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Aktuelle Seite: Wenn Frauen bauen
0056 | 23. JANUAR 2022    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

Wenn Frauen bauen

Am 23. Januar 1897 wird Margarete Lihotzky in eine durch und durch bürgerliche Familie in Wien geboren.

Ihr Vater Erwin Lihotzky ist Staatsbeamter, ihre Mutter Julie Bode ist mit dem deutschen Kunsthistoriker und Museumsexperten Wilhelm von Bode verwandt, Großvater Gustav Lihotzky ist Bürgermeister von Czernowitz und später Hofrat im Justizministerium. Beste Voraussetzungen also, um auch als Mädchen gefördert zu werden.

Margarete studiert von 1915 bis 1919 als erste und damals einzige Frau Architektur an der k.k. Kunstgewerbeschule – der heutigen Universität für Angewandte Kunst – in der Klasse von Oskar Strnad. Frauen sind an Hochschulen und Universitäten noch nicht zugelassen, die Kunstgewerbe­schule bildet eine Ausnahme.

1916 konnte sich niemand vorstellen, dass man eine Frau damit beauftragen wird, ein Haus zu bauen – nicht einmal ich selbst, erzählt sie viele Jahrzehnte später. Sie habe jedoch unbedingt an der Kunstgewerbeschule studieren wollen, die damals sicher die beste Kunstschule der Monarchie, wenn nicht in ganz Europa gewesen sei, denn schließlich unterrichteten dort Josef HoffmannAnton Hanak, Rudolf Larisch und Oskar Kokoschka.

Das Grundrecht auf menschenwürdiges Wohnen für alle

Oskar Strnad ermutigt sie, an einem Wettbewerb für „Arbeiter­wohnungen“ teilzunehmen – eine erste Auseinandersetzung mit dem Thema des sozialen Wohnbaus, das sie ihr Leben lang begleiten wird. 1920 erhält die junge Architektin einen Preis für die Planung einer Schrebergartenanlage am Schafberg.

Diese Arbeit bringt sie in Kontakt mit der Wiener Siedlerbewegung, die nach Antworten auf die ungeheure Wohnungsnot im Wien der Nachkriegszeit sucht. Gemeinsam mit Adolf Loos, der für kurze Zeit das Siedlungsamt der Stadt Wien leitet, plant sie die Siedlung Friedensstadt beim Lainzer Tiergarten, im Anschluss daran mit Architekt Ernst Egli die Siedlung „Eden“ am Wolfersberg. Sie entwirft Siedlerhäuser und „Kernhaustypen“ für die Gemeinde Wien. Kernhäuser enthalten ganz kleine Wohnungen, sind aber so angelegt, daß sie später ohne Schwierigkeiten ausbaufähig sind, schreibt Robert Danneberg.

Margarete Lihotzky engagiert sich auch in der „Warentreuhand“ des Verbands für Siedlungs- und Kleingartenwesen, eine Beratungs­stelle für Wohnungseinrichtung, die allem Schund den Krieg erklärt, so Verbandsobmann Adolf Müller.

Sie ist auch an der Planung der Siedlerausstellungen am Rathausplatz in den Jahren 1922 und 1923 beteiligt und verfasst ihre ersten Artikel zu Fragen des Wohnens und der Rationalisierung der Hauswirtschaft unter dem Aspekt einer „arbeitssparenden Haushaltsführung“.

Das Labor einer Hausfrau

Zuhause in Wien hat meine Mutter gekocht, in Frankfurt bin ich ins Wirtshaus gegangen. Ich habe die Küche als Architektin entwickelt, nicht als Hausfrau.

Über Loos lernt Grete Lihotzky den deutschen Architekten Ernst May kennen, der als Siedlungs­dezernent der Stadt Frankfurt für die Planung und Realisierung des Projekts „Neues Frankfurt“ verantwortlich ist. May holt sie 1926 nach Frankfurt, wo sie in der Abteilung Typisierung tätig ist.

Hier entwirft Lihotzky Einrichtungen für Kindergärten, Wäschereien, Wohnungen für berufstätige Frauen und, als Prototyp der modernen Einbauküche, ihre berühmt gewordene „Frankfurter Küche“. Diese bietet auf der Grundlage der „Griff- und Schrittersparnis“ ein Maximum an Ausstattung auf kleinstem Raum – Vorbild sind die Ende des 19. Jahrhunderts aufge­kommenen Speisewagenküchen. 

In Frankfurt lernt Grete auch ihren Kollegen Wilhelm Schütte kennen, den sie 1927 heiratet.

Aufträge in Wien bleiben die Ausnahme. Gemeinsam mit Loos und anderen ist Grete Lihotzky an der Planung des Winarskyhofes und des benachbarten Otto-Haas-Hofes beteiligt, für die Wiener Werkbund­siedlung entwirft sie zwei Reihen­häuser in der Woinovichgasse. Unter den 32 Architekten der Siedlung ist Schütte-Lihotzky wie immer die einzige Frau.

1930 wird Ernst May zur Planung neuer Wohnstädte in der Sowjetunion eingeladen. Mit von der Partie sind auch Margarete Schütte-Lihotzky und ihr Mann Margarete als Expertin für moderne Kindergärten, Wilhelm als Experte für Schulbauten.
Im Rahmen des ersten Fünfjahres­plans der Industrialisierung der Sowjetunion entwickelt die „Brigade May“ die Pläne für die Industrie- und Arbeiterstadt Magnitogorsk im Südural.

Exil und politisches Engagement

1937 verlässt das Ehepaar Schütte die Sowjetunion und reist nach Paris. Im Herbst 1938 übersiedeln sie, so wie Clemens Holzmeister und auch Bruno Taut, nach Istanbul. Hier erhält Margarete die Möglichkeit, an der Akademie der Schönen Künste zu unterrichten. Im Rahmen des revolutionären Projekts der „Dorfinstitute“ (Köy Enstitüleri), das eine flächendeckende Versorgung des Landes mit Schulen und Lehrern ermöglichen soll, entwirft Schütte-Lihotzky verschiedene Typen von Dorfschulen.

In Istanbul tritt sie 1939 der österreichischen Kommunistischen Partei bei und reist im Dezember 1940 aus dem sicheren Exil nach Wien, um mit der kommunistischen Widerstandsbewegung in Verbindung zu treten. Sie wird allerdings bereits im Januar 1941 verhaftet und im darauffolgenden Jahr zu 15 Jahren Kerker verurteilt – die meisten ihrer Mitangeklagten bezahlen ihr Engagement mit dem Leben.

Späte Anerkennung

Bei Kriegsende aus dem Frauen­zuchthaus im bayerischen Aichach befreit, kehrt Schütte-Lihotzky nach Wien zurück.
Wegen ihrer politischen Ansichten wird ihr in Österreich lange Zeit die gebührende Anerkennung versagt, und auch die Aufträge bleiben aus. Sie arbeitet deshalb als selbständige Architektin und Beraterin in Bulgarien, China, Kuba und der DDR.
Eines ihrer interessantesten Nachkriegsbauwerke ist der mittlerweile denkmalgeschützte „Fröbel“-Kindergarten auf dem Kapaunplatz inmitten des Gemeindebaus am Friedrich-Engels-Platz. Gemeinsam mit ihrem Mann und anderen plant sie außerdem für die KPÖ das markante Globus-Verlagsgebäude am Wiener Höchstädtplatz, ebenfalls im 20. Bezirk.

Die öffentlichen Ehrungen kommen spät, sehr spät. 1980 erhält Margarete Schütte-Lihotzky den Preis der Stadt Wien für Architektur und 1988 das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst, dessen Überreichung durch Bundespräsident Kurt Waldheim  sie wegen dessen NS-Vergangenheit ablehnt. Die Auszeichnung wird ihr schließlich 1992 von Thomas Klestil überreicht.

1993 findet im Museum für Angewandte Kunst in Wien die erste Ausstellung über ihr Gesamtwerk statt, der nach wie vor dort ausgestellte Nachbau einer Frankfurter Küche entsteht in Zusammenarbeit mit der Architektin selbst. Margarete Schütte-Lihotzky stirbt, fünf Tage vor ihrem 103. Geburtstag, am 18. Januar 2000 in Wien.

Links
MAK – Museum für angewandte Kunst
Margarete Schütte-Lihotzky-Raum
Literatur
Grete Lihotzky, Einiges über die Einrichtung österreichischer Häuser unter besonderer Berücksichtigung der Siedlungsbauten. In: Schlesisches Heim, Heft 8, Breslau 1921.
Peter Noever (Hrsg.), Margarete Schütte-Lihotzky. Soziale Architektur, 1993.
Anita Zieher, Auf Frauen bauen. Architektur aus weiblicher Sicht, 1999.
Margarete Schütte-Lihotzky, Warum ich Architektin wurde, 2004.

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