Keine zwei Wochen bevor in Paris die „erste Diktatur des Proletariats“ entsteht, wird Rozalia Luxenburg am 5. März 1871 im polnischen Zamość geboren.
Rosa Luxemburg, wie sie sich selbst nennt, engagiert sich ab 1887 in der polnischen und ab 1898 in der deutschen Sozialdemokratie.
Diese Kämpferin, die ihre Feder führte gleich einem Schwert und deren Zunge stach wie eine Lanzenspitze. Luise Kautsky
Nach Beginn des Ersten Weltkriegs formiert sich auf ihre Initiative hin die „Gruppe Internationale“, der spätere Spartakusbund. Die Kriegsjahre verbringt sie größtenteils in „Sicherheitsverwahrung“ in verschiedenen deutschen Gefängnissen. Anfang des Jahres 1919 gründet Rosa Luxemburg, gemeinsam mit Karl Liebknecht, der die kriegsbedingte „Burgfriedenspolitik“ der SPD jahrelang bekämpft hat, die Kommunistische Partei Deutschlands.
Am 15. Januar 1919 werden beide von Mitgliedern der Garde-Kavallerie-Schützen-Division verhaftet und anschließend ermordet. Die Mörder werfen den Leichnam Rosa Luxemburgs in den Landwehrkanal, er wird erst Monate später gefunden.
Der offiziellen Version, wonach Luxemburg beim Verlassen des Hotels von einer aufgebrachten Menschenmenge getötet und ihre Leiche entwendet worden sei, sitzt zwei Tage später auch die Arbeiter-Zeitung auf. In ihrem Nachruf heißt es außerdem: Rosa Luxemburg war eine kleine, verwachsene, unschöne Frau, eine Jüdin aus Polen. Aber diese unscheinbare Frau hat die internationale Arbeiterbewegung stärker beeinflußt als jede andere.
Obwohl alle wissen, dass die Reichswehr und die rechten Freikorps bei der Niederschlagung des „Spartakusaufstandes“ und der Ermordung seiner Anführer wohl nach Rücksprache mit dem Sozialdemokraten Gustav Noske gehandelt hatten, erklärt die Arbeiter-Zeitung die beiden Ermordeten zu Märtyrern des Weltkrieges.
Die österreichische Sozialdemokratie will diese Märtyrer – trotz abweichender Positionen und „frevelhafter Abspaltung“ – nicht so einfach ziehen lassen. Zu groß ist das Charisma Rosa Luxemburgs, zu verführerisch die integrative Kraft, die ihr tragisches Schicksal birgt.
Im Februar 1919 schreibt der führende Austromarxist Max Adler in der Monatsschrift Der Kampf: Eine Gedächtnisfeier für Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg findet uns vereinigt, nicht nur, um das Andenken zweier Menschen zu ehren, die als Märtyrer der sozialistischen Idee gefallen sind, sondern mehr noch, um uns selbst durch die läuternde Macht, die von diesem Opfertod ausgeht, […] hinwegheben zu lassen.
Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg – ihr seid in schrecklichem Zwist mit der Arbeiterschaft von ihr geschieden –, aber das Proletariat bewahrt über diese Entfremdung hinaus euch die Treue, die ihr dem Sozialismus stets bewahrt habt. Max Adler
Es sei zwar zu beklagen, daß soviel schöner Enthusiasmus und so unbändiger Wille wie in Liebknecht, so viel gefestete marxistische Einsicht und Kritik wie in Rosa Luxemburg, doch zuletzt dahin abgeirrt sind, die sozialistische Bewegung in einen verderblichen Selbstwiderspruch zu bringen, allerdings liegt doch auf der Seite der Toten der große Vorzug, daß ihre Schuld nur der Irrtum des Revolutionärs war…
Max Adler würdigt „die Luxemburg“ als Gedankenmensch, der die Dinge mit einer seltenen Schärfe der Analyse und Kritik beherrschte. Sie zähle zu den gründlichsten Kennern des Marxismus und ihre Schriften zu den besten Werken der marxistischen Literatur. Abschließend zeigt sich Adler überzeugt, dass die große eigene Schuld der beiden sicher im Laufe der Geschichte in hohem Maße entsühnt gefunden würde.
Auch Karl Kautsky, der „Freund und Lehrer ihrer Jugend“ – 1910 war es aufgrund politischer Differenzen zum Bruch gekommen – arbeitet sich in langen Artikeln an Rosa Luxemburg und ihren Schriften ab und bemüht sich, ihre Aussagen zu interpretieren und abzuwägen. So als gelte es, Rosa Luxemburg für die Sozialdemokratie salonfähig zu halten.
Über „Rosa Luxemburg und der Bolschewismus“ schreibt Kautsky 1922 in Der Kampf: Was heute in den Ausführungen der Genossin Luxemburg noch wirkt, das ist einzig ihre leidenschaftliche und schlagende Verteidigung der Demokratie. Dadurch wird die Schrift der begeisterten Verehrerin der Bolschewiki zu einer wuchtigen Anklageschrift gegen diese. Als solche wird sie in der Parteiliteratur fortleben.
Rosa Luxemburg galt dem deutschen Philister als das Urbild einer blutdürstigen Petroleuse…Therese Schlesinger
Anlässlich des zehnten Jahrestages ihrer Ermordung erinnert die Arbeiter-Zeitung 1929 an Rosa Luxemburgs Feuerseele, die glaubte, im Sturm der Revolution die Diktatur des Proletariats aufrichten zu können. Und strickt weiter an der Legende, indem es die Gedankenwelt Rosa Luxemburgs auf den Gründungsmythos der internationalen Arbeiterbewegung zurückführt, auf die Pariser Kommune: Aber sie dachte die Diktatur anders als die Russen. Nicht eine Sowjetdiktatur – ein aus allgemeinem und gleichem Wahlrecht gewähltes, demokratisches Parlament unter dem Druck bewaffneter revolutionärer Arbeiter wie 1793, 1871 in Paris!
1929 druckt die Arbeiter-Zeitung auch einen gefühlsschweren Nachruf von Luise Kautsky ab, der Ehefrau von Karl Kausky, über das kleine Persönchen, das 1893 beim Internationalen Sozialistenkongress in Zürich in Erscheinung trat, so klein, daß man es auf einen Tisch heben muß, damit es gesehen und gehört werden kann.
Denn ihr Andenken lebt in Tausenden von Proletarierherzen fort.
Noch im selben Jahr veröffentlicht Luise Kautsky „Rosa Luxemburg – Ein Gedenkbuch“. Therese Schlesinger, eine der führenden Persönlichkeiten des „linken Lagers“ der österreichischen Sozialdemokratie, hat daran so manches auszusetzen: Das Kapitel ‚Rosas Eigenart als Frau‘ hat mir eine kleine Enttäuschung bereitet. Daß Rosa Luxemburg unter einer rauen Schale einen weichen Kern barg, […] das kann man wohl nicht als weibliche Eigenart bezeichnen. […] daß Rosa sich hie und da um ihre Küche bekümmerte und auch manchmal zu einer Handarbeit griff, um ihre Nerven auszuruhen, das kann weder ihren Charakter als Frau ausmachen, noch von Luise Kautsky so betrachtet werden. Desgleichen kommt wohl auch bei Männern vor.
1924 beginnen die Arbeiten zum größten kommunalen Wohnbauprojekt im Roten Wien. In der Wohnhausanlage „an der Sandleiten“ sollen 6.000 Menschen ein neues Heim finden. Noch vor der Fertigstellung beschließt der Gemeinderat 1927 die Benennung mehrerer neuer Verkehrsflächen nach „Märtyrern der Sozialdemokratie“: Giacomo Matteotti, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, die deutsche Revolutionärin.
Die Wohnhausanlage Sandleiten ist eine Sehenswürdigkeit, wie sie kaum eine andre Stadt der Welt aufzuweisen hat. Durchstreift man sie, umweht einen Kleinstadtromantik, nicht die Romantik einer altehrwürdigen provinzialen Kleinstadt, in der engstirnige Philister auf der Bierbank Kirchturmpolitik treiben und die Welt jenseits der Grenzen des Städtchens feindliches Ausland wird, sondern die Romantik einer neuen, auf neuer Erde für neue Menschen errichteten kleinen Stadt mit ihrem Bienenkorbgetriebe und Gesumme, schreibt die Arbeiter-Zeitung. Und die Hauptstraße dieser Kleinstadt sei die Luxemburggasse – 1947 in Rosa-Luxemburg-Gasse umbenannt, und Postadresse der wohl schönsten Bücherei des Roten Wien.
Regelmäßig finden im Roten Wien nun Gedenkfeiern für Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg statt. Veranstaltet von sozialistischen Jugendlichen in der Volkshalle des Rathauses – Das Jungproletariat Wiens hat wieder bewiesen, daß es seine toten Führer nicht vergessen hat. Oder von den sozialistischen Mittelschülern im Heimatkino in der Porzellangasse 19, dem heutigen Schauspielhaus. Die Gedenkreden halten linke Aushängeschilder der Partei wie Max Adler oder Josef Luitpold Stern.
1933 hat es Rosa Luxemburg endgültig „geschafft“. In einem Artikel in Der Kampf nimmt der Sozialwissenschaftler Alfred Braunthal sie gleichsam in den Olymp der Austromarxisten auf: Es braucht hier bloß auf dieglänzende Reihe Karl Kautsky – Rosa Luxemburg – [Rudolf, Anm.] Hilferding – Otto Bauer hingewiesen werden.
Weiterführende Informationen
Rosa-Luxemburg-Stiftung
LEMO – Lebendiges Museum Online
Bundesarchiv – Virtuelle Ausstellung