Am 31. Juli 1972 stirbt der österreichische Schriftsteller und Politiker Ernst Fischer, eine der schillerndsten und widersprüchlichsten Persönlichkeiten der österreichischen Linken.
Ernst Fischer wird am 3. Juli 1899 im nordböhmischen Chomutov (Komotau) als Sohn eines Mathematiklehrers geboren und wächst in Graz auf, wo er 1914 wegen „pornographischer“ Gedichte der Schule verwiesen wird. Im Ersten Weltkrieg an der italienischen Front eingesetzt, beginnt Fischers politische Karriere 1918 im revolutionären Soldatenrat.
In Graz studiert Fischer Philosophie, Germanistik und Geschichte. Seine eigentliche Passion aber gilt der Literatur. 1920 veröffentlicht er seinen ersten Gedichtband, „Vogel Sehnsucht“. Er schreibt Erzählungen und Theaterstücke, die stark philosophisch inspiriert und in der Manier des Expressionismus gehalten sind. Mit dem Schriftsteller Stefan Zweig, der die am 30. September 1924 am Burgtheater erfolgte Uraufführung seines Stücks „Das Schwert des Attila“ unterstützt, verbindet ihn eine jahrelange Brieffreundschaft, die erst mit Fischers politischer Radikalisierung ein Ende findet.
Fischer ist seit 1920 Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und Mitarbeiter der in Graz erscheinenden sozialdemokratischen Zeitung Arbeiterwille, ab 1925 auch künstlerischer Leiter des Vereins Arbeiterbühne. Fischers erster kulturkritischer Aufsatz über eine Ausstellung der Grazer Künstlervereinigung Freiland klingt wie ein politisches und persönliches Credo: Etwas Neues ist angebrochen, der Morgen einer neuen Zeit vielleicht, und wir bekennen uns zu dem Neuen, weil wir eines vor allem hassen: Erstarrung – eines vor allem lieben: Bewegung (Arbeiterwille, 27.4.1920).
Die Revolution muss rein sein, rein und heilig und makellos – sonst sind wir Mörder und nicht Vollstrecker einer Idee.Aus dem Stück „Lenin. Brest-Litowsk“, Arbeiter-Zeitung, 1.5.1927
1927 übersiedelt Fischer nach Wien, wo er als Feuilletonredakteur der Arbeiter-Zeitung tätig ist und u.a. die Rubrik „Zwischenrufe links“ betreut, in der auch der junge Jura Soyfer seine ersten Texte veröffentlicht. Fischer gilt als einer der führenden Köpfe der parteiinternen Linksopposition, die das ständige Zurückweichen der SDAP vor der politischen Rechten vehement kritisiert. 1932 heiratet er die Schriftstellerin Ruth Mayenburg.
Nach dem Untergang der Sozialdemokratie im Februar 1934 findet Fischer Unterschlupf bei Freunden und setzt sich schließlich nach Prag ab, wo er, wie viele „heimatlose“ Linke, Mitglied der österreichischen Kommunistischen Partei wird. Schon im Juli 1934 reisen Fischer und seine Frau weiter nach Moskau; gemeinsam mit anderen, v.a. deutschen Exilanten, werden sie im Hotel Lux untergebracht.
Die sozialdemokratische Führung hat versagt. [...] Die Demokratie, dachte ich, hält nicht stand, hat nicht die Kraft, den Faschismus aufzuhalten. Nur die Sowjetunion wird standhalten...
Fischer wird ins Zentralkomitee der KPÖ aufgenommen, ist Vertreter der Partei bei der Kommunistische Internationale (Komintern) und ab 1938 auch Redakteur des deutschsprachigen Komintern-Organs „Die Kommunistische Internationale“. Die stalinistischen Säuberungen, denen auch zahlreiche seiner Mitbewohner im Hotel Lux zum Opfer fallen, rechtfertigt er als notwendigen Beitrag zur Wahrung der inneren Einheit der Sowjetunion. Von 1943 bis 1945 wird Fischer im Rahmen der politischen Aufklärungsarbeit an österreichischen Kriegsgefangenen eingesetzt.
Ernst Fischer bleibt auf Linie – und am Leben. 1944 erklärt er in Moskau, dass die österreichischen Kommunisten, wohl aus strategischen Gründen, bereit seien, mit Katholiken und demokratischen bürgerlich-kapitalistischen Kräften zur Errichtung einer demokratisch-patriotischen Front zusammenzuarbeiten.
Fischer kehrt im April 1945 als Mitglied des Zentralkomitees der KPÖ nach Österreich zurück. In der provisorischen Staatsregierung Renner, in der auch die Kommunisten vertreten sind, leitet er das Staatsamt für Volksaufklärung, Unterricht, Erziehung und Kultusangelegenheiten und fungiert als Chefredakteur des Neuen Österreich, der erstenTageszeitung nach dem Krieg, die als „Organ der demokratischen Einigung“ von den Gründerparteien der Zweiten Republik ÖVP, SPÖ und KPÖ gemeinsam herausgegeben wird. Spötter urteilen über das Neue Österreich: Eine Zeitung, in der drei Parteien lügen, sagt fast schon die Wahrheit.
Schon nach der ersten Nationalratswahl am 25. November 1945, bei der die KPÖ deutlich hinter ihren Erwartungen bleibt und nur noch knapp den Einzug in den Nationalrat schafft, verliert Fischer sein Amt als Staatssekretär.
Es gibt nur eine Welt des Sozialismus, so wie es nur eine Welt des Kapitalismus gibt. [...] Heute gibt es nichts als zwei Fronten. Und zwischen den Fronten wächst kein Gras, blüht kein Baum.
Gemeinsam mit Viktor Matejka und Bruno Frei gibt er ab 1950 das „Tagebuch Wochenschrift für Kultur, Politik, Wirtschaft“ (ab 1969 „Wiener Tagebuch“) heraus, eine von der KPÖ 1945 gegründete Zeitschrift, die sich als antifaschistisches Diskussionsforum versteht und offen gegen die fortschreitende „Amerikanisierung“ Österreichs und seiner Kultur eintritt. In seinem ersten Leitartikel schreibt Ernst Fischer: Wir Österreicher sind ein Kulturvolk. Aber das Österreich der Koalition ist kein Kulturstaat. [...] Was ein Staat vorgibt zu sein, erfährt man aus den Trinksprüchen, Weihnachtsbotschaften und Sonntagsreden seiner Honoratioren. Was ein Staat wirklich ist, erfährt man aus seinem Budget (tb 1950/1/1).
So kritisch und pointiert Ernst Fischer das Nachkriegsösterreich kommentiert, so linientreu bleibt er lange Zeit gegenüber dem Stalinismus. Nach dem Bruch Stalins mit Josip Broz Tito verfasst er ein Theaterstück gegen den Titoismus („Der große Verrat“), das 1950 am Scala-Theater aufgeführt wird, wo seine Frau als Drehbuchautorin und Dramaturgin tätig ist.
1955 wird die Ehe mit Ruth von Mayenburg geschieden, Ernst Fischer heiratet die Publizistin, Übersetzerin und frühere Frau des Komponisten Hanns Eisler, Louise Eisler (1906–1998). Im Dezember 1956, nach der Niederschlagung des ungarischen Volksaufstandes, löst der immer noch orthodoxe Kommunist Ernst Fischer seinen Kollegen Viktor Matejka als Chefredakteur des „Tagebuchs“ ab. Aus dem österreichischen P.E.N. Club wird Fischer wegen seiner politischen Haltung ausgeschlossen.
Vom sowjetischen Totalitarismus sagt sich Ernst Fischer erst nach der gewaltsamen Niederwerfung des Prager Frühlings 1968 los. Es ist das Ende eines jahrelangen und schmerzhaften Ablösungsprozesses, den Fischer in seinem autobiographischen Werk „Das Ende einer Illusion“ (1973) beschreibt: Der 21. August 1968 war das Ende einer Illusion, daß der Staat, der aus der Oktoberrevolution hervorging, den Sozialismus garantiere. Unangetastet bleibt die Überzeugung, daß die Menschheit keine Zukunft hat, wenn nicht den Sozialismus – und daß der Sozialismus möglich ist.
Nach seiner öffentlichen Kritik am „Panzerkommunismus“ wird Fischer 1969 aus der KPÖ ausgeschlossen. Fortan spielt er vor allem als undogmatischer marxistischer Theoretiker eine Rolle, der sein Ausscheiden mit „Altersschwäche“ begründet:
Wissen Sie, ich habe so merkwürdige Sinnesstörungen, die nur eine Alterserscheinung sein können. Wenn ich das Wort brüderliche Hilfe höre, dann sehe ich Panzer und nichts als Panzer, und wenn ich das Wort Nichteinmischung höre, dann mischt sich drein der Kommandoton ausländischer Kommandanturen...
Werk (Auswahl)
Krise der Jugend, 1931; Freiheit und Diktatur, 1934; Der österreichische Volkscharakter, 1944; Österreich 1848, 1946; Von der Notwendigkeit der Kunst, 1961; Zeitgeist und Literatur, 1964; Kunst und Koexistenz, 1966; Erinnerungen und Reflexionen, 1969; Das Ende einer Illusion, 1973. Von Grillparzer zu Kafka, 1975.
Literatur
Bernhard Fetz (Hrsg.), Ernst Fischer. Texte und Materialien, 2000