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Aktuelle Seite: Stimmen gegen die Barbarei
0097 | 22. JANUAR 2023    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

Stimmen gegen die Barbarei


Am 22. Januar 1933, eine knappe Woche vor der Ernennung Adolf Hitlers zum deutschen Reichs­kanzler, gründen Autoren wie Josef Luitpold SternFritz BrügelTheodor Kramer und Rudolf Brunngraber im Saal der Bildungs­zentrale in Margareten die „Vereinigung sozialistischer Schriftsteller“.

Ziel sei es, alle Schriftsteller, deren Welt­anschauung der Sozialismus ist, zur geistigen und materiellen Förderung ihrer Arbeit zuversammeln und eine Zusammen­arbeit mit gleichgearteten künstlerischen Vereinigun­gen herbeizuführen. Obmann wird Josef Luitpold Stern.

Die linken Schriftsteller veröffentlichen regelmäßig Beiträge in der sozial­demokratischen Presse, allen voran in der Arbeiter-Zeitung, organisieren Diskus­sions­­­veranstaltungen, Vorträge und Dichterabende.

Die Vereinigung sieht sich als Sprachrohr der vom Faschismus unterdrückten und verfolgten Literatur. Und sie unterstützt im Rahmen des „Österreichischen Hilfskomitees für deutsche Flüchtlinge“ die vor dem Nazi-Terror nach Österreich geflohenen Schriftsteller. Exilanten wie Oskar Maria Graf, Jakob Haringer und die Heimkehrerin Hermynia Zur Mühlen werden Mitglieder der Vereinigung.

Verbrennt mich!"  

Am 30. April 1933 kündigt die Arbeiter-Zeitung einen „zeitgemäßen Literaturkurs“ an. Thema ist „die verfolgte Literatur in Deutschland und die Ankündigung, Bücher öffentlich zu verbrennen“. Der Beginn dieser Vortragsreihe ist für den 10. Mai festgesetzt. An diesem Tag werden die Nationalsozialisten in Berlin die Werke von Karl Marx, Erich Kästner, Sigmund Freud, Kurt Tucholsky, Carl von Ossietzky und vielen anderen auf die Scheiterhaufen werfen.


Zwei Tage später fordert der bayrische Dichter Oskar Maria Graf in einem leidenschaftlichen Protest in der Arbeiter-Zeitung „Verbrennt mich!“. Die Zentralstelle für das Bildungswesen lässt Stempel mit dem Hinweis „Dieses Werk wurde aus Hitler-Deutschland verbannt! Urteilen Sie selbst!“ anfertigen und kennzeichnet damit die in den Arbeiter­büchereien aufliegenden Werke „verbrannter Autoren“.

Von Mai bis August 1933 finden in Wien insgesamt 41 Veranstaltungen – meist Vorträge mit anschließenden Rezitationen – über die Bücherverbrennungen in Deutschland statt. Vortragende sind Mitglieder der Vereinigung wie Alfred Apsler, Fritz Brügel, Rudolf Brunngraber, Otto König, Lotte Pirker, Josef Luitpold Stern und Edwin Zellweker. Diskutiert werden u.a. Themen wie „Stil und Marxismus“, „Formfragen in der Kunst“, „Dichter in der Revolution und Konterrevolution“, „Die Gestaltung der Masse im Roman“, „Sozialistische Presse, sozialistische Schriftsteller“.

Die Stimme erheben!

Sehr zum Missfallen der deutschen Delegierten verschafft sich die Vereinigung sozialistischer Schriftsteller anlässlich des XI. internationalen PEN-Kongresses, der Ende Mai 1933 in Dubrovnik stattfindet, Gehör und ergreift das Wort für die verfolgte deutsche Literatur. Die offiziellen Vertreter Österreichs, angeführt von Grete von Urbanitzky und Felix Salten, hüllen sich in beredtes Schweigen.

Noch am 10. Februar 1934, zwei Tage vor Ausbruch des Bürgerkriegs, veröffentlicht die Vereinigung ihre Ziele und Aktivitäten in der Arbeiter-Zeitung: Es wird zu den Aufgaben der Vereinigung gehören, in Zukunft ihre Stimme noch deutlicher gegen die Barbarei zu erheben.

Es gibt allerdings keine „Zukunft“ mehr. Am 2. März 1934 erfolgt die zwangsweise Auflösung der Vereinigung mittels Bescheid des Sicherheitskommissärs des Bundes für Wien. Etlichen Mitgliedern gelingt die Flucht ins Ausland. David Josef Bach, Robert Ehrenzweig, Marie Jahoda, Marianne Pollak und Theodor Kramer gelangen nach England, Schiller Marmorek, Josef Luitpold Stern, Alfred Weintraub oder Max Winter in die USA, Klara Blum und Ernst Fischer überleben in der Sowjetunion.

Opfer des Terrorregimes

Viele andere holt die national­sozialistische Barbarei in den folgenden Jahren ein. Die Schriftstellerin Thekla Merwin und ihre Tochter Magda (1944), der Anwalt und Schriftführer der Vereinigung Heinrich Steinitz (1942) und der Lyriker Adolf Unger (1942) werden in Auschwitz ermordet. Der Dichter Walter Lindenbaum stirbt 1945 nach seinem Transport von Auschwitz ins KZ-Buchenwald.

Die Sozialwissenschaftlerin Käthe Leichter wird 1942 in Bernburg an der Saale umgebracht. Die Erzählerin Adele Jellinek geht 1943 im Ghetto Theresienstadt zugrunde. Die Literatin Else Feldmann wird im Juni 1942 von Wien nach Sobibor deportiert und dort getötet, der Arbeiterdichter Benedikt Fantner, der bei den Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg gekämpft hatte, wird 1942, nachdem er zuvor ins KZ-Dachau verschleppt worden war, mit einem sogenannten Invalidentransport nach Hartheim bei Linz verschickt und ebenfalls ermordet.

In jahrelanger Arbeit hat der 2009 verstorbene Publizist Herbert Exenberger Unterlagen und Dokumente zur Vereinigung recherchiert. Seine Sammlung von Materialien zur Geschichte der Vereinigung, ihrer 55 Mitglieder und weiterer Schriftsteller aus deren Umfeld, wird in den Jahren 2012/13 von Brigitte Lehmann und Alexander Emanuely aufgearbeitet und ist auf der Seite der Theodor Kramer Gesellschaft frei zugänglich.

Link
Herbert Exenberger Archiv

Literatur
Herbert Exenberger: Als stünd’ die Welt in Flammen. Eine Anthologie ermordeter sozialistischer SchriftstellerInnen, 2000.

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