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Aktuelle Seite: Wilhelm Liebknecht – Der alte Revolutionär
0012 | 29. März 2021    TEXT: Julia Brandstätter

Wilhelm Liebknecht – Der alte Revolutionär


Vor 195 Jahren, am 29. März 1826, wird Wilhelm Liebknecht als Sohn eines „großherzoglich hessischen Regierungs­registrators“ in der Universitätsstadt Gießen geboren. Der spätere Mitbegründer der deutschen Sozialdemokratie prägt auch die Gedenkkultur und Bildungspolitik im Roten Wien.

Das Sturmjahr 1848

Als der junge Lehrer und Journalist Wilhelm Liebknecht 1848 vom Ausbruch der Revolution in Frankreich erfährt, eilt er nach Paris, allerdings ist die Revolution bei seiner Ankunft bereits in der Defensive. Ein Funke springt dennoch auch nach Deutschland über, und an der revolutionären Bewegung in Baden nimmt Liebknecht schließlich aktiv teil.

Onkel Bill im Exil

Nach der Niederschlagung der Badischen Revolution flüchtet Liebknecht zunächst in die Schweiz, dann nach England. In London findet er Aufnahme bei Karl Marx, mit dessen Familie er zeitlebens befreundet sein wird – Marx‘ Töchter nennen ihn liebevoll Onkel Bill.

Eine Amnestie ermöglicht Liebknecht 1862 die Rückkehr nach Deutschland. Er tritt zunächst dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV) von Ferdinand Lassalle bei und gründet 1869 gemeinsam mit August Bebel in Eisenach die Sozial­demokratische Arbeiterpartei Deutschlands (SDAP).

Arbeitermeeting in Fünfhaus

Wilhelm Liebknecht ist nicht nur Gründungsvater der deutschen Sozialdemokratie, sondern auch bei der Geburt der österreichischen und speciell der Wiener socialdemo­kratischen Partei Gevatter gestanden. Im Juli 1869 hält er vor dem Arbeiterbildungsverein Gumpendorf, der am Beginn der organisierten Arbeiterbewegung in Österreich steht, in der Zobel’schen Bierhalle in Fünfhaus ein mehrstündiges Referat, in dem er seinen Zuhörern die Ziele des Sozialismus auseinandersetzt.

Der Saal konnte die Zuschauermenge nicht fassen; Tausende standen auf der Straße, um sich erzählen zu lassen, was der deutsche Politiker gesprochen. Als er das Versammlungslocal verließ, jubelte ihm die Menge zu. Seit jener Zeit war die österreichische Arbeiterschaft dem Socialismus gewonnen.

Die junge österreichische Sozialdemokratie bleibt fortan eng mit der älteren deutschen Schwester verbunden, entsendet Delegierte zu deren Parteitagen und schließt sich der Zweiten Internationale an, zu deren Gründern Liebknecht zählt.

Die Königin der Städte ist der Scheiterhaufen des sterbenden Proletariats.

Als die Pariser Arbeiterschaft im März 1871 die erste Diktatur des Proletariats verkündet, begrüßt Wilhelm Liebknecht die Ausrufung der Pariser Kommune – und verteidigt ihr Recht auf Selbstverteidigung in der blutigen Maiwoche:Sollten die Proletarier sich ruhig abwürgen lassen, widerstandslos mit Frauen, Schwestern, Kindern den mordenden, plündernden, schändenden Ordnungsbanditen sich überliefern?

Wissen ist Macht

Im Jahr darauf hält Liebknecht in Dresden ein Referat vor Vertretern von Arbeiterbildungsvereinen mit dem Titel Wissen ist Macht – Macht ist Wissen. Dieser auf den englischen Philosophen Francis Bacon zurückgehende Ausspruch wird im Roten Wien zum Credo der Arbeiterbildungsbewegung:

Durch Bildung zur Freiheit‘ das ist die falsche Losung […]. Wir antworten: Durch Freiheit zur Bildung! Nur im freien Volksstaat kann das Volk Bildung erlangen. Nur wenn das Volk sich politische Macht erkämpft, öffnen sich ihm die Pforten des Wissens.

Die austromarxistische Bildungspolitik des Roten Wien wird diesen Gedanken gewissermaßen umkehren und die Bildungs- und Kulturarbeit noch stärker in den Vordergrund rücken. Durch Erziehung und Bildung sollen neue Menschen zum Sozialismus erzogen werden.

Ein marxistisches Programm

Im Jahr 1875 ist Wilhelm Liebknecht maßgeblich am Zusammenschluss seiner Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschlands (SDAP) mit Lassalles Allgemeinem Deutschen Arbeiterverein (ADAV) beteiligt. Die neue Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) wird drei Jahre später durch das Gesetz wider die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie verboten. Liebknecht kann seine Position als Reichstagsabgeordneter dennoch weiterhin für heftige Kritik an den politischen Verhältnissen im Deutschen Reich nutzen. Nach der Aufhebung des Sozialistengesetzes gründet sich die SAP 1890 als Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) neu.

Liebknecht bleibt Zeit seines Lebens Marxist. Auf dem Erfurter Parteitag der SPD 1891 verteidigt er das neue Parteiprogramm, das von marxistischen Grundsätzen geprägt ist. Unter anderem plädiert er für die Verwandlung des kapitalistischen Privateigentums […] in gesellschaftliches Eigentum.

Diese gesellschaftliche Umwandlung bedeutet die Befreiung nicht bloß des Proletariats, sondern des gesamten Menschengeschlechts, das unter den heutigen Zuständen leidet. Aber sie kann nur das Werk der Arbeiterklasse sein, weil alle anderen Klassen […] auf dem Boden des Privateigentums an Produktionsmitteln stehen und die Erhaltung der Grundlagen der heutigen Gesellschaft zum gemeinsamen Ziel haben.
 

Geburtstag im Gefängnis

Wilhelm Liebknecht ist bis ins hohe Alter als politischer Schriftsteller und als Referent auf hunderten Partei- und Arbeiterversammlungen in ganz Deutschland tätig. 1896 wird er wegen „Majestäts­beleidigung“ein letztes Mal zu einer viermonatigen Haftstrafe verurteilt und verbringt seinen 70. Geburtstag im Gefängnis. Insgesamt sitzt er im Laufe seines Lebens fast sieben Jahre hinter Gittern.

Einreise verhindert!

Als ihn Victor Adler 1899 als Redner zur Maikundgebung nach Wien einlädt, droht der Polizeipräsident mit dem Verbot der Versammlung. Er befürchte eine unkontrollierbare Situation, wenn die Leute wissen, daß Liebknecht hier ist u. ihn jeder sehen will. (Briefwechsel Victor Adler mit Karl Kautsky, 1954)

Im Jahr darauf erliegt Wilhelm Liebknecht einem Schlaganfall. Mehr als 150.000 Menschen geben ihm das letzte Geleit.

Der nimmer Müde muß nun ruhen! –
Er zog den Pilgermantel aus
Und klopft‘ den Staub von seinen Schuhen
Und ging ins enge, stille Haus.


Aus hundert Kämpfen reich an Wunden,
An Siegen reich und Heldenehr‘,
Hat er den Frieden nun gefunden,
Der alte Revolutionär.

Glühlichter, 30. August 1900

Auch in Österreich versammeln sich hunderte Parteimitglieder im Hotel Wimberger, einem beliebten Treffpunkt der Wiener Sozialdemokratie, um ihrer Trauer Ausdruck zu verleihen. Als Genosse Schuhmeier die Trauerrede hielt, da sah man in manchem Auge eine Thräne blinken.

Gedenken im Roten Wien


Heute erinnert der in den Jahren 1926/27 nach Plänen von Karl Krist errichtete Liebknechthof an Wilhelm Liebknecht und dessen Sohn Karl, der 1919 als Führer des Spartakusbundes, gemeinsam mit seiner Mitkämpferin Rosa Luxemburg  den Wirren der Gegenrevolution zum Opfer fiel, wie es in der Unzufriedenen vom 27.3.1926 euphemistisch heißt. Aber das ist eine andere Geschichte...

Die Liebknechtgasse in der Wohnhausanlage Sandleiten ist ebenfalls nach Wilhelm Liebknecht, dem Kämpfer mit Wort und Feder und Rektor der Partei und seinem Sohn Karl benannt.

DIE RINGSTRASSE DES PROLETARIATS

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