres Wohnbauprogramms zu sprengen drohen.

Form follows function

Ohne Aussicht auf weitere Bauaufträge sucht Anton Brenner sein Glück in Frankfurt, wo Ernst May  seit 1925 als Stadtbaurat das ambitionierte Wohnungsbau­programm „Neues Frankfurt“ leitet. In der Abteilung für Typisierung tüftelt Brenner an der Rationalisierung der Wohnungsgrundrisse und entwickelt das sogenannte Laubenganghaus. Um die Vorteile der Mietskasernen in den sozialen Siedlungshausbau zu verpflanzen und, umgekehrt, die Nachteile der Stockwerksbauten durch Erfahrungen im Siedlungsbau zu beseitigen, gelangt Anton Brenner vom  Typus der traditionellen Wiener „Pawlatschenhäuser“ zur „gestapelten  Reihenhaussiedlung“.

Die einzelnen Wohneinheiten werden über Gänge an der Nordseite zugänglich gemacht; dadurch können die Stiegenhäuser eingespart werden. Die Wohnräume wiederum sind an der Südseite angeordnet und bieten – mit Balkonen oder Loggien ausgestattet – einen Ausblick auf den Garten. Durch versetzte Stockwerke entstehen unterschiedliche Raumhöhen – niedrigere Schlafräume und höhere Wohnzimmer, gleichsam eine Abfolge von „übereinander angeordneten Siedlungsreihenhäusern“.

Ein Schwieriger

Der „streitbare Querdenker“ scheidet jedoch auch aus Frankfurt im Unfrieden, da ein von ihm entwickelter Grundriss nicht unter seinem Namen veröffentlicht wird. 1929 ist er, als einziger Österreicher, Gastlehrer für Baulehre und Leiter des Bauateliers am Bauhaus in Dessau. 1930 schreibt der deutsche Architekturkritiker Heinrich de Fries in der Architekturzeitschrift „Moderne Bauformen“: Brenner hat schon in Wien in einer Kleinwohnung seines ersten Blockes selbst gelebt und dadurch mehr Erfahrungen gesammelt als die meisten Architekten ähnlicher Zielrichtung, die selten hinreichendes und echtes Verständnis für die Bedürfnisse der Kleinstwohnung aufbringen.

Probleme gibt es auch bei seinem Beitrag zur Wiener Werkbundsiedlung. Zunächst wird sein Entwurf wegen des schwierigen Terrains abgeändert, anschließend werden die beiden winkelförmigen Siedlungshäuser den potentiellen Käufern zu weit überteuerten Preisen angeboten, um, wie Gesiba-Direktor Hermann Neubacher gestehen muss, „die weniger gelungenen Typen, speziell die der Ausländer, billiger abgeben zu können“.

Immer zwischen den Stühlen…

Im Ständestaat erhält Brenner als „radikaler Sozialist“ wieder keine Aufträge. Während des Zweiten Weltkrieges ist er mit dem Bau von Lazaretten beschäftigt. Seinen Entwurf einer fischgrätartig angelegten „Ährensiedlung“ lässt er patentieren und versucht diesen über das Luftgaukommando als „Luftschutzsiedlung“ umzusetzen. Auch für die Genossenschaft „Heimatscholle“ in Linz plant Brenner eine solche Siedlung; beide Projekte werden nicht realisiert.

Teilweise haben wir unter dem Existenzminimum gelebt. Fremde Männer sind gekommen und haben den Kuckuck auf unser Klavier geklebt.Anton Brenner jun.

Nach Kriegsende gilt Anton Brenner als „ehemaliger Nationalsozialist“ und wird von den Sowjets zum Schuttaufräumen abkommandiert. Gemeinsam mit seinem Sohn ist er schließlich für den Wiederaufbau des Amtssitzes der Britischen Botschaft in der Metternichgasse verantwortlich; von 1951 bis 1953 wirkt er als Professor am neu gegründeten Indian Institute of Technology im westbengalischen Kharagpur.

In seinen letzten Lebensjahren setzt Anton Brenner die Zusammenarbeit mit seinem Sohn fort. In dieser Zeit entstehen die Wohnhausanlagen in der  Strohgasse 14 in der Landstraße und in der Dreyhausenstraße 46 in Penzing.

Die von der Familie Brenner bewohnte Kleinwohnung in der Rauchfangkehrergasse wird nach dem Tod von Brenners Frau instandgesetzt und seither vom Verein „Zeit!raum“ als Anton Brenner-Wohnungsmuseum verwaltet.

WENN FRAUEN BAUEN

Margarete Schütte-Lihotzky

Fuss ...