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Aktuelle Seite: Der 12. Februar. Alte Vorurteile und neue Mythen
0141 | 12. FEBRUAR 2024    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

Der 12. Februar. Alte Vorurteile und neue Mythen

Am 12. Februar 1934 bricht ein Sturm über Österreich, der etwa 360 Menschenleben fordert und mit der Ausschaltung der Demokratie endet.

Die Chronologie der Ereignisse ist bekannt. Doch war das, was am frühen Morgen des 12. Februar mit einer „Waffensuchaktion“ der Polizei im Hotel Schiff, dem Linzer Parteiheim der Sozialdemokratie beginnt und mit der Besetzung des Karl-Marx-Hofes am Nachmittag des 15. Februar und der Hinrichtung von neun Mitgliedern des Republikanischen Schutzbundes endet, nun ein „Bürgerkrieg“ oder ein „bewaffneter Aufstand“ der Sozialdemokratie, darüber gehen die Meinungen bis heute weit auseinander.

Die Politik – entzweit

Die beiden Nachfolgeparteien der damaligen Gegner, SPÖ und ÖVP, haben seit der Wiedererrichtung der Demokratie im April 1945 erst zwei Mal zu einer gemeinsamen Gedenkfeier zusammengefunden – 1964 mit ÖVP-Bundeskanzler Alfons Gorbach und SPÖ-Parteichef Bruno Pittermann, und 2014, als Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler Michael Spindelegger beim Mahnmal der Opfer für ein freies Österreich (1934 bis 1945) am Wiener Zentralfriedhof einen Kranz niederlegten.

Darüber hinaus pflegen beide Parteien ihre eigene Gedenkkultur – die Sozialdemokratie findet sich jährlich zum Februargedenken ein und erinnert an ihre Märtyrer, die Christlichsozialen halten eisern am Mythos von Dollfuß, der am 25. Juli 1934 bei einem Putschversuch von österreichischen Nationalsozialisten ums Leben kam, als erstem Opfer des Faschismus fest.

Die Wissenschaft – uneins

Aber auch in der Wissenschaft gibt es keinen Konsens. Während die einen von „Bürgerkrieg“ sprechen, monieren andere, dieser Begriff sei angesichts der kurzen Dauer der Kampfhandlungen sowie eingedenk der Tatsache, dass nur ein relativ kleiner Teil des Landes und seiner Bewohner betroffen war, unangebracht. Sie ziehen sich auf den neutraleren Terminus „Februarkämpfe“ zurück.

Tatsächlich fanden die wichtigsten bewaffne­ten Auseinandersetzungen in Wien – und hier in den Bezirken Simmering, Meidling, Otta­kring, Döbling und Floridsdorf –, in Oberösterreich (Linz und Holzleithen) sowie in der Steiermark (Graz und Bruck an der Mur) statt. In Wien konnte man selbst im neunten Bezirk Alsergrund von den Kämpfen nichts mitbekommen haben.

In seinem Werk „Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers“ schreibt Stefan Zweig: So sonderbar es scheinen mag: ich war an diesen historischen Februartagen 1934 in Wien und habe nichts gesehen von den entscheidenden Ereignissen, die sich in Wien abspielten und nichts, auch nicht das mindeste davon gewußt, während sie geschahen. Es wurde mit Kanonen geschossen, es wurden Häuser besetzt, es wurden Hunderte von Leichen davongetragen – ich habe nicht eine einzige gesehen. […] Alles ging im innern Kreise der Stadt ebenso ruhig und regelmäßig weiter wie sonst, während in den Vorstädten der Kampf wütete, und wir glaubten töricht den offiziellen Mitteilungen, dass alles schon beigelegt und erledigt sei.

Alte Vorurteile, neue Mythen

2019 erschien Kurt Bauers Buch „Der Februaraufstand 1934. Fakten und Mythen“, das den Anspruch erhebt, den aktuellen Forschungsstand zum Thema in eine „kompakte wissenschaftliche Monographie“ zu gießen, „die den Aufstand, seine Vorgeschichte, seinen Verlauf […] konzis, nüchtern und ohne parteipolitische, ideologische Verbrämung darzustellen versucht“.

In seiner Rezension des Werkes verweist der Historiker Florian Wenninger vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien darauf, dass der Autor, statt diesem Anspruch gerecht zu werden, selbst längst überwunden geglaubte Legenden und (De-)Legitimationsmuster reproduziere, etwa indem die Heimwehren „in bester Tradition großkoalitionärer Sündenbock­geschichtsschreibung“ zu den wahren, scheinbar autonom agierenden Bösewichten gemacht würden, während große Teile der Christichsozialen sich jahrelang um eine Verständigung mit der Sozialdemokratie bemüht hätten, deren „gestörtes Verhältnis zur parlamentarischen Demokratie“ eigentlich für die politische Polarisierung der Ersten Republik verantwortlich sei.

Ganz so, als ob – minutiös aufbereitet und nachzulesen im 2023 erschienenen Werk „Die Zerstörung der Demokratie“ – die politische Rechte des Landes nicht spätestens mit der Ausschaltung des Parlaments im März 1933 beinahe lautlos und systematisch die Demontage der Demokratie und die Ausschaltung jeder Opposition betrieben hätte. Oder eigentlich noch viel früher – denn wie heißt es im „Korneuburger Eid“ der rechten Heim­wehren vom 18. Mai 1930: „Wir verwerfen den westlichen demokratischen Parlamentarismus und den Parteienstaat!“

Bauers explizite Anlehnung an die zeitgenössische Argumentationslinie des Regimes, der Kanonenbeschuss von Wohnblocks habe letztlich wohl Leben gerettet, weil er die Kämpfe verkürzt habe, muss in diesem Kontext nur als zynisch bezeichnet werden.

Der erste Widerstand gegen den Faschismus

„Unglücklicherweise“, schreibt der frühere Finanzmister Hannes Androsch 2019 in seiner „Replik“ auf Kurt Bauers Buch, „lief Bernaschek mit seinem wehrhaften Widerstand gegen den Überfall der Heimwehr auf das Linzer Arbeiterheim „Hotel Schiff“ dem Dollfuß-Regime ins offene Messer. Die längst geplante Ausschaltung der Sozialdemokraten wurde nun im Zuge der Februarkämpfe vollzogen.“

Ob das von Dollfuß per 1. Mai 1934 etablierte Regime nun „faschistisch“, „austrofaschistisch“ oder einfach nur „autoritär“ gewesen ist – auch dazu gehen die Meinungen in der Wissenschaft auseinander. Deutlich sind die Gemeinsamkeiten – aber auch die Unterschiede – sowohl zum deutschen, mehr noch zum italienischen Faschismus: Die Ablehnung des Parlamentarismus, der fanatische Antisozialismus und die Utopie einer „harmonischen“, über den sozialen Differenzen stehenden „Volksgemeinschaft“.


Mit der „Vaterländischen Front“ versuchte das Regime zwar eine Massenpartei zu etablieren, allerdings fehlten ihr die Massen. Der extreme Nationalismus, der sowohl in Italien als auch in Deutschland kennzeichnend für den Faschismus war, konnte durch die künstliche Förderung eines Österreich-Patriotismus kaum ersetzt werden. Und der sozialrevolutionäre Anstrich, den sowohl Hitler als auch Mussolini ihren Bewegungen anfangs gaben, hatte in der rückwärtsgewandten christlichsozialen Ideologie mit ihrer geistigen Bevormundung durch eine „katholische Renaissance“ keinen Platz.

In seiner klerikalen Ausrichtung weist der Austrofaschismus die vielleicht größten Ähnlichkeiten mit den späteren klerikalfaschistischen Regimen Józef Pilsudskis in Polen, Jozef Tisos in der Slowakei und Francisco Francos in Spanien auf.

So plan- und aussichtslos der sozialdemokratische Widerstand gegen die geballte Staatsgewalt von Militär, Polizei und hochgerüsteten Heimwehren auch gewesen sein mag, was bleibt ist die Tatsache, dass Österreichs Sozialdemokraten den ersten bewaffneten Kampf gegen den Faschismus in Europa führten.

Literatur: Irene Etzersdorfer, Hans Schafranek (Hrsg.): Der Februar 1934 in Wien. Erzählte Geschich­te, 1984; Erika Weinzierl: Der Februar 1934 und die Folgen für Österreich, 1994; Emmerich Tálos, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): Austrofaschismus. Politik, Ökonomie, Kultur. 1933–1938, 2005; Erich Hackl, Evelyne Polt-Heinzl (Hrsg.): Im Kältefieber. Februargeschichten 1934, 2014; Kurt Bauer: Der Februar-Aufstand 1934. Fakten und Mythen, 2019; Carlo Moos (Hrsg.): (K)ein Austro­faschismus? Studien zum Herrschaftssystem 1933–1938, 2021; Bernhard Hachleitner, Alfred Pfoser, Katharina Prager, Werner Michael Schwarz (Hrsg.), Die Zerstörung der Demokratie.Österreich, März 1933 bis Februar 1934, 2023.

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