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Aktuelle Seite: Der Blutsonntag in Simmering
0085 | 16. OKTOBER 2022    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

Der Blutsonntag in Simmering


Am 16. Oktober 1932 überfällt eine Gruppe bewaffneter Nationalsozialisten das Arbeiterheim Simmering in der Drischützgasse 4. Zurück bleiben vier Tote – zwei National­sozialisten, ein Polizist und eine zufällig vorbeikommende Passantin, sowie mehrere Verletzte.

In der Hand die Stahlrute, auf den Kappen den Totenkopf, so zogen die Nazis am 16. Oktober johlend und provozierend durch Simmering.Rosa Jochmann, 1984

Die Nationalsozialisten, die sich seit den Landtags- und Gemeinderats­wahlen vom Frühjahr 1932 im Aufwind wähnen, führen an diesem Sonntag einen Propaganda­aufmarsch in Simmering durch, der mit einer Kundgebung im Brauhaus endet. Nach dem Abschluss der Veranstaltung greift eine Gruppe bewaffneter Demonstranten das Arbeiterheim an, in dem sich auch das Bezirkssekretariat der Partei befindet.

Da es bereits im Vorfeld Gerüchte über einen möglichen Angriff gab, ist das Gebäude von einer Kompanie des Republikanischen Schutzbundes besetzt, die das Feuer erwidert. Beim Eintreffen der Polizei flüchten die Angreifer. Allerdings stürmt nun die Polizei das Arbeiterheim, demoliert die Einrichtung, verprügelt die verschanzten Verteidiger und verhaftet über 100 Personen. Dabei wird der Simmeringer Bezirkssekretär Georg Medwed durch einen Säbelhieb der Polizei verletzt.

Eine noch am selben Abend herausgebrachte Extraausgabe der Arbeiter-Zeitung wird „wegen Aufreizung“ konfisziert, ebenso ein Flugblatt, in dem die Simmeringer Parteiorganisation das Vorgehen der Polizei anprangert.

Der Inhalt gelangt dennoch an die Öffentlichkeit – Otto Bauer verliest das Rundschreiben im Finanzausschuss: Die Absicht der Nationalsozialisten, […] nämlich die Einrichtung des Parteiheims zu verwüsten, wurde von der Polizei gründlich durchgeführt. […] Ein Schaden, der in die Tausende von Schillingen geht. Selbst die Büsten unserer verstorbenen Volksmänner Adler und Widholz wurden herabgerissen und auf ihnen herumgetreten. Die Parteifahne wurde in den Hof geworfen!

Wie eine feindliche Armee in einer eroberten Stadt

In der Wiener Presse werden die Ereignisse unterschiedlich beurteilt. Die Arbeiter-Zeitung spricht am nächsten Tag von einem „völligen Mangel an Voraussicht“ und einem „skandalösen Verhalten“ auf Seiten der Polizei, räumt aber ein, dass auch „Provokateure“ ihre Hände im Spiel gehabt hätten.

Das Kleine Blatt schildert, wie die Polizeischüler im Arbeiterheim hausten: Kästen und Schreibtische seien aufgebrochen, Bilder von den Wänden gerissen, Büsten zertreten, Geräte zerstört worden. Auch für den linksliberalen Abend ist die Schuld der Nazi unzweifelhaft erwiesen.

Die christlichsoziale Reichspost hingegen fordert Schluß mit dem roten Terror! und spricht von einem Feuerüberfall aus dem roten Parteiheim.Die Saat der Scharfmacher und Aufpeitscher des Marxistenlagers sei in Simmering blutig aufgegangen.

Rache für Simmering!

Am nächsten Tag kommt es an mehreren Stellen Wiens zu Nazikravallen. An der Universität Wien und an der Technischen Hochschule skandieren nationalsozialistische Studenten im Sprechchor „Rache für Simmering“; sozialistische, aber auch jüdische Studenten werden verprügelt und aus den Hörsälen gedrängt. Die Rektorenkonferenz spricht von einer „begreiflichen Erregung der gesamten deutschen [sic] Hörerschaft“, die Hochschulen werden für drei Tage geschlossen.

Die erste Verfügung – ein Verfassungsbruch

Das verwüstete Arbeiterheim wird erst nach drei Tagen wieder freigegeben. Die Regierung Dollfuss nützt die Situation, um Heimwehrführer Emil Fey zum Staatsekretär, verantwortlich für das Sicherheitswesen, zu bestellen. Prompt verbietet dieser alle Kundgebungen, Aufmärsche und Versammlungen der Sozialdemokraten, Kommunisten und Nationalsozialisten unter freiem Himmel.

Wegen der Vorfälle in Simmering werden 16 Schutzbündler vor Gericht gestellt und zunächst freigesprochen; allerdings kommen elf der Angeklagten erst nach der Bestätigung des Urteils durch den Obersten Gerichtshof im Mai 1933 tatsächlich frei. Die restlichen fünf Freisprüche werden aufgehoben, die Angeklagten in einer neuerlichen Verhandlung im Dezember 1933 zu sieben bzw. neun Monaten schweren Kerkers verurteilt. Emil Fajfrzik, der beim Überfall auf das Arbeiterheim schwer verwundet worden war, stirbt 1937 an den Spätfolgen dieser Verletzungen. Die Angreifer bleiben unbehelligt.

Fuss ...