Zum Inhalt springen
Aktuelle Seite: Die Insel der Wiener
0065 | 4. MAI 2022    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

Die Insel der Wiener

Das Gänsehäufel ist eine etwa 20 Hektar große Sandinsel in der Alten Donau, die durch eine Brücke mit dem Festland verbunden ist. Der Name bezieht sich darauf, dass die in früherer Zeit „Haufen“ genannten Inseln der Gänsezucht gedient haben sollen.

Die Insel führt bereits seit Menschengedenken den Namen „Gänsehäufel“.Das Bäderwesen der Gemeinde Wien, 1928

Vor der 1875 abgeschlossenen Donauregulierung befinden sich die als „Kleiner Gänsehaufen“ genannten Sandbänke noch inmitten des Donauhauptarmes. Durch die Regulierung wird dieses Strombett zu einem stehenden Gewässer, der heutigen Alten Donau. Aus der größeren der beiden Inseln entsteht das heutige Gänsehäufel, die kleinere bildet seither eine Halbinsel, das „Kleine Gänsehäufel“.

„Naturisten“ und andere Spinner

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird das Gänsehäufel vom Wiener Original und Naturheiler Florian Berndl (1858–1934) als Badeplatz entdeckt und gepachtet. Gemeinsam mit seinen Anhängern gründet er das „Robinson Eiland“, eine kleine Kolonie von Sonnen­anbetern und Nudisten, die auf die heilende Kraft der Sand- und Sonnenbäder schwören.

Bald stoßen sich die strengen Sittenwächter an dem freizügigen Badevergnügen, dem Frauen und Männer gemeinsamen frönen. 1905 kündigen die Behörden Berndl den Pachtvertrag, offiziell aufgrund einer fehlenden Kantinen-Konzession.

Die sittenstrenge Commune

1906 übernimmt die Stadt Wien die bewaldete Sandinsel und eröffnet am 5. August 1907das„Strandbad der Commune Wien am Gänsehäufel“, das sich rasch zu einem der beliebtesten Badeplätze der Stadt entwickelt. Der Zutritt zur Insel ist ab nun kostenpflichtig, zwei Fähren bringen die Badegäste dorthin.

Ursprünglich nur für 600 Besucher angelegt, wird die Kapazität nach und nach erhöht. In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg verzeichnet das Gänsehäufel bis zu 20.000 Gäste pro Tag. Um den Badewilligen an heißen Tagen die vergebliche Anfahrt zu ersparen, wird die „blaue Fahne“, die die Überfüllung des Bades anzeigt, bereits am Praterstern gehisst.

FKK ist nun strengstens verboten, die Gäste baden in nach Geschlechtern getrennten Anlagen. Ausgenommen davon ist allerdings das gemischte „Familienbad“. Alleinstehende Herren sprechen deshalb schon bei der Anreise in der Straßenbahn alleinfahrende Damen an, um an der Kasse als „Ehepaar“ ein Ticket für den interessanten Teil des Bades zu erhaschen.

Den weniger glücklichen Männern bleibt nur der Blick auf das andere Geschlecht zwischen den Holzlatten hindurch – sofern der „Badewaschl“ die Spechtler nicht vorzeitig verscheucht.

Freizeitkultur der Arbeiterschaft

Bald entstehen an der Alten Donau weitere Freibäder. 1912 gründet der Arbeiter­schwimmverein mit Unterstützung der Nussdorfer Brauerei an der oberen Alten Donau das Arbeiterstrandbad, 1918 errichtet die Stadt das Strandbad Alte Donau, zwei Jahre später übernimmt sie auch das seit 1888 bestehende Birner’sche Vier-Kreuzer-Bad, das zunächst Städtisches Strandbad Mühlschüttel und seit 1929 Angelibad heißt – benannt nach einem christlichsozialen Gemeinderat.

Für die Sozialreformer des Roten Wien stehen neben der Unterhaltung und dem Vergnügen auch die körperliche Gesundheit der Arbeiterschaft durch sportliche Ertüchtigung und Aufenthalt an der frischen Luft im Vordergrund.

Der begeisterte Schwimmer und sozialdemokratische Sport­funktionär Theo Bernatz hält bereits 1919 fest, daß das moderne Badewesen, das den stundenlangen Aufenthalt des nackten Körpers in frischer Luft und Sonne mit Schwimmen und Baden verbindet, das beste und der Allgemeinheit am leichtesten zugänglich zu machende prophylaktische und heilbringende Mittel gegen die Proletarierkrankheit, die Tuberkulose biete. Vorbei ist es auch mit der verlogenen Sittenstrenge: Frauen und Männer dürfen fortan gemeinsam baden.

Im Strandbad Gänsehäufel wurden von den Badegästen die Radioanlage und die neue Wasserrutsche lebhaft begrüßt.Arbeiter-Zeitung, 8.7.1925

„Das badefreudige Wien“

In den frühen 1920er Jahren wird die Infrastruktur des Gänsehäufels verbessert. Neue Umkleidekabinen entstehen, Telefonautomaten werden aufgestellt, eine Wasserrutsche installiert, die Insel gärtnerisch gestaltet, den Strandflächen werden mehr als 1000 Kubikmeter Wellsand zugeführt.

Das Bad wird zu einem Zentrum „gelebter Arbeiterkultur“, mit Cafés und Gastwirtschaften, in denen Musikkapellen „Wunschkonzerte“ geben und „Conferenciers“ auftreten, aber auch ein Ort zum Flanieren und „Anbandeln“. 1923 zählt das Gänsehäufel 282.768 Besucher, und 1925 verbucht die Gemeinde bereits mehr weibliche als männliche Badegäste; knapp die Hälfte der Kinder badet unentgeltlich.

Der stetig steigende Besucher­andrang zwingt die Stadtver­waltung zu weiteren baulichen Maßnahmen. Der schmale Holzsteg und die elektrische Fähre genügen nicht mehr dem starken Badeverkehr. Nunmehr wird an Stelle des Holzsteges eine Eisenbetonbrücke errichtet werden. Die neue Brücke wird neunzig Meter lang sein, zwei Gehwege und eine breite Fahrbahn aufweisen, informiert die Arbeiter-Zeitung im Dezember 1925. Die Brücke wird bei Beginn der Badezeit vollendet sein.

Bis zur Zerstörung des Bades in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs strömen nun jährlich über 500.000 Badefreudige ins Gänsehäufel.

1948 beginnt der Wiederaufbau nach Plänen der Architekten Max Fellerer, Carl Appel und Eugen Wörle, am 22. Juni 1950 erfolgt die Neueröffnung.

Das mittlerweile denkmal­geschützte Bad mit dem markanten Uhrturm und den begehrten Kabanen ist bis heute Wiens größtes und beliebtestes Freibad.

Link Wienbibliothek, Das Gänsehäufel
Literatur Rudolf J. Boeck, Städtisches Strandbad „Gänsehäufel“, 1954; Helfried Seemann und Christian Lunzer, Wiener Bäder, 2004; Hanne Eggardt: 100 Jahre Gänsehäufel – die Insel im Herzen der Wienerinnen und Wiener, Wien 2007

Fuss ...