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Aktuelle Seite: „Sehet den Menschen!“
0138 | 7. JANUAR 2024    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

„Sehet den Menschen!“

Am 7. Januar 1934 erliegt der Bildhauer Anton Hanak, um dessen Gesundheit es seit Jahren schlecht bestellt war, einem Herzinfarkt.

Der 1875 in Brünn geborene Sohn eines Zimmermalers und Vergolders geht als 14-jähriger nach Wien, wo er zunächst eine Lehre als Möbeltischler und Holzbildhauer absolviert und sein künstlerisches Talent entdeckt. Bald verdient er seinen Lebensunterhalt als Schnitzer und Modelleur, ist in den Sommermonaten auf „Wanderschaft“ und nimmt im Winter an Fortbildungskursen der Staatlichen Gewerbeschule in Wien teil.

1898 wird Hanak in die Bildhauerklasse der Akademie der Bildenden Künste in Wien aufgenommen. Er studiert bei Edmund Hellmer, dessen bekannteste Werke das Strauß-Denkmal im Wiener Stadtpark und das Goethedenkmal am Opernring sind, fertigt erste Auftragsarbeiten, vor allem Porträts für die Bronze­manufaktur Anton Lux an, heiratet 1900 und zieht nach Langenzersdorf bei Wien.

Für seine Abschlussarbeit „Grablegung“ an der Akademie erhält Hanak 1904 ein Reise­stipendium nach Rom, wo er sich intensiv mit italienischer Kunst auseinandersetzt. Im selben Jahr erhält er den ersten Auftrag von Eugenia Primavesi, der kunst­sinnigen Ehefrau des Olmützer Industriellen Otto Primavesi.

Bestens vernetzt

Nach seiner Rückkehr arbeitet Anton Hanak als freischaffender Bildhauer und gehört bald zum engsten Kreis der im Auf- und Umbruch befindlichen Wiener Kunstszene. Hanak ist Mitglied der Wiener Secession, der Wiener Werkstätte sowie Gründungs­mitglied des Österreichi­schen Werkbundes, und mit Künstlerkollegen wie Gustav Klimt und Josef Hoffmann eng befreundet. In der Ausstellung der Wiener Sezession zum 60-jährigen Regierungsjubiläum von Kaiser Franz Joseph ist er mit drei Marmorskulpturen prominent vertreten.

Während in seinen frühen Arbeiten noch deutliche Einflüsse des italienischen Barock, später auch jene der zeitgenössischen französischen Plastik, etwa Auguste Rodins oder Aristide Maillols zu erkennen sind, entwickelt Anton Hanak in dieser Zeit seine eigene expressionistische Formen­sprache. Er schafft monumentale Skulpturen von symbolhaftem Charakter, wie etwa der „Gigant“, das Figurenpaar am Vorwärts-Gebäude, das einen Arbeiter und eine Arbeiterin darstellt (beides 1910), neun Relieftafeln für die Fassade des Mariahilfer Kaufhauses Stafa (1911) und die fünf überlebensgroßen Figurengruppen an der Fassade der Versicherungsgesellschaft der österreichischen Eisenbahnen an der Linken Wienzeile (1913).

Anlässlich der Großen Kunstausstellung in Dresden im Jahr 1912 sind im Österreichischen Haus, das von Josef Hoffmann errichtet wird, neben Gemälden von Gustav Klimt nicht weniger als achtzehn Skulpturen Anton Hanaks zu besichtigen.

1913 wird Hanak mit der Leitung der Meisterklasse für monumentale Bildhauerei an der Wiener Kunstgewerbeschule betraut. Zu seinen Schülern gehören u.a. Franz Hagenauer und Fritz Wotruba.

Zwei sehr unterschiedliche Auftraggeber werden Hanak in den nächsten Jahren maßgeblich fördern: Einerseits das Rote Wien, das seine Gemeinde- und Verwaltungsbauten mit „Kunst am Bau“ schmückt und andererseits die Bankiers- und Industriellenfamilie Primavesi, mit der Hanak bereits vor dem Krieg freundschaftlich verbunden ist. Im tschechischen Olmütz gestaltet er das Speisezimmer in der Villa Primavesi, auch am von Josef Hoffmann entworfenen Wohnhaus der Familie Primavesi in Hietzing sowie in deren Landhaus in Šumperk (Mährisch Schönberg) ist er beteiligt.

„Der brennende Mensch“

Die ständige Arbeitsüberlastung führt 1915 zu einem ersten gesundheitlichen Zusammen­bruch. Hanaks fragile Gesundheit leidet unter dem Krieg, besonders aber unter dem Tod seiner Freunde und Kollegen Gustav Klimt und Egon Schiele kurz vor Kriegsende. In dieser schwierigen Zeit beginnt er eine Beziehung mit seiner Schülerin Helene Koenig.

Als Reaktion auf die Gräuel des Ersten Weltkriegs entstehen Hanaks ausdrucksstärkste Plastiken, „Der letzte Mensch“ (1917 bis 1924) und „Der brennende Mensch“ (1922).

Nach der Gründung der Republik erhält Anton Hanak im Roten Wien der 1920er-Jahre einige wichtige Aufträge, darunter zahlreiche Porträtbüsten und Denkmäler, wie etwa die ursprünglich für die Kinderübernahmsstelle geschaffene Brunnenfigur „Magna mater“, die sich heute im Rathauspark von Mauer befindet, die Schmerzensmutter auf dem Wiener Zentralfriedhof oder die Porträtbüste Victor Adlers für das Denkmal der Republik.

Die monumentale Figur „Riese mit Last“ vor dem Hof am Friedrich-Engels-Platz bleibt unverwirklicht.

Späte Würdigung

1932 wird Anton Hanak schließlich zum Ordentlichen Professor für Bildhauerei an die Akademie der bildenden Künste berufen. Sehr viel Zeit sollte ihm nicht mehr bleiben. Hanaks letzte Arbeit sind die Skulpturen für das monumentale „Emniyet-Denkmal“ in Ankara, für das er 1931 auf Vermittlung Clemens Holzmeisters die ersten Entwürfe anfertigt und das nach seinem Tod von Josef Thorak, der wenig später zu einem der meistbeschäftigten Bildhauern des NS-Regimes avanciert, fertiggestellt werden wird.

Hanaks Muse und Geliebte Helene Koenig wird 1941 in das Konzentrationslager Lodz deportiert und ermordet.

Fünfzehn Jahre nach Hanaks Tod eröffnet Bürgermeister Theodor Körner am 30.6.1949 eine große Anton Hanak-Ausstellung in der wiederaufgebauten Wiener Secession. In seiner Ansprache würdigt Körner die Bedeutung des Bildhauers: Hanaks Werke spiegeln die geistigen Strömungen seiner Zeit [...] Nicht minder deutlich sehen wir in den Werken dieses Arbeiterkindes die Verbundenheit mit der Arbeiterbewegung, der Hanak seine größten Aufträge verdankte. Unaufhörlich plante er monumentale Schöpfungen, die leider infolge der Not der Zeit, nicht wie er es wollte, Wien schmücken.

1952 wird die Hanakgasse im neuerrichteten Hugo-Breitner-Hof in Penzing nach dem Bild­hauer benannt. Sein künstlerischer Nachlass ist heute in Langenzersdorf, wo Hanak jahrelang gelebt und gearbeitet hat, zu sehen. Neben zahlreichen Skulpturen sind im Langenzersdorf-Museum auch persönliche Gegenstände und selbstgefertigte Möbel des Künstlers ausgestellt.

Link
Langenzersdorf Museum

Literatur
Friedrich Grassegger, Wolfgang Krug (Hrsg.), Anton Hanak, 1997; Claudia Klein-Primavesi, Die Familie Primavesi und die Künstler Hanak, Hoffmann, Klimt, 2004; Hedwig Steiner, Anton Hanak. Werk, Mensch und Leben, 1969.

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