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Aktuelle Seite: Wiens neuer Tonfilmpalast
0039 | 29. SEPTEMBER 2021    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

Wiens neuer Tonfilmpalast

Am 29. September 1931 eröffnet in der Favoritenstraße 8 Wiens modernstes und schönstes Kinotheater, die Scala.

Ab 1908 befindet sich an dieser Adresse das auf Operetten, Lustspiele sowie Schwänke und Possen spezialisierte Johann-Strauß-Theater. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts treten hier bekannte Stars wie Alexander Girardi und Josefine Baker auf, mit der Wirtschaftskrise und dem Aufkommen des Tonfilms rentiert sich der Betrieb allerdings nicht mehr.

Die der Sozialdemokratie nahe­stehende und als gemeindeeigenes Unternehmen geführte Kino­betriebsanstalt Ges.m.b.H., kurz KIBA, die bereits mehr als 30 Kinos betreibt, erwirbt das in die Jahre gekommene Theater und lässt es von Architekt Carl Witzmann zu einem Kino umbauen, das auf alle Verschnörkelungen und den falschen Prunk ehemaliger Hoftheater verzichtet.

Der Sieg des Kinos über das Theater – auch in Wien

Im Scala-Kino wurden jene baulichen Maßnahmen verwirklicht, die in den Dreißigerjahren einen modernen Kinopalast ausmachten: Außen eine hell erleuchtete Fassade mit großen Plakatflächen [...]; innen ein großzügiges Foyer mit Garderoben und Büffets für mehr als 1.300 Personen. Besonders stolz war man auf die von allen Plätzen optimale Sicht auf die 42m2 große Leinwand, schreibt Franz Grafl in „Praterbude und Filmpalast“, 1993.

Sämtliche Fauteuils, schwärmt der sozialdemokratische Kuckuck anlässlich der Eröffnung, weisen Polsterung auf, die Wände sind mit lachsrotem Damast ausgeschlagen, die Fußböden schmücken Teppiche.

Und der Autor und Journalist Siegfried Geyer fühlt sich in die große weite Welt versetzt: Es ist schon sehr schön und großstädtisch. [...] Das Haus könnte in London, in Paris stehen, vielleicht in New York.

Das gibt’s nur einmal

Das gibt's nur einmal
Das kommt nicht wieder
Das ist zu schön
Um wahr zu sein...

Eröffnet wird der neue Filmpalast mit einer Festvorstellung, zu der sich „Vertreter der Regierung, der Stadt Wien und der Diplomatie“ einfinden.

Hugo Thimig – Stammvater einer österreichischen Theaterdynastie – spricht einen selbstverfassten Festprolog, Billy Barnes führt die Kilgen-Orgel vor, auf die man besonders stolz ist.

Eine Orgel dieses „deutsch-amerikanischen Schaffensgeistes“ steht schließlich auch in der St.-Patricks-Kathedrale in „Neuyork“ und gilt als größte Kirchenorgel der Welt.

Abgerundet werden die künstlerischen Darbietungen mit einem Walzer des Staatsopern­balletts unter der Leitung von Toni Birkmeyer, nicht sehr einfallsreich, aber doch gefällig, wie Filmkritiker Fritz Rosenfeld in der Arbeiter-Zeitung milde anmerkt. Allerdings: Als Eröffnungsfilm für das neue Tonfilmkino, das an die Stelle eines Operettentheaters getreten ist, wählte man einen Operettenfilm.

Zur Welturaufführung des Ufa-Films „Der Kongreß tanzt“ kommen sogar Regisseur Erik Charell und Hauptdarstellerin Lilian Harvey nach Wien und werden vom Publikum frenetisch gefeiert. Fritz Rosenfeld unkt: Lilian Harvey spielt das Wiener Mädel, wie man es sich in Berlin vorstellt; sie ist wieder sehr geziert, aber gerade das scheint ihren Bewunderern zu gefallen und beweist hellseherische Qualitäten: Heymann hat für den Film ein Walzerlied komponiert, das bald populär werden dürfte.

Unterhaltungs- und Propaganda­filme der Ufa werden auch während der Zeit des Nationalsozialismus in der Scala gezeigt. Zara Leander reist zur Premiere ihres Films „Heimat“ an, und im Juli 1943 erlebt „Münchhausen“ mit Hans Albers hier seine Wien-Premiere.

Zu progressiv

Den Schauspielern hat es bei uns sehr gefallen.Wolfgang Heinz

Die große Zeit der Scala beginnt nach dem Krieg – und währt nur kurz. Die aus dem Schweizer Exil zurückgekehrten Schauspieler Wolfgang Heinz und Karl Paryla können die Scala, nach Verhandlungen mit den Sowjets, in deren Sektor sich das Theater befindet, und der von Viktor Matejka geleiteten Kulturstelle der Stadt Wien 1948 wieder in Betrieb nehmen. Die Scala wird als selbstverwaltetes, progressives Schauspielertheater geführt. Das Ensemble entscheidet gemeinsam über den Spielplan und versteht sich als linke, revolutionäre Bühne, auf der das Wiener Volksstück ebenso gespielt wird wie Shakespeare, Molière, Lessing, Tschechow und Tolstoi oder zeitgenössische Dramen wie „Der Bockerer“.

Zur Eröffnung am 16. September 1948 gibt man Johann Nestroys „Höllenangst“. Das kurz nach der gescheiterten Revolution von 1848 geschriebene Stück spiegelt „die deprimierende Vergeblichkeit der Revolte“ wider und eignet sich somit bestens zur Kommentierung der Wiener Nachkriegsjahre.

 ... und wäre er der größte Dramatiker des Jahrhunderts

In den Jahren 1953 bis 1963 zeigt die Scala Haltung und verweigert eine Beteiligung am „Brecht-Boykott“, einer von den Publizisten Hans Weigel und Friedrich Torberg initiierten Kampagne, quasi die Wiener Ausgabe der McCarthy-Ära.

Die Scala ist das einzige Theater Wiens, das weiterhin Stücke von Bertolt Brecht aufführt, so zum Beispiel „Mutter Courage und ihre Kinder“ mit Therese Giehse in der Titelrolle.

Die Scala fühlt sich, lange vor dem Volkstheater in den (Außen)be­zirken, einem volksbildenden Anspruch verpflichtet, ein Theater, das zu den Menschen kommt, um ihnen die Schwellenangst zu nehmen. Das Theater in der Scala wird bald überaus populär –trotz der Anfeindungen seitens der konservativen, aber auch der sozialdemokratischen Presse. Und, obwohl das bürgerliche Theater­publikum die „Kommunistenbühne“ meidet. Wir haben die Leute eingeladen, ins Theater zu kommen – und sie haben es getan: Am Anfang waren wir leer, am Ende ausverkauft, erinnert sich Ensemblemitglied Otto Tausig (Kasperl, Kummerl, Jud, 2005).

Ein erstes Opfer des Kalten Krieges

Nach Abschluss des Staatsvertrags endet die finanzielle Unterstützung des Theaters durch die KPÖ, die öffentlichen Subventionen bleiben ebenfalls aus. Am 30. Juni 1956 fällt der letzte Vorhang. Einige Mitglieder des Ensembles finden an Brechts Berliner Ensemble am Schiffbauerdamm eine neue künstlerische Heimat. Der prächtige Kino- und Theaterraum wird 1959/1960 abgerissen, die Baulücke bleibt 20 Jahre lang ungenützt. In den Jahren 1978 bis 1981 errichtet die Gemeinde Wien auf den „Scala-Gründen“ den architektonisch eher fragwürdigen August-Bergmann-Hof.

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