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Aktuelle Seite: Unser die Jugend – unser die Welt
0029 | 26. JULI 2021    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

Unser die Jugend – unser die Welt

Als Österreich 60 „Goldmedaillen“ holt

Am 26. Juli 1931 endet die 2. Arbeiter-Olympiade in Wien. Erhebend und überzeugend zugleich sind die Heerscharen des internationalen Arbeitersports in den Julitagen in Wien aufmarschiert. Sie haben auf alle Teilnehmer und Zuschauer, auf Freund und Feind durch ihr geschlossenes und diszipliniertes Verhalten gewirkt,schreibt Organisator Hans Gastgeb in einer viersprachigen Broschüre, die im Anschluss publiziert wird. Junges frisches Leben, starke Kämpfer sind nötig; der Arbeitersport erzieht das Proletariat zum Kampf um eine bessere Weltordnung, um Lebensfreude und Kultur.

1925 findet eine 1. „Arbeiter-Olympiade“ in Frankfurt am Main statt; die Austragung der 2. Arbeiter-Olympiade wird an Österreich vergeben. Zum einen, weil der österreichische Arbeiterbund für Sport und Körperkultur europaweit die höchsten Mitgliederzahlen aufweist – der ASKÖ zählt Ende der 1920er-Jahre über 200.000 Mitglieder. Und zum anderen, weil sich das Rote Wien bei der Durchführung derartiger Großveranstaltungen in der Vergangenheit bereits bestens bewährt hatte.

Die Winterspiele gehen im Februar 1931 in Mürzzuschlag und auf dem Semmering – als Internationale auf Bretteln– über die Bühne, die Sommerspiele finden vom 19. bis zum 26. Juli 1931 in Wien statt. Das anlässlich der Arbeiter-Olympiade neu errichtete Praterstadion mit Stadionbad wird bereits am 11. Juli feierlich eröffnet.

Unsere Gäste sind bescheiden!

Beim großen Internationalen Sozialistischen Jugendtreffen zwei Jahre zuvor waren 50.000 junge Menschen nach Wien geströmt. Nun werden 70.000 erwartet, darunter 30.000 Deutsche.

Und auch diesmal ist Gemeinderat Edmund Reismann für die Beschaffung der Quartiere zuständig – und Kummer gewöhnt: Die Bevölkerung von Innsbruck mußte untergebracht werden. Viele der Gäste kommen in Schulen, die meisten anderen in Gemeinde­bauten und in Privatquartieren unter. Sozialdemokratische Blätter rufen ihre Leser dazu auf, Quartiere zur Verfügung zu stellen: Unsere Gäste sind bescheiden! Ein einfaches Lager genügt vollauf.

Die Gemeindebauten an der Ringstraße des Proletariats dienen den Engländern und Amerikanern als Quartier und gleichzeitig als Anschauungsunterricht über die Leistungen der Wiener Wohnbau­tätigkeit […]. Nach Döbling kommen lauter Alpenbewohner, Tiroler und Salzburger, und in den Karl-Marx-Hof Schweizer. […] Und in der Komensky­schule gibt es einen kleinen Völkerbund. Sportler aus Palästina, Lettland, Ungarn, Litauen und Polen werden da nebeneinander Platz finden, berichtet die Arbeiter-Zeitung.

Wir verzichten von vornherein auf alle Sensationen

Der Arbeitersport ist ein Massensport. Seine Olympiade will deshalb nicht Akrobatenkunststücke einiger Stars vorführen, sondern die harmonische Körperausbildung von Tausenden zeigen, stellt Julius Deutsch, Schutzbundführer und Vorsitzender der Sozialistischen Arbeiter-Sportinternationale, bereits im Vorfeld klar. Der Akzent liegt deshalb weniger auf Einzel­leistungen, sondern vielmehr auf der Breitenwirkung des Sports – in bewusster Abgrenzung zu den als kommerziell und nationalistisch eingestuften Olympischen Spielen. Zumindest in der Theorie. In der Praxis berichtet sogar die Arbeiter-Zeitung euphorisch von heimischen Siegen und neuen Rekorden.

Tauziehen, Raffball, Kunstradfahren


Trotz Weltwirtschaftskrise nehmen 25.000 Sportlerinnen und Sportler aus 27 Nationen an der Arbeiter-Olympiade in Wien teil, darunter mit Hapoel Tel Aviv auch eine Delegation aus dem britischen Mandatsgebiet Palästina. Zu ihrem Fußballteam gehören die in Wien noch bestens bekannten Spieler Stern (früher: Hakoah) und Berger (früher: Ferencváros Budapest).

Insgesamt werden 117 Bewerbe in 18 Sportarten ausgetragen, darunter Fußball, Hand- und Faustball, diverse leichtathletische Bewerbe, Radsport, Ringen, Boxen, Gewichtheben und allerlei Wassersportarten, aber auch solche, die den Arbeitersportlern „bisher verschlossen waren“, wie Tennis, Jiu-Jitsu, Paddeln, Motorradfahren und Landhockey.

Einige der olympischen Disziplinen muten heute kurios an. Der Dreikampf der Fußballer etwa oder das zu den Kraftsportarten zählende Tauziehen, das Österreich sowohl im Leicht- als auch im Schwergewicht gegen Deutschland gewinnt. Etwas aus der Mode gekommen sind damals populäre Sportarten wie Schleuderball­werfen, Kunstradfahren oder Raffball – ein Vorläufer des modernen Handballs.

„Rund um Wien“ und „Quer durch Wien“

Der erste sportliche Wettbewerb ist das Radrennen„Rund um Wien“. Vom Start in Floridsdorf führt der Weg über Langenzersdorf, Stockerau, Tulln, den Riederberg, Purkersdorf, Laab im Walde, Liesing, Mödling, Biedermannsdorf, Moosbrunn und Schwadorf zum Ziel in Schwechat – 140 Kilometer auf staubigen Straßen durch weite Ebenen, dann mit mühsamen Tritt und durstiger Kehle in heißer Sonnenglut Berge hinan, wie die Arbeiter-Zeitung es überaus poetisch vorab formuliert hat. Da die Rad-Fernfahrt schließlich bei strömendem Regen stattfindet, verzichtet ein Großteil des Teilnehmerfeldes auf den Start. Sieger wird der Wiener Karl Hamedl.

Vor wenigen Jahren noch war sportliche Ertüchtigung ein Vorrecht der Begüterten.Karl Seitz

Die Wassersport-Wettbewerbe werden großteils im neu errichteten Stadionbad abgehalten. Eine echte Herausforderung ist aber das Schwimmen „Quer durch Wien“. Der Start liegt an der Nussdorfer Schleuse, das Ziel bei der Rotundenbrücke. Die Sieger Erwin Wimmer und Emmi Schweiger kommen beide aus Österreich.

Wehrsport als Demonstration der Kampfbereitschaft

Die 2. Arbeiter-Olympiade ist allerdings auch als eine Machtdemonstration der internationalen Arbeiterbewegung gegenüber dem erstarkenden Faschismus gedacht. Obwohl das bereits faschistisch beherrschte Italien keine Delegation entsenden konnte, wird das Land bei der Eröffnungsfeier im Stadion aufgerufen, und als Ausdruck der Solidarität mit den italienischen Genossen werden alle Fahnen gesenkt.

Auf die angespannte, von Gewaltbereitschaft geprägte Lage in Europa antworten die Arbeitersportler mit Wehrsport­bewerben. Bei den Stafettenläufen und im Weitspringen brillieren die Letten, die auch die Gesamtwertung gewinnen. Die österreichischen Wehrturner sind im Hindernislauf und im Keulenweitwerfen erfolgreich.

Am Rande der Olympiade

Parallel zu den Sportveranstal­tungen tagt die 4. Internationale Frauenkonferenz, zu der 300 Delegierte aus 27 Ländern anreisen. Auch die Internationale Sozialistische Studentenföderation, die Arbeiter-Radio-Internationale und die Wehrsportführer treffen einander in Wien.

Im Anschluss tagt der 4. Kongress der Sozialistischen Arbeiter-Internationale unter dem Vorsitz des Belgiers Émile Vandervelde im Wiener Konzerthaus. Etwa 1.000 Delegierte aus 34 Ländern nehmen an dem Treffen teil, bei dem es, so Vandervelde, um Sein oder Nichtsein der deutschen Demokratie gehe.

Erfolgreiche Bilanz

Österreich geht mit „60 Goldmedaillen“ als erfolgreichste Nation aus diesen Spielen hervor. Besonders froh machen die Siege gegen den „großen Bruder“ aus Deutschland. Im Fußball siegen die Österreicher, knapp, aber verdient mit 3:2, im Handball mit 10:9 und  im Wasserball sogar mit 10:3. Nur im Raffball muss die Partie beim Stand von 5:4 abgebrochen werden, da die Gastgeber durch Ausschlüsse numerisch so geschwächt sind, dass sie nicht weiterspielen können.

Die 3. Arbeiter-Olympiade, die 1936 in Barcelona stattfinden sollte, fällt dem Spanischen Bürgerkrieg zum Opfer. Die Veranstaltung wird 1937 in Antwerpen „nachgeholt“, ohne Beteiligung Deutschlands, Österreichs, Polens und Ungarns. Es ist die letzte Veranstaltung dieser Art. 1943 – die 4. Arbeiter-Olympiade ist in Helsinki geplant – wütet bereits der Zweite Weltkrieg.

2. ARBEITER-OLYMPIADE IN WIEN

Sonderausstellung 2020/21

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