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Aktuelle Seite: Ludwig Brügel – der „Proletarier der Feder“
0080 | 30. AUGUST 2022    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

Ludwig Brügel – der „Proleta­rier der Feder“

Am 30. August 1942 wird Ludwig Brügel, der Chronist der öster­reichischen Arbeiterbewegung, im Lager Theresienstadt ermordet.

Ludwig Brügel wird 1866 in ärmlichen Verhältnissen in Velké Meziříčí (Groß Meseritsch), einer mährischen Kleinstadt mit einer bedeutenden jüdischen Gemeinde, geboren. Bildung stellt in seiner Familie, trotz einfacher Herkunft, einen hohen Wert dar. Brügel besucht das Gymnasium in Brünn und schließt sich hier 1884 der Sozialdemokratischen Arbeiter­partei an. Er übersiedelt nach Wien, beginnt ein Medizinstudium und unterrichtet an verschiedenen Abendschulen. Zu seinen Schülern zählen spätere führende Persönlichkeiten der Arbeiter­bewegung wie Franz Schuhmeier und Leopold Winarsky.

Der Geschichtsschreiber

Eine Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie kann nicht bloße Parteigeschichte sein; sie muss naturgemäß politische und soziale Geschichte der früheren Reichshälfte und ein Stück Universalgeschichte darstellen.

Sein Interesse an der Politik führt Brügel zum Journalismus; er wird Parlamentskorrespondent des auflagenstarken Neuen Wiener Tagblatts. Als es am Tag der Proklamation der Republik, dem 12. November 1918, vor dem Parlament zu Schießereien kommt, erleidet Ludwig Brügel einen Streifschuss am Kopf und verliert dabei ein Auge. Der erste Staatskanzler der Republik, Karl Renner, macht ihn schließlich zum Pressechef der Staatskanzlei, dann des Bundeskanzleramts.

Nach dem Ausscheiden der Sozialdemokraten aus der Regierung im Oktober 1920 wendet sich Brügel wieder dem Journalismus zu. Seine eigentliche Passion aber gilt der Geschichte.

Zwischen 1922 und 1925 publiziert Brügel sein fünfbändiges Monumentalwerk, die ca. 2.300 Seiten umfassende „Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie“.

Der erste Band behandelt die turbulente, von staatlichen Repressionen und inneren Flügelkämpfen überschattete Zeit Vom Vormärz bis zum Wiener Hochverratsprozeß, Juli 1870.

Der zweite Band dieser wohl ausführlichsten Darstellung der Geschichte der österreichischen Arbeiterbewegung behandelt die frühen Organisationsversuche, der dritte Band den fortbestehenden Parteihader bis zur Einigung der Bewegung am Parteitag von Hainfeld. Der vierte Band ist der Festigung der Organisation gewidmet, der fünfte und letzte dem Weltkrieg und dem Zerfall der Monarchie.

Er war zeitlebens einer von den Stilleren...

...schreibt die Arbeiter-Zeitung in ihrer Würdigung anlässlich seines 60. Geburtstags am  6. Februar 1926. Ja, auch dort, in diesen kleinen Kursen, in denen Brügel Stenographie, Geschichte, „Logik und Rhetorik“ unterrichtete, wurde Geschichte gemacht […] Da formten sich die Helden, die später im Kampfe waffenklirrend voranschritten.

Gemeint sind natürlich Schuhmeier und Winarsky. Ludwig Brügel selbst attestiert der Verfasser „stille, fleißige, treue Art“. Es gibt eben geborne [sic] Proletariernaturen, durch zwei Dinge gekennzeichnet: erstens bringen sie es nie zu etwas und zweitens ist es ihre Seligkeit, im Dienste für etwas Großes aufzugehen. Echte Wertschätzung sieht anders aus...

Nach dem „Anschluss" Österreichs wird Ludwig Brügel verhaftet und am 13. August 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo er kurz darauf ermordet wird.

Ludwig Brügels 1897 in Wien geborener Sohn, der promovierte Historiker, Journalist, Dichter und Autor des Liedes „Die Arbeiter von Wien" Fritz Brügel, geht bereits 1934 nach Prag und  emigriert nach dem Münchner Abkommen im September 1938 nach Paris.

1940 flieht er weiter nach England, wo er im Auftrag der tschecho­slowakischen Exilregierung tätig wird. Nach Kriegsende kehrt Fritz Brügel in die Tschechoslowakei zurück, tritt in den diplomatischen Dienst ein, verlässt seine zweite Heimat jedoch nach der kommunistischen Machtergreifung im Mai 1949 für immer. Er stirbt 1955 in London.

Die Sammlung Fritz Brügel befindet sich in der Wienbibliothek im Rathaus.

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