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Aktuelle Seite: Julius Braunthal. Der Propagandaleiter
0017 | 5. Mai 2021    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

Julius Braunthal. Der Propagandaleiter

Vor 130 Jahren, am 5. Mai 1891, wird Julius Braunthal geboren. Als „Propagandaleiter“ der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei ist er der Antipode zu Friedrich Austerlitz. Während dieser in der Arbeiter-Zeitung  zu gebildet schreibt, spricht Braunthal in der einfachen Sprache des Volkes zum Volk.

Julius Braunthal, der in einer traditionsbewussten jüdischen Familie aufwächst, tritt schon während seiner Buchbinderlehre dem Verband jugendlicher Arbeiter am Alsergrund bei. Nach Absolvierung der Militärpflicht begibt er sich „auf Wanderschaft“. In Berlin schließt er Bekanntschaft mit dem marxistischen Theoretiker Rudolf Hilferding und „den Kautskys“.

Bei der Nordböhmischen Volksstimme, zu der ihn Otto Bauer vermittelt, lernt Braunthal schließlich das Handwerk des Zeitungsmachers von der Pike auf.

Nach Kriegsende tritt er als innenpolitischer Redakteur in die Arbeiter-Zeitung ein und fungiert ab 1920 auch als „Propagandaleiter“, verantwortlich für die gesamte Wahlwerbung der Partei – Plakate, Flugblätter, Broschüren und Filme. Ganz „nebenbei“ übernimmt er die Schriftleitung der theoretischen Monatsschrift Der Kampf und der Mitgliederzeitschrift Der Sozialdemokrat. Braunthal ist – wie sein Kollege Karl Ausch bestätigt – der „vielbeschäftigtste“ Journalist der Sozialdemokratischen Partei.

Wie kein zweiter erkennt er den beinahe religiösen Geist des „Neuen Wien“. Die Intensität des Gemeinschaftslebens erzeugte eine neue psychologische Haltung der Massen [...] Die Menschen sahen ihre Arbeit verwirklicht in den Wohnstätten und Gärten, in den Kinderfürsorgeinstitutionen und Schulen, in den Bibliotheken und Bädern, die vor ihren Augen entstanden.

In einfacher Sprache

Um diese Massen erreichen zu können, betreibt Julius Braunthal ab 1926 die Gründung des Kleinen Blattes: Ich dachte mir nun, es müßte möglich sein, eine saubere, leicht faßlich geschriebene Tageszeitung zu schaffen, die die Phantasie der Massen fesselt und ihr Lesebedürfnis befriedigt – eine sozialistische Volkszeitung, die trotz ihrer klar abgezeichneten Haltung die Parteiterminologie vermeidet und in der einfachen Sprache des Volkes zum Volk spricht.

Die Sozialdemokratie kann sich erst nach langen internen Debatten dazu durchringen, dieses „volkstümliche“ Kleinformat herauszugeben. Die neue Tageszeitung sollte „sauber geschrieben“ sein und weitere Leserschichten erschließen. Chefredakteur wird Braunthal selbst, der mit großer Menschenkenntnis junge, zum Teil noch unerfahrene Mitarbeiter in seiner Redaktion aufnimmt und ihnen, anders als Austerlitz bei der Arbeiter-Zeitung, viel Freiraum lässt.

Die erste Nummer erscheint am 1. März 1927, nach einem Jahr liegt die Auflage bei 136.000 Stück; bis 1934 steigt die Verkaufszahl auf 200.000 Stück, was etwa 600.000 Leserinnen und Lesern entspricht.

Das Verhältnis zur Arbeiter-Zeitung ist konfliktgeladen, zumal sich das Kleinformat nicht an die vereinbarte inhaltliche „Abgrenzung“ hält. Oscar Pollak moniert, Das Kleine Blatt enthalte „zu viel Politik“, um der Kronen-Zeitung am Boulevard Konkurrenz machen zu können, gleichzeitig würde es der Arbeiter-Zeitung zu viele Leser abspenstig machen.

Die Wiener Julitage

Kaum hat Julius Braunthal sein Kleines Blatt auf Schiene gebracht, kommt es am 14. Juli 1927 zum skandalösen Freispruch von drei rechten Frontkämpfern, die Anfang des Jahres im burgenländischen Schattendorf in eine Gruppe des Schutzbundes geschossen und dabei zwei Personen getötet hatten. Tags darauf versammeln sich zahlreiche Demonstranten vor dem Justizpalast. Als die aufgebrachte Menge das Gebäude stürmt, zunächst Aktenberge und schließlich das gesamte Gebäude in Brand setzt, lässt Polizeipräsident Schober berittene Polizei gegen die Arbeiter vorgehen. 89 Menschen sterben, hunderte werden verletzt.


Es war ein Orkan, der da losge­brochen war und über Wien gefegt hat. Er war mit elementarer Kraft, aus der grenzenlosen Erbitterung der Arbeiter hervorgebrochen.

…und der Wachmann Nummer 801

Im September erstattet Chefredakteur Braunthal bei der Staatsanwaltschaft Strafanzeigen gegen den Wachmann Nummer 801 und andere Polizisten wegen Mordes, Meuchelmordes, schwerer Körperverletzung und fahrlässiger Tötung. Und er verfasst eine Broschüre mit dem Titel „Die Wiener Julitage 1927. Ein Gedenkbuch“, die einen minutiösen Bericht der Ereignisse und eine Analyse der politischen Hintergründe liefert, reich bebildert und herausgegeben vom Verlag der Wiener Volksbuchhandlung.

Das Gedenkbuch wird von der Staatsanwaltschaft umgehend konfisziert. Daß es um die Unterdrückung der Wahrheit geht, zeigt sich faßlich darin, daß photographische Bilder konfisziert wurden; Photographien, die doch sicherlich keine „unwahren Angaben oder „Entstellungen von Tatsachen“ sein können! Damals jedenfalls...

Durch einen Verfahrenstrick wird die Konfiskationwirkungslos. Die Abgeordneten Karl Leuthner und Albert Sever bringen das Schriftstück in Verbindung mit einer parlamentarischen Anfrage der Regierung und dem Parlament zur Kenntnis, die Broschüre ist somit „immunisiert“. Sofort erscheint eine zweite Auflage.

Ein Kuckuck mausert sich

Julius Braunthal widmet sich derweil bereits dem nächsten Projekt – der Konzeption einer modernen, massentauglichen Arbeiter-Illustrierten. Am 6. April 1929 erscheint im Vorwärts-Verlag die erste Nummer des Kuckuck. Die Artikel sind knapp gehalten, der Stil ist plakativ, die Blattlinie kämpferisch und antifaschistisch.

Eine Photographie kann oft mehr sagen als ein Leitartikel.
Julius Braunthal

Die künstlerische Leitung obliegt Siegfried Weyr. Dieser führt die Fotomontage ein und orientiert sich dabei stark an der Berliner Arbeiter-Illustrierten-Zeitung und zeitgenössischen sowjetischen Montagekünstlern. Der Kuckuck mausert sich bald zur mit Abstand modernsten Illustrierten des Landes. Die Auflage beträgt 160.000 Stück – ein Teil davon geht nach Deutschland, in die Schweiz und in die ČSR.

Der Herr Karl Kraus

Julius Braunthal wird bereits zu Beginn der Februarkämpfe verhaftet und bis zum Januar 1935 im Anhaltelager Wöllersdorf interniert. Die Arbeiter-Zeitung vom 15. September 1934 – mittlerweile ein im Brünner Exil erscheinendes Wochenblatt – druckt die offizielle Stellungnahme des Polizei­präsidenten Eugen Seydel zur Überstellung des fanatischen Anhängers der sozialdemokratischenPartei in das Konzentrationslager Wöllersdorf ab und nennt unter anderem auch die Publikation der „Wiener Julitage“ als Begründung. Die Arbeiter-Zeitung merkt dazu an: Es gibt übrigens andere Schriftsteller, die über die Arbeitermorde vom 15. Juli 1927 nicht anders geurteilt haben als Braunthal. Zu ihnen gehört zum Beispiel der Herr Karl Kraus. Aber der hat sich jetzt in seiner „Fackel“ brav gleichgeschaltet und preist im Schweiße seines Angesichts die Kulturtaten des „österreichischen Menschen“. Das schützt allerdings vor Wöllersdorf.

Sein persönliches Schicksal und die Erfahrungen im Exil machten Braunthal mehr und mehr zu einem internationalen Sozialisten.SPD-Pressedienst, 1966

Nach seiner Enthaftung geht Julius Braunthal 1936 ins Exil nach London, wo er eine neue Heimat findet und für die Zeitung der Labour-Party, die Tribune, arbeitet.

1951 ist Julius Braunthal Mitbegründer und Sekretär der Sozialistischen Internationale, von 1954 bis 1972 Vorstandsmitglied des Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis (IISG) in Amsterdam. Im Ruhestand widmet er sich der Schriftstellerei, verfasst eine dreibändige Geschichte der Internationale sowie eine umfangreiche Biographe von Victor und Friedrich Adler.

Julius Braunthal stirbt am 28. April 1972 im Londoner Stadtteil Teddington.

Literatur
Julius Braunthal, Auf der Suche nach dem Millennium, Wien 1964
Alois Piperger, zitiert nach: Brigitte Robach, Julius Braunthal als politischer Publizist. Ein Leben im Dienste des Sozialismus, Wien 1983

PRESSE UND PROLETARIAT

Sozialdemokratische Zeitungen im Roten Wien

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