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Aktuelle Seite: „Von der Volksküche zur Küche des Volkes“
0146 | 23. MÄRZ 2024    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

„Von der Volksküche zur Küche des Volkes“

1919 wird die „Vienna Public Feeding GesmbH“, Vorläuferin der legendären WÖK, gegründet.

Erste öffentliche Ausspeisungen für sozial Bedürftige werden bereits ab 1914 organisiert. Nach Kriegsende, als Wien einer „sterbenden Stadt“ gleicht und der Hunger riesengroß ist, entsteht die „Vienna Public Feeding GesmbH“. Das Stammkapital stammt je zur Hälfte vom Bund und der Gemeinde Wien, der Unternehmenszweck liegt in der Volksausspeisung der Klein- und Schulkinder sowie der bedürftigen Erwachsenen und Pensionisten.

Die „Vienna Public Feeding“ übernimmt 19 ehemalige Kriegsküchen; die Zentralküche befindet sich am Margareten­gürtel 18 im 5. Bezirk. Aufgrund der herrschenden Rationierungs­maßnahmen ist die Essensausgabe zunächst an Bezugsmarken gebunden. Die Speisen müssen mit eigenem Geschirr abgeholt werden, nur in der Karolinengasse in Wieden gibt es die Möglichkeit, vor Ort zu essen.

Rasche Bedienung! Gedeckte Tische! Kein Trinkgeld! Kein Alkohol!Werbeanzeige 1931

Die WÖK expandiert

1920 folgt die Umbenennung des Unternehmens in „Wiener öffentliche Küchenbetriebs­gesellschaft“, WÖK. Der Betrieb expandiert auf 39 Küchen und erhöht die Belegschaft auf 766 Mitarbeiter. Im April 1921 öffnet in der Herrengasse 16 in der Inneren Stadt das erste Restaurant der WÖK, wo zwischen verschiedenen Menüs gewählt werden kann.

Das Unternehmen wächst stetig; 1928 werden von der WÖK, die auch Kindergärten und Spitäler beliefert, in „29 bildhübsch eingerichteten Speisehäusern“ täglich über 10.000 Mittags- und 3.000 Abendportionen verkauft.

Es gibt überall einheitliche Menüs, aber in zwei-, dreierlei Varianten, vortrefflich bereitet, abwechslungsreich, mit lockenden, appetitanregenden Vor- und Nachspeisen. Es gibt mit Leckereien beladene Büfetts, gibt vortrefflichen ,Schwarzen‘ – all das ohne Getränke-, ohne Trinkgeldauslagen, um einen Preis, der weitaus geringer ist, als ihn die Hausfrau zur Herstellung solcher Genüsse aufwenden müßte, schwärmt die Zeitschrift Die Bühne.

Die Preise sind überaus moderat und reichen von 85 Groschen bis zu 2,40 Schilling. Die Arbeiter-Zeitung beschreibt die WÖK 1922 als einen Betrieb, der Speisen nach den neuesten ernährungsphysiologischen Erkenntnissen und mittels modernster Küchen­technologie herstellt und zu günstigen Preise anbietet.

Als besonders modern gilt die vom Architekten Georg Rupprecht, einem Pionier von Schnellimbisslokalen, entworfene und 1929 eröffnete WÖK-Filiale auf der Mariahilferstraße – geradezu ein „Nobel-Restaurant der Arbeitenden“, aber mit „amerikanischem“ Touch.

Die Mädchen selbst unterscheiden sich durch die Farbe ihrer Küchentracht. Die schwarzgekleideten servieren zu, die weißgekleideten servieren ab.Arbeiter-Zeitung

Kein Alkohol – Kein Trinkgeld

Über eine elektrische Tabulatur werden Gäste und Personal darüber informiert, welches Gericht nicht mehr verfügbar ist. Der Speisesaal selbst ist „geldfrei“. Man wählt sein Menü im Vorraum, bezahlt an der Kassa und übergibt dem Personal im Speisesaal einen Bon. Alkohol ist ebenso tabu wie Trinkgeld, zum Ausgleich erhält das Personal etwas höhere Löhne.

Im Gegensatz zur traditionellen Wiener Wirtshausküche und als Entgegenkommen an die immer zahlreicher werdenden berufstätigen weiblichen Gäste werden in der WÖK auch viele fleischlose Gerichte angeboten – es gibt sogar Diätmenüs für Kranke und Übergewichtige.

Neben den Küchen betreibt die WÖK auch eine Reihe von Zulieferbetrieben – eine Bäckerei, eine Tischlerei, eine Schlosserei, eine Wäscherei, eine Näherei, eine Schusterwerkstatt (für die Angestellten) sowie einen Gemüsebetrieb und eine Gärtnerei für die Blumendekoration der Filialen.

Ein Zweiter Frühling

Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt das Unternehmen erneut einen gewaltigen Aufschwung und verzeichnet 1947 mehr als 41 Millionen Essensportionen. Ab 1955 beliefert die WÖK auch Tagesheimstätten für ältere Menschen mit Mindesteinkommen.

Nach dem Ungarnaufstand 1956 ebenso wie nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 spielt die WÖK eine wichtige Rolle in der Massenausspeisung der zahlreichen Flüchtlinge.

1969 startet die WÖK die Aktion „Essen auf Rädern“. Zu Beginn werden nur 25 Menschen auf diese Weise verköstigt, zehn Jahre später sind es bereits 5.500.

Umbenennung und Verkauf

1978 wird der Betrieb umstrukturiert und umbenannt – in „Wigast Gaststätten­betriebsges.m.b.H". Es entstehen neue Produktionsbetriebe sowie eine modern ausgestattete Großküche. 1980 verewigt Thomas Bernhard die legendäre WÖK in seiner Erzählung „Die Billigesser“.

Die vier Billigesser Einzig, Goldschmidt, Grill und Weninger treffen einander täglich in einem der  WÖK-Lokale, nehmen immer die preisgünstigste der angebotenen Speisen zu sich – und erzählen. Der Germanist Hans Höller hält die Schilderung dieser vier Lebensbilder „für eines der ungewöhnlichsten Beispiele einer freundlichen, von philosophischer Gelassenheit getragenen“ Erzählung  im Werk Thomas Bernhards.

1981 wird das WÖK-Gebäude in der Gassergasse dem „Verein zur Schaffung, Förderung und Unterstützung von selbstverwalteten Kultur- und Kommunikationszentren“ zur Verfügung gestellt. Das Kulturzentrum Gassergasse (GaGa) ist das erste autonome Jugendzentrum der Stadt. Nach zahlreichen Anrainerprotesten und internen Konflikten wird das GaGa 1983 polizeilich geräumt, das Gebäude abgerissen.

Zu Beginn der 1990er-Jahre folgt die Umwandlung der Wigast in eine Aktiengesellschaft. Das Unternehmen revitalisiert u.a. das Schloss Wilhelminenberg und übernimmt das Cafe Schwarzenberg am Ring.

Zur Jahrtausendwende fusioniert die Wigast mit der „Österreichisches Verkehrsbüro AG“. Die Wigast GesmbH ist damit die größte Gastronomiekette Österreichs, der bekannte Lokale wie der Rathauskeller, die Restaurants am Donauturm und im Schloss Wilhelminenberg sowie die Gastronomiekette Wienerwald angehören. Im Jahr 2008 verkauft das Verkehrsbüro seine Kulinariksparte.

In den früheren Wigast- bzw. WÖK-Räumlichkeiten in der Felderstraße neben dem Rathaus ist seit 2007 das  „Museum auf Abruf“ (MUSA) untergebracht, das Kunstwerke aus der Sammlung zeitgenössischer Kunst der Stadt Wien präsentiert. In den Jahren des Umbaues des Wien Museums diente das MUSA diesem als Ausweichquartier.

Literatur: Edith Hörandner, WÖK. Eine Wiener Institution. 1919-1994, o.J.
Links
Wien Museum – Magazin
Wien Wiki

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