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Aktuelle Seite: „Da stimmt was nicht“
0081 | 13. SEPTEMBER 2022    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

„Da stimmt was nicht“

Am 13. September 1942 werden der Schriftsteller Adolf Unger und seine Frau Sobel im KZ-Auschwitz ermordet.

Das Protokoll vermerkt dazu: 13. 9. RSHA-Transport aus dem Lager Drancy, 1.035 Juden. Nach der Selektion lieferte man 2 Männer als Häftlinge ins Lager ein [...], sowie 78 Frauen [...]. Die restlichen 955 Personen wurden vergast.

Adolf Unger wird am 11. Juni 1904 in der Wiener Leopoldstadt, der sogenannten Mazzes-Insel, als Sohn eines Schuhmachers geboren und erlernt ebenfalls das Schuhmacher­handwerk. Sein Leben ist lange Zeit von bitterer Not und Arbeits­losigkeit geprägt.

Ich bin der Schrei jener,
denen man das Tor nicht öffnet.

An denen man vorüber geht, die man starr übersieht.
Ich bin einer jener, die man nicht einlädt,
die Fremde sind im eigenen Haus.

In einer autobiographischen Skizze berichtet der Schriftsteller Jahre später über seine Hungerjahre: Viereinhalb Jahre stand ich ohne geregelte Arbeit da. Ich versuchte und packte alles an, was sich mir bot. Mehr als ein Jahr stand ich an der Lerchenfelderstraße, Ecke Albertgasse, als Kolporteur und verkaufte Zeitungen... Wollte den Eltern nicht mehr zur Last fallen. Ging auf die Walz. Kam nach Italien. Arbeitete bei Bauern auf dem Felde. Flickte Schuhe. In Triest selbst war ich Taglöhner. Werkte im Hafen als Träger. Bei den Bahnhöfen erwartete ich die Ankommenden. Trug die Pakete. Holte Fuhrwerke herbei. Beschaffte Quartier. Spielte Fremdenführer. Litt Hunger. Und kam endlich nach Wien zurück. Als veränderter Mensch. (zitiert nach Herbert Exenberger)

Ich bin einer jener,
die an fremde Türen schüchtern klopfen,

und denen man durchs Fenstergitter etwas reicht
und selten Warmes.

In Wien lernt Unger 1929 an der Zweigstelle Leopoldstadt der Wiener Volkshochschulen, Zirkusgasse 48, den Schriftsteller und späteren ORF-Programm­direktor für Literatur, Ernst Schönwiese, kennen. Schönwiese, der hier als Dozent tätig ist, fördert Ungers literarische Ambitionen. Auf erste schriftstellerische Gehversuche folgen Lesungen in Volkshochschulen und anderen Arbeiterbildungsstätten, die Adolf Unger als „Arbeiterdichter“ bekannt machen.

Ich bin einer jener, die in Höfen stehn
und ihre Lieder singen,

doch keiner öffnet seine Scheiben,
denn keiner will uns sehn.

1930 heiratet Unger Sobel Leifer; 1935 wird die gemeinsame Tochter Hanna geboren. Für den Dichter beginnt nun eine kurze Phase des künstlerischen Erfolgs. Seine Gedichte werden in Zeitungen, Zeitschriften und Sammelwerken gedruckt. 1933 erscheint auch sein erster Gedichtband Im Trott, im Jahr darauf der zweite, Zeitstrophen.

Unger gehört der im Januar 1933 gegründeten Vereinigung sozialistischer Schriftsteller an, die alle Schriftsteller, deren Welt­anschauung der Sozialismus ist, zur geistigen und materiellen Förderung ihrer Arbeit sammeln und eine Zusammenarbeit mit gleichgearteten künstlerischen Vereinigungen herbeiführen möchte. Beim ersten Autorenabend der Vereinigungam 18. Mai liest er aus seinen Werken.

Für uns gibt es kein Bleiben,
wir müssen immer weiter gehen.

Ich bin einer jener,
denen man das Tor nicht öffnet,
Ausdruck bin ich, aller Münder Schrei.

Für das Rote Kunstkollektiv – eine kleine Spieltruppe, die aus dem Sprechchor der sozialdemokratischen Kunstsstelle hervorgegangen ist, so die Arbeiter-Zeitung, – stellt er im Oktober 1933 die Revue „Da stimmt was nicht“ zusammen. Eine Reihe bekannter Chansons (u.a. von Max Eisler) und Gedichte (u.a. von Kästner und Tucholsky) werden durch kurze Dialoge zu einer Szenenfolge verbunden, die das Leben in diesen politisch turbulenten Zeiten satirisch beleuchtet.

Im selben Jahr wird Unger – gemeinsam mit der Erzählerin Hilde Spiel und den Lyrikern Ernst Waldinger und Ludo Gerwald – mit dem Julius Reich-Preis ausge­zeichnet. Dieser private Literaturpreis wird in den Jahren 1925 bis 1938 an junge Schriftsteller und Maler vergeben.

Ich bin der Finger aller Hände,
und bins, der an allen Türen klopft.

Denn wo das Brot liegt und der Hunger wartet,
und wo man fordert, dort ist mein Ruf dabei.

Nach dem Verbot und der behördlichen Auflösung der Sozial­demokratischen Arbeiterpartei und ihrer Vorfeldorganisationen fallen für Unger und seine Kollegen auch die meisten Gelegenheiten für Vorträge und Publikationen weg. Unger tritt der Vereinigung Junge Kunst und dem 1936 von Viktor Matejka gegründeten und von den austrofaschistischen Behörden tolerierten Österreichischen Arbeiter-Schriftstellerverband bei.

Ich bin einer jener,
denen man das Tor nicht öffnet,

aber auch einer,
die nicht schüchtern sind.

Im März 1938 flieht die Familie Unger nach Belgien. Adolf Unger tritt hier, gemeinsam mit anderen exilierten Österreichern, bei kleineren Kulturveranstaltungen auf, zuletzt am 29. März 1939 bei einer „Wiener Akademie“ des Cercle Culturel Autrichien in Brüssel.

Am Tag der deutschen Invasion in Belgien, dem 10. Mai 1940, werden zahlreiche Exilanten, darunter auch die Familie Unger, verhaftet, interniert und von den Belgiern nach Frankreich abgeschoben. Hier durchlaufen sie mehrere Internierungslager. Hanna Unger wird im September 1942 in eine Kinderkolonie überstellt und überlebt den Krieg. Adolfs Bruder Bernhard ist mit seiner Familie und den Eltern bereits nach Palästina ausgewandert, dem zweiten Bruder Max gelingt die Flucht in die Schweiz.

Adolf Unger und seine Frau Sobel werden am 11. September 1942 vom Sammellager Drancy nach Auschwitz deportiert. Der Transport kommt am 13. September in Auschwitz-Birkenau an. Unmittelbar nach ihrer Ankunft werden die meisten Häftlinge in der Gaskammer ermordet.

Alle Tore werden sich öffnen
und überall werde ich zu Gast sein,

ich, der Schrei jener,
denen man das Tor nicht öffnet!

Seit 1969 erinnert die Adolf-Unger-Gasse in der Per-Albin-Hansson-Siedlung in Favoriten an den beinahe vergessenen Schriftsteller. 1997 wird an seinem Geburtshaus in der Springergasse 4 eine Gedenktafelenthüllt.

Ein Roman Adolf Ungers über das Leben der jüdischen Bevölkerung in dem galizischen Städtchen Sieniawa, aus dem seine Eltern stammten, ist bis zum heutigen Tag verschollen.

Literatur
Herbert Exenberger: Adolf Unger (1904–1942), ein jüdischer Arbeiterschriftsteller aus Wien, in: Archiv 1985. Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Arbeiterbewegung.
Herbert Exenberger: Biographische Skizzen in DÖW

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