Zum Inhalt springen
Aktuelle Seite: „Da ist doch irgendwo ein Fehler in der Welt!“
0036 | 13. SEPTEMBER 2021    TEXT: LILLI BAUER & WERNER T. BAUER

„Da ist doch irgendwo ein Fehler in der Welt!“


Josef Luitpold Stern war ein sozialdemokratischer Volksbildner der „alten Schule“, die Drucker­schwärze sein Lebenselixier. Er stirbt am 13. September 1966 in Wien.

Stern wird 1886 in Wien in eine sozialdemokratische Familie geboren. Sein Vater Moriz Stern ist Administrator der Arbeiter-Zeitung, der junge Josef hält bereits als Schüler Vorträge beim Verband Jugendlicher Arbeiter und schreibt erste Artikel für dessen Zeitschrift Der jugendliche Arbeiter.

Während des Studiums der Rechts­wissenschaften schließt er sich der Freien Vereinigung sozial­demokratischer Studenten und dem Sozialwissenschaftlichen Bildungsverein an. „Bildung und Kultur für das Volk“ wird zu seinem Lebensthema.

Emil Reich und Ludo Hartmann, beides Pioniere der österrei­chischen Volksbildung, werden auf Josef LuitpoldStern aufmerksam und bieten ihm die Stelle des Bibliothekars an der neuge­gründeten Volkshochschule in Ottakring an. Die 1905 eröffnete Bildungsstätte ist einzigartig in Europa – nicht zuletzt deshalb, weil etliche der bedeutendsten Gelehrten des Landes hier Abendkurse abhalten. Auch berühmte Autoren wie Robert Musil, Arthur Schnitzler oder Stefan Zweig bringt Stern als Gastvortragende in den Arbeiterbezirk Ottakring.

Ab 1911 ist Josef LuitpoldStern ständiger Mitarbeiter im Kulturressort der Arbeiter-Zeitung, im Jahr darauf avanciert er zum Sekretär der Wiener Arbeiter­bildungszentrale; 1914 übernimmt er die Leitung der Wiener Freien Volksbühne, die als Theater ohne festes Haus einem Arbeiter­publikum den Zugang zur dramatischen Literatur erschließen will. „Nebenbei“ redigiert Stern auch das Publikationsorgan des Vereins, Der Strom.

Auf dem Schlachtfeld des Geistes gefallen

Als das humoristisch-satirische Arbeiterblatt Glühlichter eine neue Leitung sucht, ist Josef LuitpoldStern zur Stelle. Er übernimmt das bis dahin politisch eher harmlose Blatt und formt daraus eine scharfe und kompromisslose Antikriegs­zeitschrift. Die Glühlichter werden 1915 eingestellt.

Sterns pazifistische Grundhaltung ist unerschütterlich. Mit zahlreichen Literaten, die sich von der anfänglichen Kriegsbegeisterung anstecken lassen, geht er deshalb hart ins Gericht – selbst mit seinem langjährigen Freund, dem Arbeiterdichter Alfons Petzold.

1915 muss Josef LuitpoldStern einrücken. Auch als Soldat verfasst er Gedichte und kurze Theater­szenen gegen den Krieg. Die Gedichtsammlung Herz im Eisen erscheint 1917, illustriert wird sie von Alfred Kubin.

1946, einen Weltkrieg später, wird Friedrich Adler diese konsequente Anti-Kriegs-Haltung in einem Brief an Stern würdigen: Bald nach Beginn des Ersten Weltkrieges fand ich in Ihnen einen der wenigen Kampfgenossen, die bereit waren, unerschrocken und rücksichtslos für die Ideale des sozialistischen Internationalismus einzutreten, die sich offen der Sturmflut der Kriegsbegeisterung entgegensetzten.

„Hausdichter“ der Partei

Im Roten Wien der Zwischen­kriegszeit zählt Josef LuitpoldStern, gemeinsam mit Robert Danneberg und David J. Bach, zu den führenden Köpfen der sozialistischen Bildungs- und Kulturpolitik. Im Gegensatz zu Bach, der sich mit seinen Arbeiter-Symphoniekonzerten auf die Vermittlung der „Hochkultur“ konzentriert, strebt Stern deren Überwindung in einer „Neuen Welt“ mit „Neuen Menschen“ an und fördert deshalb vor allem in- und ausländische Arbeiterliteraten. Von Danneberg zum Leiter der Zentralstelle für das Bildungswesen ernannt, ist Stern einer der Mitbegründer der Büchergilde Gutenberg in Österreich, die durch die Herausgabe preiswerter Bücher den Zugang der Arbeiterschaft zu Bildung und Kultur erleichtern möchte.

Über die auch in Arbeiterkreisen beliebte Trivialliteratur schreibt er: Die Fantasievergiftung ist nicht minder zu bekämpfen als die Bleivergiftung. Der Schauerroman ist ein heimlicher Freund des Kapitalismus: er verhindert die Revolutionierung des Bewusstseins.

Selbst verfasst er unter dem Pseudonym Josef Luitpoldzahlreiche Gedichte, die bei diversen festlichen Veranstaltungen der Sozialdemokratie gerne vorgetragen werden. Sein literarisches Werk bleibt jedoch zwiespältig. In sozialistischen Kreisen wird es häufig hoch gelobt, in der Literaturgeschichte findet es allerdings nur wenig Beachtung und wird meist mit Begriffen wie „pathetisch“ oder „gestelzt“ bedacht.

1922 geht Josef LuitpoldStern, der sich mit seinen Mitstreitern überworfen hat, ins Ausland und übernimmt für einige Jahre die Leitung der Zentralstelle für Bildungswesen der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiter­partei in der Tschechoslowakischen Republik (DSAP), zunächst in Teplitz, später in Prag.

Es ist keiner revolutionär, der nicht sich revolutioniert

1926 holt ihn der Wiener Partei­vorstand zurück. Stern erhält die ehrenvolle Aufgabe, die neu­gegründete Arbeiterhochschule im Döblinger Sickenberg-Schlösschen zu leiten, an der Parteigrößen wie Otto BauerKarl RennerMax Adler oder Otto Neurath unterrichten.

Daneben entfaltet er eine rege Publikationstätigkeit, gibt mehrere von Otto R. Schatz illustrierte Arbeiten heraus und formuliert in den programmatischen Partei­zeitschriften Der Kampf und Bildungsarbeit seine mitunter strengen Vorstellungen von fortschrittlicher Volksbildung. Auch die Herausgabe des „altehr­würdigen“, seit 1872 erscheinenden, Arbeiterkalenders wird ihm übertragen.

Aufgrund seiner regen politisch-literarischen Tätigkeit wird Josef Luitpold Stern 1933 zum Vorsitzenden der Vereinigung Sozialistischer Schriftsteller gewählt. Der Verein wird wenige Tage nach Hitlers Machtergreifung in Deutschland gegründet und sieht sich als Interessenvertreter der vom Faschismus verfolgten deutschen Literaten, von denen etliche nach Österreich geflohen sind.

Streets of Philadelphia

Im April 1934 muss Josef Luitpold Stern selbst die Flucht ergreifen. Er geht zunächst in die Tschecho­slowakei, dann weiter nach Frankreich, wo er allerdings interniert wird. 1940 gelingt ihm die Flucht über die Pyrenäen nach Spanien und Portugal, von wo er per Schiff in die USA gelangt. Er schlägt sich mit Hilfsarbeiten durch und erhält schließlich eine Anstellung als Lehrer und Sozialarbeiter in einem Armenviertel in Philadelphia.

Im Gegensatz zu vielen anderen Emigranten kehrt Luitpold Stern 1948, mittlerweile zweiund­sechzigjährig, nach Österreich zurück. Er wird Rektor des gewerkschaftlichen Arbeiter­bildungsheimes auf Schloss Weinberg in Oberösterreich. In einem Brief an seine Freundin und Vertraute Elisa Karau schreibt er über den Beginn des Schulungs­jahres: Meine Tätigkeit setzt nichts fort, was ich bis 1934 aufgebaut habe. Was immer ich bis dahin geschaffen habe, es werken jetzt andere daran. Ich beginne völlig neu.

In seinen letzten Lebensjahren erhält Stern die gebührenden öffentlichen Ehrungen und Auszeichnungen, die Ernennung zum Professor (1953), den Ehrenring der Stadt Wien (1956) und den Würdigungspreis für hervorragende Leistungen im Interesse der österreichischen Volksbildung (1958).
Nach seinem Tod stiftet der ÖGB den Josef-Luitpold-Stern-Preis, der an Personen oder Institutionen vergeben wird, die sich besondere Verdienste um die Volksbildung, die Arbeiterbildung oder um die Arbeiterdichtung erworben haben. Der Preis wird bereits seit einigen Jahren nicht mehr oder nur noch sporadisch verliehen...

Literatur
Sabine Juhart, Der „Wanderstern“ und sein Weg nach Amerika. Leben und Werk von Josef Luitpold Stern im Kontext der Vereinigten Staaten, 2003; Marcus Strohmeier, Lernen um zu Kämpfen. Kämpfen um zu siegen. Josef Luitpold Stern (1886-1966), 2011; Katharina Krones, „Da ist doch irgendwo ein Fehler in der Welt!“  Das Weltbild Josef Luitpold Sterns im Kontext austromarxistischer Ideologie, 2013.

Erhältlich in unserem Museums-Shop

Fuss ...