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Aktuelle Seite: „Und wenn dann der Kopf fällt, sag ich: Hoppla!“
0079 | 25. AUGUST 2022    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

„Und wenn dann der Kopf fällt, sag ich: Hoppla!“

Mario Petrucci Tausendsassa

Am 25. August 1972 stirbt der Bildhauer Mario Petrucci im Alter von 79 Jahren in seiner Wahlheimat Wien.

Mario Antonio Giuseppe Petrucci, der Sohn eines Schuhmacher­meisters, kommt am 25. März 1893 im italienischen Ro di Ferrara auf die Welt und begibt sich, wie er später erzählen wird, bereits „als Elfjähriger“ auf die Walz. Über die Schweiz und Frankreich gelangt er nach Deutschland, wo er vom Ersten Weltkrieg überrascht wird.

Petrucci geht nach Zürich, betätigt sich dort als Stuckateur, Dekorationsbildhauer und Maler, entwirft einen „Delphinbrunnen“ für das Gebäude des Schweizer Bankvereins, einen „Märchen­brunnen“ für eine Villa am Zürichsee sowie mehrere Grabdenkmäler in Zürich und Winterthur.

Während seiner Züricher Zeit hat Petrucci eine Affäre mit der aus Wien stammenden Tänzerin und Schauspielerin Karoline Blamauer, die später unter dem Namen Lotte Lenya reüssieren und als Spelunken-Jenny in Bertolt Brechts „Dreigroschenoper“ berühmt werden sollte.

Und dann hab ich mich in einen Italiener verliebt, einen Bildhauer, Mario Petrucci hieß der, [...] und bin also eingezogen mit dem Bildhauer, Mario, der wohnte so in einem Hinterhof, in einem kleinen Studio.

Doch kann er allerlei.

1920 kommt der ebenso umtriebige wie selbstbewusste Mario Petrucci nach Wien und wird hier in die Meisterklasse des Bildhauers Hans Bitterlich an der Akademie der bildenden Künste aufgenommen. Es folgen erste Veröffentlichungen seiner Arbeiten in der illustrierten Herrenzeitschrift „Die Muskete“ und Ausstellungs­beteiligungen.

Ein Kritiker urteilt über den jungen Bildhauer: Die Gedanken, die er verkörpert, sind nicht eben tief, doch kann er allerlei. Es entstehen erste Porträtköpfe bekannter Künstler wie Leo Fall, Egon Friedell oder Franz Lehar. Der begabte Selbstvermarkter Petrucci bringt sich und seine Arbeit immer wieder auch in populären und auflagenstarken Zeitungen und Zeitschriften wie Die Stunde, Der Tag, Neues Wiener Journal oder Das interessante Blatt unter. 1927 erscheint in der Zeitschrift Die Bühne sogar ein ganzseitiges Porträt des Künstlers unter dem Titel „Ein Wiener Bildhauer aus Italien“.

Ein aufrichtiger Sozialist

Bald fällt Petrucci auch mit ersten Denkmalprojekten auf. Allerlei Pläne und Modelle geistern durch die Wiener Presse: Denkmäler für den Geologen Eduard Sueß, den Schreibmaschinenerfinder Peter Mitterhofer, für Arthur Schnitzler, Anton Bruckner und Richard Wagner oder für die Opfer des Sonnblick-Lawinenunglücks von 1928 sowie ein „Turm des Schweigens“ beim Krematorium. Die meisten Projekte kommen über das Entwurfsstadium nicht hinaus.

Ein Werk darf Mario Petrucci im Roten Wien aber tatsächlich realisieren: Im Januar 1926 beschließt der Bezirksvorstand der Brigittenau die Errichtung eines Denkmals zu Ehren des deutschen sozialistischen Politikers Ferdinand Lassalle und betraut Petrucci mit dieser Aufgabe.

1928 wird das monumentale Werk feierlich eröffnet. Vor dem Winarskyhof türmt sich das Straßenpflaster zu einem Obelisken auf, der von einem überlebens­großen bronzenen Lassalle-Kopf bekrönt wird.

Die Arbeiter-Zeitung berichtet am 7. Mai 1928: Die Brigittenau, die bis vor wenigen Jahren noch bar jeder architektonischen Schönheit war, hat binnen kurzer Zeit einen der herrlichsten Plätze des neuen Wien bekommen.

Alle sind sie zur Feier gekommen – Otto Bauer, Robert Danneberg, Albert Sever, Hugo Breitner, Paul Speiser und Julius Tandler, die sozialdemokratischen Mandatare des Bezirks, die Bezirksvorsteher, Gemeinde- und Nationalräte der übrigen Bezirke. Das Denkmal, so Wilhelm Ellenbogen, sei ein Ausdruck des Dankes für den Mann, der den Unverstand der Massen besiegt habe.

Das Denkmal wird zweifellos auf den ersten Blick befremdlich wirken.Wilhelm Ellenbogen

„Befremdlich“ wirkt es offenbar auch auf viele andere. Die christlich-soziale Reichspost veröffentlicht eine Stellungnahme der Künstlervereinigungen Künstlerhaus, Sezession, Hagenbund und Bund österreichischer Künstler. Darin ist von wirrphantastischem Wollen,versagendem Können und Dilettantismus die Rede. Gefordert wird die Einsetzung eines künstlerischen Beirats, damit in Zukunft derartige Missgriffe, die der künstlerischen Tradition Wiens unwürdig sind, vermieden würden.

Für den Künstler kommt es noch dicker: Die Wiener Neuesten Nachrichten behaupten gar, Petrucci sei vor noch nicht langer Zeit im schwarzen Hemd der Fascisten [sic!] herumgelaufen und nun aus einem fascistischen Saulus zu einem sozialistischen Paulus geworden. Petrucci begegnet dieser Verleumdung mit einer Klage und erklärt vor Gericht, er sei ein aufrichtiger Sozialist.

Das Lassalle-Denkmal in der Brigittenau wird 1936 abgetragen und zerstört. Nach Kriegsende wird Petrucci eine kleinere Nachbildung des Kopfes in Form einer Büste schaffen, die sich heute in der Dauerausstellung Das Rote Wien im Waschsalon Karl-Marx-Hof befindet.

Ein Luftikus

Petrucci protestiert gegen die Demontage seines bis dahin wichtigsten Werkes, vergeblich.Doch eigentlich ist er gedanklich schon ganz anderswo. Am 18. März 1934, einen Monat nach den Februarkämpfen und der Zerschlagung der österreichischen Sozialdemokratie, besucht das Neue Wiener Journal den Bildhauer in seinem Atelier. Beim Betreten des freundlichen Studios fällt dem Reporter sogleich ein Relief mit dem markanten Kopf des Wiener Erzbischofs Kardinal Dr. Innitzer auf. Der Ton ist noch feucht...

Der Kontakt zum kirchlichen Würdenträger sei entstanden, als dieser das Atelier besucht habe, um das Hochrelief zu begutachten, das ich vom verstorbenen Altbundes­kanzler Dr. Ignaz Seipel geschaffen habe, des, wie der Künstler im Interview noch explizit ausführt, größten neu-österreichischen Staatsmannes.

In den folgenden Jahren macht Petrucci mit seinen „Glas­skulpturprojekten“ von sich reden. Er entwickelt ein Verfahren, das es ihm ermöglicht, von Glas ummantelte „Luftplastiken“ herzustellen. Dabei schließt der Glasblock eine Hohlform ein, welche die eigentliche Plastik bildet. Wird der Glasblock von unten beleuchtet, so entsteht ein Bernstein-Einschluss-Effekt, der die „Luftplastik“ hervortreten und scheinbar schweben lässt. Im Londoner Hyde-Park will Petrucci gar ein Shakespeare-Denkmal als Glasskulptur aufstellen lassen. Und noch Anfang 1944 berichtet die Illustrierte Kronen Zeitung vom Traum eines Bildhauers: die Hohlform im Glasblock. Größere Aufträge bleiben allerdings aus.

Endlich Staatskünstler!

Nach Kriegsende ist der Antifaschist Petrucci sogleich wieder zur Stelle. Die Österreichische Zeitung, das offizielle Organ der sowjetischen Besatzungsmacht, zitiert den Künstler am 7. März 1946 mit den Worten: Aufrichtigen Dank der Roten Armee, der Befreierin Wiens, die es auch uns Künstlern ermöglicht hat, endlich wieder frei schaffen zu können. Im Frühjahr 1947 präsentiert Das Kleine Volksblatt den Entwurf des Künstlers zu einem österreichischen Freiheitsdenkmal, wenige Monate später einen zweiten Aufguss seines „Turms des Schweigens“, der am Zentralfriedhof an die Opfer des National­sozialismus erinnern soll.

Tatsächlich verwirklicht wird 1947 das Denkmal für die vom Faschismus ermordeten Feuerwehrmänner an der Fassade des Bürgerlichen Zeughauses Am Hof. Es zeigt einen enthaupteten Feuerwehrmann, der seinen Kopf im rechten Arm trägt.

In den folgenden Jahren gehört der heute etwas in Vergessenheit geratene Künstler zu den meistbeschäftigten Bildhauern. Zahlreiche seiner Werke schmücken bis heute den öffentlichen Raum der Stadt, so etwa die monumentale Büste Ferdinand Hanuschs am Denkmal der Republik (1948), ein Max-Reinhardt-Medaillon am Theater in der Josefstadt (1949), die Skulptur „Lichtbringer“ am Franz-Domes-Hof (1952), die Porträt­plastik von Robert Blum am gleichnamigen Gemeindebau, die Pinguinfamilie im Stadtpark (beide 1953), die Gregor-Mendel-Gedenkanlage am Friedrich-Engels-Platz und die „Ponyfamilie“ im Einstein­hof  (beide 1957), Vogeltränken in verschiedenen Bezirken Wiens sowie zahlreiche Grabdenkmäler und Büsten... Ein Alleskönner.

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