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Aktuelle Seite: Mit Feuer und Flamme
0093 | 17. DEZEMBER 2022    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

Mit Feuer und Flamme

Als erstes Krematorium Österreichs wird die Simmeringer Feuerhalle durch Bürgermeister Jakob Reumann am 17. Dezember 1922 feierlich eröffnet – und das,obwohl ein vom christlichsozialen Minister Richard Schmitz eingebrachter Antrag dies noch in letzter Minute verhindern sollte.

Die katholische Kirche und die Christlichsoziale Partei laufen von Beginn an Sturm gegen das Projekt. Die Feuerbestattung, so ihre Argumentation,  sei zutiefst unchristlich, da sie die Auferstehung verhindere, wohingegen die Erdbestattung denGedankeneinesschlafähnlichenTodesundmithindieErwartungderAuferweckung,derAuferstehungamJüngstenTageingibt.

Über die Vorteile der Einäscherung gegenüber dem Verfaulungsprozeß in der Erde herrscht nach dem Stande der modernen Wissenschaft in hygienischer und sanitärer Beziehung keine Meinungsverschiedenheit.Jakob Reumann, 1922

Die Bundesregierung bringt eine Klage gegen Bürgermeister Reumann beim Verfassungs­gerichtshof ein, durch einen Beharrungsbeschluss des Wiener Gemeinderates bleibt das Krematorium jedoch in Betrieb, und am 17. Januar des folgenden Jahres findet die erste Einäscherung in Gegenwart des Bürgermeisters und der Stadträte statt. 1924 wird der Disput vom VfGH zur allgemeinen Überraschung zugunsten der Gemeinde Wien entschieden. Bald folgen weitere Arbeiter-Hochburgen dem Beispiel der Bundeshauptstadt: 1927 Steyr, 1929 Linz, 1931 Salzburg und 1932 Graz.

Ein heidnischer Brauch

Der Kulturkampf um die Feuerbestattung tobt bereits wesentlich länger. Das Verbot der in der Antike weitverbreiteten Feuerbestattung geht auf Kaiser Karl den Großen zurück, der 785 im Capitulare de partibus Saxoniae den heidnischenBrauchderTotenverbrennung bei Androhung der Todesstrafe verbietet. Dieses Verbot besteht bis in die Neuzeit, und noch im Jahr 1909 beruft sich der österreichische Verwaltungs­gerichtshof anlässlich der geplanten Errichtung einer Feuerhalle in Graz auf Karl den Großen.

Die Erdbestattung bleibt somit bis ins späte 19. Jahrhundert – und in Österreich noch um einiges länger – die einzig zulässige Art der Bestattung, obwohl sich immer wieder einzelne Verfechter einer Wiedereinführung der Leichenverbrennung – als der wesentlich hygienischeren und zeitgemäßeren Art der Leichenentsorgung – zu Wort melden.

Bereits im 18. Jahrhundert lassen sich vereinzelt adelige Sonderlinge aus überschwänglicher Begeisterung für die Lebensformen der Antike einäschern – was regelmäßig zu vehementen Protesten der Kirche gegen diesen „heidnischen Brauch“ führt. Auch spleenige Künstler genehmigen sich solche Extravaganzen. Lord Byron etwa lässt die Leiche seines Dichterfreundes Shelley, der während einer Italienreise tödlich verunglückt, 1822 am Strand bei Viareggio in Nachahmung antiker Rituale verbrennen.

EineForderungderHygiene

Zum Antiklerikalismus und zum Antikenkult manch elitärer Kreise gesellen sich in der Zeit der Aufklärung auch rationale Motive – die Feuerbestattung als eine hygienische und platzsparende Alternative zum althergebrachten Erdgrab. Mit der Industrialisierung und dem rapiden Wachstum der Städte gewinnen diese Argumente an Gewicht.

Es ist die wachsende, der „Klassenreligion“ zusehends entfremdete Arbeiterschaft in den Städten, die eine gesetzliche Zulassung der Kremation fordert. Und da es v.a. „kirchenfeindliche“ Vereine und Organisationen sind, die die Feuerbestattung propagieren, entwickelt sich die Auseinandersetzung allmählich zu einem veritablen Kulturkampf.

1873 konstruiert Friedrich Siemens einen ersten funktionsfähigen Verbrennungsofen, und im selben Jahr wird in England das erste Krematorium des Kontinents eröffnet. Deutschland erhält das erste Krematorium 1878 in Gotha, Zürich und Paris folgen 1889.

In Österreich wird ein Modell des Siemens’schen Ofens in den Verkaufsräumen der Firma am Opernring präsentiert, doch als 1874 bei der Fertigstellung des Zentralfriedhofs der Antrag gestellt wird, Vorkehrungen für die Errichtung einer Leichenver­brennung zu treffen, wird dieses Ansinnen abgelehnt.

Im Jahr 1885 gründet sich der Verein der Freunde der Feuerbestattung „Die Flamme“, dessen erklärtes Ziel die Werbung für die Freigabe der Kremation ist. 1896 beantragt der Verein die Errichtung eines Krematoriums in Österreich. Dieser und ähnliche Anträge werden von den Behörden jedoch stets zurückgewiesen, und die wenigen einäscherungswilligen und zahlungskräftigen Kunden müssen ins benachbarte Ausland, vor allem nach Gotha, ausweichen.

Nur noch eine Frage der Zeit

1918, nach dem Zerfall der Monarchie, wird die Feuerhalle im nordböhmischen Reichenberg (Liberec) in Betrieb genommen. 1921 ist es dann auch in Wien soweit. Der sozialdemokratisch dominierte Gemeinderat beschließt die Errichtung eines Krematoriums auf dem Gelände des in unmittelbarer Nähe zum Wiener Zentralfriedhof gelegenen Neugebäudes. In diesem, von Kaiser Maximilian II. im 16. Jahrhundert errichteten Lustschloss befand sich später die königliche Menagerie, mit Gehegen für zahme und wilde Tiere. Nach der Eröffnung des Schlosses Schönbrunn war das Areal dem langsamen Verfall preisgegeben worden.

Aus den 70 zum Gestaltungs­wettbewerb eingereichten Arbeiten wird der Entwurf Josef Hoffmanns mit dem ersten Preis prämiert. Vergeben wird der Auftrag jedoch an den Träger des dritten Preises, Clemens Holzmeister, dessen Konzept sich in die bestehende Schlossanlage besser einfügen lässt.

Das bereits Ende des Jahres 1922 fertiggestellte Krematorium gilt als eines der wichtigsten Werke Holzmeisters, der später den Wiener Blathof sowie einige repräsentative öffentliche Bauten in der türkischen Hauptstadt Ankara schaffen und für den Umbau des Salzburger Festspielhauses verantwortlich zeichnen sollte. Die theatralische Inszenierung des eigenwilligen, im expressionistischen Stil gehaltenen Gebäudes nimmt auch architektonische Entwicklungen im Wiener Gemeindebau vorweg.

Sozialdemokratisches Pantheon

In der Mitte des Vorplatzes befindet sich das monumentale Urnengrab des ersten sozialdemokratischen Bürgermeisters von Wien, Jakob Reumann, der 1925 – nur wenige Jahre, nachdem er den Bau der Feuerhalle durchgesetzt und diese schließlich eröffnet hatte – hier eingeäschert und beigesetzt wird.

Im angeschlossenen Urnenhain sind zahlreiche bedeutende Persönlich­keiten der Arbeiterbewegung beigesetzt, darunter der Staatssekretär für Soziales Ferdinand Hanusch (1923), die Chef­redakteure der Arbeiter-Zeitung,  Friedrich Austerlitz (1931) und Oscar Pollak (1963), der Arzt und Sozialreformer Julius Tandler (1936), der sozialdemokratische Finanzstadtrat Hugo Breitner (1946 im Exil), die sozialdemokratischen Politiker Franz Domes (1930), Matthias Eldersch (1931), Wilhelm Ellenbogen (1951) und Anton Weber (1950) oder der Finanz­fachmann Benedikt Kautsky (1960).

Auch die Opfer des Austro­faschismus und des National­sozialismus Roman Felleis, Josef Gerl, Otto Felix Kanitz, Karl Münichreiter, Karl Pick, Edwin Schuster, Emil Swoboda und Franz Szidzina sind in Ehrengräbern der Stadt Wien beigesetzt.Eine Gedenkstätte erinnert außerdem an sechs Eisenbahner, die als „bolschewistische Rädelsführer“ im KZ-Maut­hausen ermordet wurden.

Das Krematorium wurde in den Jahren 1967 bis 1969 nach Plänen Holzmeisters erweitert und in den 1980er Jahren modernisiert. Die Feuerhalle Simmering und der Urnenhain verfügen über eine Gesamtfläche von über 215.000 m²; in den mehr als 46.000 Grabstellen sind über 240.000 Urnen beigesetzt.

Literatur
Werner T. Bauer (2004): Wiener Friedhofsführer. Genaue Beschreibung sämtlicher Begräbnisstätten nebst einer Geschichte des Wiener Bestattungswesens.

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